Ein Leichenzug als Höllenkommando
Als Bulbul, Hussain und Fatima ihren toten Vater aus dem Krankenhaus in Damaskus abholen, um seinen letzten Wunsch zu erfüllen und ihn im Heimatdorf bei Aleppo zu beerdigen, sind sie sich ihrer heiklen Aufgabe zwar bewusst, doch sie rechnen sich aus, die knapp 400 Kilometer lange Strecke quer durch Syrien trotz der vielen Checkpoints in einer Tagesreise zu schaffen.
Doch schon die ersten Etappen innerhalb von Damaskus sind von Stau, Straßensperren und stürmischem Wetter geprägt. Dazu kommt, dass die Geschwister seit Jahren kaum Kontakt miteinander hatten und auch zu ihrem Vater in keinem herzlichen Verhältnis mehr standen.
Mehr Höllenkommando als Leichentransport
Jetzt, da seine Leiche von vier Eisblöcken gekühlt auf der Rückbank des Minibusses liegt und ein Raumspray gegen unliebsame Gerüche vorsorglich zum Einsatz kommt, wird ihnen zunehmend bewusst, dass ihre Fahrt eher einem Höllenkommando als einem Leichentransport gleicht.
Khaled Khalifa, der bis heute in Damaskus lebt und dessen Romane in Beirut erscheinen, erzählt seine Geschichte mit grimmiger Ironie und einem sicheren Gespür für das Makabre. Im Vordergrund stehen zwar die Familienmitglieder und ihre Illusionen und Tagträume, denen sie sich auch während der Fahrt überlassen, sowie das Schicksal des einst politisch aktiven Vaters, wovon in zahlreichen Rückblenden erzählt wird.
Doch ebenso wichtig scheint dem Autor das schonungslose Porträt des gegenwärtigen Syrien, eines in Chaos und Anarchie versinkenden Landes, in dem ein Menschenleben nicht mehr viel zählt, wo die Kühlfächer der Krankenhäuser kaum noch die Leichen der Bewohner und Soldaten aufnehmen können und viele Teile des Landes einem Ruinenfeld mit Massengräbern gleichen.
Auf der Fahndungsliste der Geheimpolizei
Das bedrückende Setting des Romans wird gewissermaßen immer wieder aufgelockert durch die grotesken Zwischenfälle, die den Geschwistern auf ihrer nicht enden wollenden Fahrt zustoßen. So verlangt ein Wachposten, den sie passieren müssen, nicht nur eine hohe Summe Bargeld für die Weiterfahrt, sondern der Leichnam wird auch "festgenommen" und nach seinem Personalausweis gefragt, da sich der Name des Vaters auf einer Fahndungsliste der Geheimpolizei befindet.
Khalifa zeigt anschaulich, wie sich das Bürokratiemonster auch bei einem Toten höchst lebendig erweist und dass sich das stundenlange Warten an den Checkpoints letztlich nur durch Bestechung beenden lässt.
Dass der Vater früher ein bekannter Anhänger der Revolution war, bringt die Angehörigen in keine geringe Gefahr. Die Geschwister selbst sind unpolitisch. Bulbul, der sensibelste von ihnen, bereut schon bald, seinem Vater die Erfüllung seines Wunsches versprochen zu haben. Er schätzt sich selbst als feige und eher ängstlich ein, hat ursprünglich zwar Philosophie studiert, doch sich dann mit einer Tätigkeit bei einer "Lager- und Kühlfirma" begnügt, "eine stupide Arbeit, die keinerlei philosophische Kenntnisse verlangte."
Innerlich steht er seinem Vater jedoch am nächsten; so führt auch er eine unglückliche Ehe und sehnt sich wie einst sein Vater ein Leben lang nach seiner Jugendgeliebten – eine romantische Nebenlinie des Romans, die der Härte des überwiegend trostlosen Geschehens ein paar hellere Zwischentöne entgegensetzt.
Hussain fährt jeden Tag mit einem Service-Taxi durch die Stadt und transportiert russische Tänzerinnen in ihr Hotel. Obwohl er einst der Liebling und Hoffnungsträger des Vaters war, ist auch er heute komplett desillusioniert und wird während der Fahrt zunehmend wütend auf seinen Bruder, der ihn überredet hat, den Leichentransport in seinem Minibus zu übernehmen.
Alle Protagonisten – einschließlich des übermächtigen Vaters – sind keine Helden, und statt dass die gefahrvolle Fahrt die verunsicherten Geschwister einander wieder näher bringt, brechen im Gegenteil alte Wunden auf und die Feindseligkeit zwischen den Brüdern scheint zu wachsen.
Tiefer Riss durch die Familie
Der Riss, der durch die Familie geht, ist ebenso unheilbar wie der Zustand des ganzen Landes nach jahrelangen Kämpfen zwischen den Armeen des Regimes und den unterschiedlichen Truppen der Aufständischen.
So zieht sich die Fahrt viel länger als geplant und führt die drei nach unvorstellbaren Strapazen, bei denen sie einmal auf wilde Hunde treffen, die sich auf den toten Vater stürzen wollen, schließlich ins nördlich gelegene "Reich der Vermummung", das zwar eines der "befreiten Gebiete" Syriens ist, ihnen jedoch keineswegs freundlich gesonnen scheint. Dort empfangen sie schwerbewaffnete, ausgemergelte, unheimlich aussehende Soldaten, deren Gesichter verhüllt sind: "keine Gesichter, keine Regung, keine Mienen".
Besonders gelobt werden muss die Übersetzung von Hartmut Fähndrich, der die kraftvolle, reflektierte Sprache des Originals großartig ins Deutsche hinüberrettet. Der feine Ton der Ironie würzt den Text mit einem galligen Humor und macht die Leiden dieser Odyssee voller Abgründe und Widrigkeiten überdeutlich.
Der Ruf nach Freiheit und Menschlichkeit wird in diesem schmalen Roman zwar nirgends manifest, dafür hinterlässt er einen tiefen Eindruck authentisch gezeichneter, menschlich anrührender Charaktere.
Volker Kaminski
© Qantara.de 2018
Khaled Khalifa: "Der Tod ist ein mühseliges Geschäft", Aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich, Rowohlt-Verlag, 240 Seiten, ISBN: 9783498047023