Wenn Muslime täglich Hass erfahren

Der 15. März ist der UN-Tag zur Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit. Islamophobie ist auch in Deutschland ein Problem. Es gibt Erfahrungen - und eine Menge Frust. Von Christoph Strack

Von Christoph Strack

Strahlend blau ist der Himmel über Erfurt, kalt die windige Luft. Aber Suleman Malik ist der schneidende Wind ganz egal. Dieser Tag Anfang März ist ein Festtag für ihn. Jetzt hat die im Bau befindliche neue Ahmadiyya-Moschee in Erfurt-Marbach ein Minarett, rund neun Meter hoch. Endlich. Es ist der erste Neubau eines muslimischen Gotteshauses auf dem Gebiet der früheren DDR.

Ein schwerer Kran setzte die fünf jeweils tonnenschweren runden Elemente zusammen, Millimeterarbeit. Der Kran - für Malik ist er so ein Beispiel für die Hindernisse, mit denen die Gemeinde zu kämpfen hatte. Viele Monate hat er versucht, einen Kran zu buchen, der auf matschigem Grund diese Arbeit leisten konnte, erzählt er der Deutschen Welle. Aufgrund von Rassismus, Rechtsradikalismus und Islamfeindlichkeit wurden "viele Baufirmen eingeschüchtert".

Malik hatte Zusagen von Bauunternehmen, die dann "angefeindet worden" seien und sich wieder zurückzogen. Der Betrieb, der schlussendlich doch zusagte, meldete sich noch Stunden vor Beginn der Bauarbeiten ein letztes Mal und bat um Barzahlung, drängte darauf, dass niemand die Arbeit filme oder fotografiere. So illustriert diesen Text kein Foto mit Kran, ein TV-Team aus der Region beachtet ebenfalls diese Vorgabe.

 

Die künftige #Ahmadiyya-Moschee in #Erfurt hat - nach vielen Monaten Wartens - seit heute früh ein Minarett. Es ist der erste #Moschee-Neubau in den neuen Bundesländern außerhalb Berlins. Noch in diesem Jahr will die Gemeinde die Moschee öffnen. #Islam pic.twitter.com/1Pf7WLduna

— Christoph Strack (@Strack_C) March 2, 2023

 

Malik ist 34. Seit 18 Jahren lebt er in Deutschland. Der gebürtige Pakistaner ist ein gut integrierter Muslim: Er spricht fließend Deutsch, arbeitet als Personalberater, ist stellvertretender Ortsteilbürgermeister in Erfurt-Rieth. Aber die kleine Moschee, die Malik für seine Gemeinde betreut, hat nicht nur mit den vielen Bauvorschriften zu kämpfen. Malik erzählt von den Schwierigkeiten, überhaupt in Ostdeutschland Bauunternehmen für das Projekt zu finden.

Schweine-Kadaver und Drohungen

Er erinnert an die Schweine-Kadaver, die Unbekannte auf das Grundstück geworfen haben und an Drohrufe aus vorbeifahrenden Autos. Und als der Autor dieses Textes am Tag der Minarett-Errichtung einen Tweet mit einem Foto der Moschee verbreitet, dauert es nur gut sechs Stunden, bis eine Person unter ihrem Klarnamen darunter schreibt: "Haben schon vor dieser schlimmen Moschee 260 Katholische Gottesdienste gegen den Moscheebau gemacht! Das ist Ramelows Machwerk, er muß jetzt zur Verantwortung gezogen werden!!!" (Schreibweise des Originals).

Malik kennt das. Die sogenannten Gottesdienste auf der anderen Seite der kleinen Straße im Gewerbegebiet, "immer noch, jeden Montag", sagt er, die Beschimpfungen und Anfeindungen. Und er weiß, dass Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow - er wird in dem Tweet attackiert - zu dem Projekt und zur Gemeinde steht.

Deutschland garantiert in seinem Grundgesetz, der Verfassung, die Religionsfreiheit - für jede Religion. Das ist nicht in allen Ländern so. Deshalb erklärten die Vereinten Nationen im vorigen Jahr den 15. März zum Internationalen Tag zur Bekämpfung von Islamfeindlichkeit. Warum diesen Tag? Am 15. März 2019 hat ein Rechtsterrorist in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen getötet und rund 50 weitere verletzt.

Trauerfeier für die Opfer des Anschlags von Hanau; Foto: Foto: DW/L.Hänel
Trauerfeier für die Opfer von Hanau: Im Februar 2020 tötete ein 43-Jähriger im hessischen Hanau zehn Menschen und sich selbst. Dennoch wird in Deutschland der Internationale Tag zur Bekämpfung von Islamfeindlichkeit nicht groß begangen. Die Vereinten Nationen hatten im vorigen Jahr den Tag eingeführt zum Gedenken an eine rassistisch motivierte Bluttat am 15. März 2019. Damals hatte ein Rechtsterrorist in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen getötet und rund 50 weitere verletzt.



In Deutschland wird der UN-Tag nicht groß begangen. Dabei gab es auch Deutschland vor drei Jahren eine besonders schwere rassistisch motivierte Bluttat, der überwiegend Muslime zum Opfer fielen. Im Februar 2020 tötete ein 43-Jähriger im hessischen Hanau zehn Menschen und sich selbst.



In einer im Herbst 2022 vorgestellten Untersuchung des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) äußerte ein Drittel bis die Hälfte aller Befragten antimuslimische und antiislamische Einstellungen. Berichte über Sachbeschädigungen oder Graffiti an einer Moschee irgendwo in Deutschland finden sich fast jede Woche.

Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Abdassamad El Yazidi, äußert sich im Gespräch mit der Deutschen Welle ernüchtert, fast frustriert. Der antimuslimische Rassismus sei in Deutschland leider "die Form der Menschenfeindlichkeit, die hoffähig geworden ist, die man ohne vorgehaltene Hand äußern kann", sagt er. "Das passiert im Bundestag, das passiert in den Landtagen durch Faschisten, aber zunehmend auch durch Vertreter der sogenannten etablierten demokratischen Parteien, die in trüben Gewässern fischen und am rechten Rand auf Stimmenfang gehen." Damit werde der Islam als Ganzes diskreditiert.

"Muslime in Deutschland stigmatisiert"

Der 47-jährige Yazidi, ein gebürtiger Hesse, seit langem im interreligiösen Gespräch engagiert, ist eigentlich jemand, der sich zurückhaltend äußert. Heute sieht er die Muslime in Deutschland "stigmatisiert". Der Zentralrat der Muslime habe die Bundesregierung mehrmals aufgefordert, einen Beauftragten für muslimisches Leben einzusetzen, so, wie es auch einen Beauftragten für jüdisches Leben und einen Beauftragten gegen Antiziganismus gebe.



"Es gibt sehr viele Beauftragte, etwa 35, die sehr wichtige Funktionen erfüllen", so Yazidi. "Ein eigener Beauftragter ist den Muslimen verwehrt worden, mit scheinheiligen Argumenten." Man wolle sich nicht eingestehen, dass es ein Problem gebe mit antimuslimischem Rassismus, "und das spüren die Muslime".

Abdessamad El Yezidi; Foto:  picture-alliance/AA/A.Hosbas
Das Problem verdrängt: Abdessamad El Yazidi, 47, ein gebürtiger Hesse, seit langem im interreligiösen Gespräch engagiert, ist eigentlich jemand, der sich zurückhaltend äußert. Heute sieht er die Muslime in Deutschland "stigmatisiert". Der Zentralrat der Muslime habe die Bundesregierung mehrmals aufgefordert, einen Beauftragten für muslimisches Leben einzusetzen, so, wie es auch einen Beauftragten für jüdisches Leben und einen Beauftragten gegen Antiziganismus gebe. "Es gibt sehr viele Beauftragte, etwa 35, die sehr wichtige Funktionen erfüllen", so Yazidi. "Ein eigener Beauftragter ist den Muslimen verwehrt worden, mit scheinheiligen Argumenten." Man wolle sich nicht eingestehen, dass es ein Problem gebe mit antimuslimischem Rassismus, "und das spüren die Muslime"

Dabei gibt es solche Beauftragte in anderen Ländern durchaus. Kanadas Regierungschef Justin Trudeau ernannte im Januar erstmals eine Beauftragte zur Bekämpfung von Islamfeindlichkeit. Bereits seit 2015 hat die EU die Stelle eines Koordinators zur Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit. Allerdings blieb der Posten eineinhalb Jahre unbesetzt, bevor ihn Anfang Februar die Diplomatin Marion Lalisse übernahm.

Suleman Malik findet, die Welt sei manchmal verrückt. Er weiß, dass auch Muslime selbst Anschläge verüben, Hass ausleben, auch in Deutschland. Vor 18 Jahren floh sein Vater, ein etablierter Kaufmann, Hals über Kopf mit seiner Familie aus Pakistan nach Deutschland. Denn die Maliks sind Ahmadis, Mitglieder der Ahmadiyya. Diese islamische Gemeinschaft, eine Reformbewegung, wird im muslimisch geprägten Pakistan bekämpft. Übergriffe, die Zerstörung von Moscheen der Ahmadiyya, auch Morde sind nicht ungewöhnlich.

Deshalb ist die Zentrale der Ahmadiyya heute in London. Zehntausende Anhänger leben in Deutschland, in diesem Jahr feiern sie 100 Jahre Ahmadiyya in Deutschland. "Das hier in Erfurt wird unsere 78. Moschee", sagt Malik. Noch braucht es eine Weile, um den Bau fertigzustellen, vor allem die Außenanlage zu gestalten. "Am 3. Oktober ist Tag der Offenen Moschee in Deutschland", sagt Malik. "Eigentlich wollen wir dann schon hierher einladen."

Ach ja, eins erläutert er noch. Vom Minarett werde künftig kein Muezzin-Ruf ertönen. Aber es sei so etwas wie ein Leuchtturm, der auf das islamische Gotteshaus hinweisen solle.

Christoph Strack



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