Kampf der Identitäten

Auf der Konferenz "Islam und moderner Nationalstaat" in in Berlin ging es um den Stellenwert von Säkularismus und Islam in den muslimischen Gesellschaften der Gegenwart.

Von Hicham Boutouil

​​Islam und Nationalstaat, das klingt nach Unvereinbarkeit von politischer und religiöser Idee, nach dem "Demokratie-Diktat" des Westens und dem Unvermögen der islamischen Welt, in der Moderne anzukommen.

Die Veranstaltung lieferte den Gegenbeweis: Die Verbindung von Islam und Nationalstaat, das ist nur eine Frage des Selbstbildes, der Identität islamischer Länder, so die geladenen Experten. Der Frage, wie muslimische Gesellschaften sich in einem nationalen Kontext definieren, ging man dabei aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf den Grund.

Aus seinen Untersuchungen zu Ausprägungen religiöser und nationaler Identitäten zog der Religionswissenschaftler der Universität Bochum, Volkhard Krech, den Schluss, dass manche religiösen Traditionen, etwa das Judentum und der Protestantismus, "Säkularisierungsfaktoren" darstellten.

Säkularismus versus politischer Islam

Andere Bekenntnisse wie der Islam oder evangelikanische Kirchen hingegen könnten eine starke Ausprägung nationaler und religiöser Identität miteinander vereinen, Politik und Religion vermischen. Diese politische Religiosität lasse sich besonders in Ländern feststellen, in denen die ökonomische Ungleichheit stark ausgeprägt sei.

Daran anknüpfend machte die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer deutlich, dass in den meisten muslimischen Ländern eine "massive Ablehnung" des Säkularismus vorherrsche. Im islamistischen Diskurs werde Säkularisierung als "feindliche Übernahme" der muslimischen Gemeinschaft betrachtet.

Der Trennung von Staat und Religion werde die Idee des "empowerment" gegenübergestellt: Der Islam gebiete es den Gläubigen, aktiv in das Machtgefüge des Staates einzugreifen.

"Nationaler Dschihad"

Als ein Gemisch aus Nationalismus und Islamismus dränge sich so der "nationale Dschihad" in die politische Machtverteilung ein und gebäre sich durch Speisung der Armen und verpflichtendem Eigentumsbegriff als "islamischer Wohlfahrtsstaat".

Auf den Wettstreit zwischen arabischen Nationalismus und Islamismus ging Alexander Flores von der Universität Bremen ein: Der politische Islam habe dem Nationalismus zentrale "Motive der politischen Programmatik" abgejagt und sie umgedeutet, so Flores. Aus Antiimperialismus sei der Kampf gegen die Kreuzzügler geworden, die arabische Identität habe man in eine islamische umgedeutet.

Der iranische Sonderfall

Auf die Konstruktion einer iranisch-islamischen Identität ging Anja Pistor-Hatam von der Universität Kiel ein. Durch die Kombination der persischen Sprache und des zwölferschiitischen Islams habe sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine nationale Identität herausgebildet. Andere Ethnien und Religionsgruppen wie Juden oder Baha'i hätten in diesem Konzept keinen Platz gefunden, sondern zur Abgrenzung gedient.

Zunächst sei der "Mythos vom goldenen Zeitalter der vorislamischen Vergangenheit" während der Ära Pahlavi gepflegt und glorifiziert worden. Nach der islamischen Revolution, mit dem Ende der "vorislamischen Zeit des Unwissens", folgte die Verschmelzung von Islam und Iran, so die Islamwissenschaftlerin.

Auch der Islamwissenschaftler und Nahostexperte Udo Steinbach beschrieb die islamische Revolution von 1979 als geschichtliches Ereignis wichtigsten Ranges.

Ein Ereignis, dessen Auswirkungen man, ähnlich denen der Französischen Revolution, erst mit dem Abstand mehrerer Generationen werde erkennen können. Im derzeitigen Atomkonflikt mit dem Westen vereine sich "Trauma und Status" der iranischen Identität, so Steinbach.

Felix Engelhardt und Hicham Boutouil

© Qantara.de 2008

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