Von München nach Kairo
Das jesuitische Kulturzentrum "El Nahda" in Kairo hatte vom 11.-15. September 2017 die Filmstadt "Mini-Kairo" ins Leben gerufen, die von über einhundert ägyptischen Kinder im Alter von 10-18 Jahren besucht wurde.
Das Projekt fand in Kooperation mit der Stadt München (Deutschland) statt, drei deutsche und sieben ägyptische Künstler wirkten daran mit, das Stadtspiel "Mini-München" nach Kairo zu holen. "Mini-München", ist eine Miniaturstadt, die alle zwei Jahre in München aufgebaut, und komplett von ihren jungen Besuchern verwaltet wird. Ziel ist es, dass die Kinder ihre Fähigkeiten entwickeln und zu kreativem Denken und gesellschaftlicher Partizipation ermutigt werden. Nebenbei werden Werte wie Freiheit, Koexistenz und kulturelle Diversität gelebt.
Mariam Abd al-Rahman, Direktorin der Filmstadt "Mini-Kairo" erklärt, Ziel sei es, den Kindern anhand der Miniaturfilmstadt zu zeigen, wie Filme entstehen. In mehreren Studios wurde jeweils ein anderer filmrelevanter Bereich vermittelt: Schauspiel, Regie, Kostümbildnerei, Verfassen eines Drehbuchs, Rundfunk und Journalismus.
Für ein friedliches Zusammenleben von Kindern
Mariam arbeitet in der Animationsschule des jesuitischen Kulturzentrums. Im letzten Jahr nahm sie mit ihren Kollegen an einem Workshop über die Produktion von Animationsfilmen teil, der im Rahmen von "Mini-München" stattfand. Seit seiner Rückkehr arbeitete das Team an der Umsetzung eines ähnlichen Konzepts in Kairo.
"Mini-München" wurde vom Architekten Gerd Grüneisel und seiner Frau, der bildenden Künstlerin Margarete Grüneisl gegründet und fand erstmals im Jahr 1979, zum Internationalen Jahr des Kindes, statt, das die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) ausgerufen hatte.
Zentrales Anliegen des letzten Stadtspiels (2016, Anm. d.Ü.) war das friedliche Zusammenleben von Kindern unterschiedlicher Herkunft und kultureller Hintergründe in einer gemeinsamen Stadt. Das Stadtspiel findet alle zwei Jahre für drei Wochen während der Sommerferien statt: vom 1.-19. August in München, Deutschland.
Während sie prüft, ob die Workshops planmäßig ablaufen, berichtet Mariam Abd al-Rahman: "Als wir die Idee vorstellten eine Filmstadt nach dem Vorbild von "Mini-München" hier in Kairo aufzubauen erhielten wir von allen Seiten große Zustimmung. Sowohl die Veranstalter in Deutschland als auch die Verwaltung des jesuitischen Kulturzentrums ermutigten uns zu diesem Schritt."
Vielseitige Workshopangebote
Nach einem siebenstündigen harten Arbeitstag sitzt Mariam bei ihrem Team und evaluiert die Ereignisse des Tages. Sie besprechen die Probleme und wie mit ihnen umgegangen wurde. "Die größte Herausforderung für das Team war es, das Theater abzubauen und den Saal zu reinigen, sodass die Studios aufgebaut werden konnten", erklärt sie.
Und sie fügt hinzu: "Eine Woche lang haben zehn Freiwillige daran gearbeitet den Theatersaal vorzubereiten. Dabei verwendeten sie einfachste Materialien, Holzreste und alte Tische, die frisch angestrichen wurden sowie schwarze Stoffbahnen, die sie wirklich bezaubernd bemalten, um die Aufmerksamkeit der Kinder darauf zu lenken."
Menna Allah ist Schülerin in der ersten Sekundarstufe in Giza, Rose Abd Al-Majeed ist bereits in der dritten Stufe, sie lebt in Helwan, dem südlichsten Bezirk Kairos. Um an dem Festival teilzunehmen, müssen die beiden Mädchen über 1,5 Stunden Fahrzeit zum jesuitischen Kulturzentrum auf sich nehmen.
Die große Anzahl der angebotenen Workshops hat Rose überrascht. Am ersten Tag nahm sie gleich an zwei Workshops teil, einem für Fotografie und einem zum Schreiben von Drehbüchern. Sie besitzt zwar keine eigene Kamera, erklärt aber, dass sie ihr neu erworbenes Wissen über Fotografie auch im Umgang mit der Kamera ihres Handys anwenden kann.
Auch Menna Allah hat an diversen Workshops teilgenommen. "Ich habe viel über Fotografie gelernt, über die Bildeinstellungen und Belichtung. Außerdem habe ich einige neue Freundschaften geschlossen und Animationsfilme angeschaut." Niemals hätte sie sich vorstellen können, dass die Produktion eines Films so aufwendig sein und so viel Zeit kosten würde. "Doch für einen zweistündigen Film bedarf es monatelanger Arbeit des Filmens und Vorbereitens", erklärt sie.
Neue Welten entdecken
"Das Festival bietet den Kindern nicht nur Workshops an, es möchte ihnen einen Raum geben um neue Welten zu entdecken, die sie sich selbst kreieren." Mit diesen Worten weist der Künstler Ibrahim Saad auf die völlige Freiheit hin, mit der die Kinder sich in der Filmstadt bewegen. Sie wählen nicht nur die Workshops an denen sie teilnehmen möchten eigenständig aus, sondern ganz allgemein wird ihnen nichts vorgeschrieben.
Ibrahim erklärt, eines der Hauptziele des Projekts ist es, dass die Kinder soziale und pädagogische Kompetenzen erwerben, diese werden indirekt vermittelt: Die Regeln der Filmstadt ähneln den Gesetzen der realen Welt, zudem gibt es eine eigene Währung, den "Sahtoot". Im Austausch zur Teilnahme an Workshops erhalten die Kinder bei der Bank der Filmstadt "Sahtoot", mit denen sie sich in den Restaurants vor Ort Essen und Säfte kaufen können.
Die Aktivitäten in "Mini-Kairo" werden demokratisch organisiert: Jeden Morgen treffen sich die Workshopleiter mit den Kindern und diskutieren die Aktivitäten des vergangenen Tages sowie Vorschläge für den neuen Tag.
Doch damit nicht genug: Das Radio der Stadt gibt den Kindern Gelegenheit, ihre Meinungen zu äußern, sie wählen die Musik, die gespielt wird, und gestalten die Programmpunkte des Radios mit. Die Stadt verfügt ebenfalls über eine Post. Hier können die Kinder ihre Geschichten, Träume und Erfahrungen mit der Filmstadt aufschreiben, diese Briefe werden anschließend im Stadtradio vorgelesen.
Unter den Gästen in "Mini-Kairo" war die deutsche Fotografin Zoe Schmederer. Sie hat in der Vergangenheit schon viele Filmworkshops in "Mini-München" gegeben, in denen sie Kindern das Schreiben von Drehbüchern, Fotografie, Video und Montage nähergebracht hat.
Grenzenlose kreative Energie
Über die Festivals in München und Kairo sagt sie: "Die Kinder in Ägypten, wie in Deutschland, haben eine grenzenlose kreative Energie. Wir müssen ihnen nur die Chance geben sich auszudrücken, Spaß zu haben und zu lernen.
"Zusammen mit Zoe haben die Kinder vier Kurzfilme produziert, einen Großteil haben sie in den Straßen um das jesuitische Kulturzentrum herum gefilmt. "Die Straßen reflektieren das Leben in Ägypten", so Zoe. "Die Leute kennen einander, überall gibt es Cafés, Imbisse, Geschäfte und jede Menge Gedränge – und alles geschieht auf der Straße. In Deutschland findet das Leben eher drinnen statt, daher gibt es dort nur selten etwas auf der Straße zu sehen, das es wert wäre, gefilmt zu werden. Doch in Ägypten sind die Straßen den ganzen Tag über voller Leben."
Fünf Tage lang kreieren die Kinder eine Welt voller Zauber, Spaß und Kunst. Jaqueline Adel, Schülerin der zweiten Stufe, schminkt sich, vorsichtig, wie eine professionelle Make-Up Künstlerin. Schließlich schaut sie zu ihrer Freundin rüber und lacht über ihr neues, völlig verändertes, Erscheinungsbild.
Jaqueline erzählt von ihrer Begeisterung für Make-Up und Modedesign. Das sogar zu diesen beiden Themen Workshops angeboten wurden, war für sie eine besonders schöne Überraschung.
Islam Anwar
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