Sehnsucht nach spannenden Geschichten
Ein kleiner Junge mit einem Wuschelkopf schaukelt auf dem leuchtend roten Hakawati-Schriftzug. Hakawati, arabisch für Erzähler, ist der Name des einzigen Buchladens in Jordanien, der ausschließlich Bücher für Kinder und Jugendliche anbietet. Das bunte Logo am Eingang der Buchhandlung ist ein echter Hingucker auf der Mekka Street, einer tristen Hauptverkehrsader im Geschäftsviertel von Amman.
Hakawati will mehr sein als nur eine Buchhandlung. Der Laden sieht sich als einen Ort der Kreativität für Heranwachsende mit Mal- und Bastelangeboten und einem Erzähltreff jeden Samstag, an dem Schüler eigene Texte vorstellen dürfen.
In den Regalen sind englische, französische und arabische Titel zu finden. Der Schwerpunkt liegt aber auf arabischer Literatur. Für die Kleinsten gibt es Bilderbücher, Lesen-Lern-Bücher, sogenannte Fühl-Bücher (Touch-and-Feel Books) und Hörbücher auf CD. Für die Altersgruppe ab sechs Jahren steht eine Auswahl von Autoren aus Ägypten, Jordanien, dem Libanon und den Vereinigten Emiraten zur Verfügung.
Jordaniens namhafte Kinderbuchautoren
Jordanien kennt eine ganze Reihe bekannter Kinderbuchautoren, angefangen bei Wafaa Taufiq al-Qoussous und Mohammed al-Zaher, bis zu Taghrid Najjar und Margo Malatjalian. Die beiden letzteren seien besonders populär unter den jordanischen Lesern, sagt die Managerin von Hakawati, Bayan Titi. Taghrid Najjar, eine Jordaniern palästinensischer Herkunft, hat insgesamt 40 Bücher für Kinder im Alter von bis zehn Jahren veröffentlicht. Die Autorin lebt in Amman und ist die Erfinderin einer aus sechs Bänden bestehenden populären Reihe namens "Al-Halazone" (Halazone Series) über das sechs Jahre alte Mädchen Jude und ihr Leben, illustriert von der syrischen Zeichnerin Lujaina Al-Aseel.
Auch Margo Malatjalian lebt in Amman. Geboren in einer armenischen Familie in Jerusalem, ist sie in Kerak, im Süden Jordaniens, aufgewachsen und wird heute in der gesamten arabischen Welt gelesen. In Saudi-Arabien stehen ihre Bücher sogar auf dem Lehrplan für die Grundschule. Neben Kinderliteratur hat Malatjalian auch zahlreiche Theaterstücke speziell für Kinder geschrieben und zeitweise das Kinderprogramm bei "Jordan TV" betreut.
Seitdem es Hakawati gibt, habe sich beim arabischen Kinderbuch sehr viel getan, findet Bayan Titi. Sie leitet den Buchladen mit Begeisterung. "Ich verkaufe Bücher aus Leidenschaft", sagt sie. Arabische Verlage legen heute wesentlich mehr Wert auf ansprechende Illustrationen, gute Papierqualität und attraktive Buchcover. Trotzdem zieht die Buchhändlerin persönlich nach wie vor ausländische Übersetzungen vor. "Ich respektiere die arabischen Autoren", sagt sie, "aber vielleicht sind sie manchmal zu ängstlich, jedenfalls sind sie nicht so kreativ wie die westlichen Kinderbuchautoren."
"Jinan" – die arabische Version von Pippi Langstrumpf
Vor allem schwedische Kinderbücher liegen zahlreich in arabischer Übersetzung vor. Astrid Lindgren ist auch in Jordanien sehr beliebt. Pippi Langstrumpf heißt auf Arabisch „Jinan“, aber auch „Rasmus und der Landstreicher“ (Rasmus and the Vagabond) oder „Mirabell“ werden gerne gelesen.
Und wie kommt eine so wilde Figur wie Pippi Langstrumpf beim arabischen Publikum an? Immerhin ist Pippi ein Mädchen, das alleine lebt und tun und lassen kann, was es möchte. Die arabischen Kinder mögen "Jinan" und ihre anarchische Art. Das Buch sei stark nachgefragt, sagt die Buchhändlerin Bayan Titi, "die Kinder lieben es. Nur die Schulen mögen Pippi Langstrumpf nicht. Ihnen ist die Schwedin mit den roten Haaren zu aufmüpfig."
Die große Auswahl an schwedischen Kinderbüchern ist vor allem der gebürtigen Jordanierin Mouna Henning Zureikat zu verdanken. Sie lebt schon lange in Schweden. Ihr Verlag "Dar Al-Muna" hat seit 1984 rund 130 schwedische Kinderbücher ins Arabische übersetzt. Die schwedischen Kinderbücher sind sehr beliebt, aber oft deutlich teurer als einheimische Produktionen.
Eine ähnlich phantasievolle Figur wie Pippi/Jinan sucht man bei den arabischen Autoren momentan noch vergeblich. Aber es gibt eine viel größere Auswahl an arabischen Kinderbüchern als noch in der Gründungszeit von Hakawati vor zehn Jahren. In vielen Büchern kommen durchaus auch mutige Mädchen als zentrale Figuren vor. Nur beim Jugendbuch wird es schnell dünn. Englisch vor Arabisch Die jordanische Autorin Rana Azzoubi hat zwei Romane für Kinder bis zwölf Jahre vorgelegt: "Through the Mud Wall" (2007) und "Million Star Hotel" (2009), allerdings in englischer Sprache. Doch ihre Geschichten kommen im Vergleich zu westlichen Jugendbüchern eher pädagogisch und betulich daher. Dass sie auf Englisch schreibt, hat vor allem mit dem zahlenmäßig begrenzten arabischen Buchmarkt zu tun. Der Markt für englische Bücher ist größer und Azzoubi verkauft ihre Bücher im gesamten englischen Sprachraum. In ihren Büchern geht es in erster Linie um die Kultur- und Naturschätze Jordaniens. Konflikte mit den Eltern, familiäre Probleme oder abweichendes Verhalten sucht man bei Azzoubi allerdings vergeblich. Aber warum gibt es eigentlich relativ wenige Jugendbücher in arabischer Sprache? Margo Malatjalian hat eine plausible Erklärung für dieses Phänomen. "Ich habe selber versucht, nach zahlreichen Kinderbüchern auch Geschichten für Jugendliche zu schreiben", erzählt sie. Sie habe es dann aber schnell bleiben lassen, denn die klassischen Themen in der Literatur für Jugendliche sind heikel. Im Jugendbuch geht es um Abenteuer, Selbstfindung, Sexualität und die erste Liebe. "Wenn ausländische Autoren über solche Themen schreiben, ist das durchaus in Ordnung", sagt Malatjalian. "Von jordanischen oder arabischen Autoren aber erwarten die Leser in der Region, dass sie derartige Themen meiden." Harry Potter hoch im Kurs Zum Beispiel würden auch Harry Potter Romane in der arabischen Welt begeistert gelesen. Hätte aber ein arabischer Autor Harry Potter erfunden, wären die Reaktionen wohl nicht so begeistert ausgefallen wie andernorts. Auch Abenteuerromane sind kein unproblematisches Genre: "Es ist schwierig für Autoren über Abenteuer zu schreiben, wenn ihre jugendlichen Leser selber nicht die Freiheit haben, hinaus zu gehen und sich selbst zu erproben." Das, so betont Malatjalian, gelte für beide Geschlechter. Als Autorin könne sie nicht am Publikum vorbei schreiben. "Ich will meine Bücher ja schließlich verkaufen." Insgesamt wird in der arabischen Welt immer noch zu wenig gelesen. "Aber diese Situation wandelt sich langsam", hofft die Buchhändlerin Bayan Titi. Um mehr Begeisterung für das Lesen zu wecken, lädt Hakawati auch zu elterlichen Vorlese-Runden ein. Die Sehnsucht nach spannenden Geschichten ist jedenfalls groß. Claudia Mende © Qantara.de 2014 Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de |
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