Brüchiger Friede

Ein Jahr nach der Unabhängigkeit spitzt sich die Krise im Süd-Sudan zu. Streitigkeiten um den gemeinsamen Grenzverlauf, Flüchtlingsströme sowie der Streit um Ressourcen erschweren eine langfristige Einigung der beiden rivalisierenden Nachbarstaaten. Von Stefan Wolff

Von Stefan Wolff

Am 2. August lief das von Afrikanischer Union und UN-Sicherheitsrat gestellte Ultimatum an die Regierungen des Nord- und Südsudans aus. Ziel war es, die anhaltenden Konflikte, die aus der Trennung des Südens vor einem Jahr resultierten, zu lösen.

Obwohl es scheinbar kleine Fortschritte gegeben hatte, wurden die Verhandlungen schließlich ohne Ergebnis abgebrochen. Doch innerhalb weniger Stunden einigte man sich schließlich doch noch bezüglich des Erdöls sowie auf eine verlängerte Frist für die Lösung verbliebener Probleme.

Dies mag bizarr erscheinen, aber es passt zu der Taktik aus Konfrontation und Einlenken in letzter Minute nach internationaler Vermittlung und ist gekoppelt an eine Politik von "Zuckerbrot und Peitsche", was die Beziehungen beider Seiten in den letzten Jahren belastet hatte und eine politische Herausforderung vor allem für den Südsudan darstellt.

Der Südsudan erlangte seine staatliche Unabhängigkeit gemäß den Bestimmungen des Friedensabkommens zwischen der "Sudanesischen Volksbefreiungsfront" und der Regierung des Gesamtsudan aus dem Jahr 2005, was den Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden beendete.

Option für das Friedensabkommen

Der südsudanesische Präsident Slva Kiir, Foto: Reuters
Streit um Grenzregionen und Erdölexporte: Die Vereinten Nationen hatten Südsudans Präsident Slva Kiir und den sudanesischen Präsidenten Omar Hassan al-Baschir am 2. Mai unter Androhung von Sanktionen aufgefordert, ihre militärischen Feindseligkeiten sofort einzustellen und Streitfragen bis zum 2. August zu klären.

​​Die Unabhängigkeit mag nicht von vornherein ausgemacht gewesen sein. Aber sie war eine vorgesehene Option des Friedensabkommens und kam schließlich durch einen Prozess in drei Schritten zustande: ein Referendum am 9. Januar bestätigte den Wunsch einer überwältigenden Bevölkerungsmehrheit des Süd-Sudan zur Abspaltung vom restlichen Territorium, am 9. Juli wurde die Unabhängigkeit offiziell verkündet und am 14. Juli wurde der Südsudan als 193. Mitglied in die Liste der Vereinten Nationen aufgenommen.

Jedoch bedeutete dies eine Fortsetzung, nicht aber das Ende der Probleme zwischen Nord und Süd. Denn weder war das Friedensabkommen in Bezug auf die südsudanesische Unabhängigkeit detailliert genug, noch waren beide Seiten in der Lage, eine Verständigung in Fragen, die mit der Verwaltung der Separation zusammenhängen, zu erreichen: Während des Folgejahres beschränkten sich die Streitigkeiten auf die Frage der Zugehörigkeit von Abyei und die Markierung einer gemeinsamen Grenze, Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft (in erster Linie für Südsudanesen im Norden) sowie finanzielle Streitigkeiten im Zusammenhang mit Öl-Ressourcen.

Mehr als ein Jahr nachdem der Südsudan seine Unabhängigkeit erklärt hatte, bleiben nicht nur diese Angelegenheiten ungelöst, vielmehr haben sich die Beziehungen zwischen beiden Seiten derart verschlechtert, dass sie im Frühjahr 2012 kurz vor dem Ausbruch eines neuen Krieges standen.

Neue Herausforderungen für den Südsudan

Auch steht der Südsudan vor neuen, vielfältigen Herausforderungen, um seine eigene Staatlichkeit aufzubauen. Dabei hängen die gegenwärtigen innerstaatlichen Konflikte, die politischen Auseinandersetzungen und Aufstände, die komplexe humanitäre Krise sowie der Kollaps der Wirtschaft direkt mit den Beziehungen der Nachbarstaaten zusammen.

Die Abyei-Krise ist symptomatisch für die Art und Weise, in der der Nord-Sudan den Staatsaufbau des Südens beeinträchtigt. Eine Volksabstimmung, die im Friedensvertrag parallel zum Referendum im Süden vorgesehen war, fand nicht statt, da sich beide Parteien, trotz intensiver internationaler Vermittlung, nicht bezüglich des Wahlverfahrens einigen konnten. Beide Seiten beanspruchten das Gebiet für sich.

Abyei wurde danach umso mehr von Gewalt zwischen lokalen Gemeinden einerseits und Kämpfen zwischen regulären Einheiten Sudans und Südsudans andererseits heimgesucht. Dies geschah trotz Einschaltung einer UN-Friedenstruppe und entsprechender Vereinbarungen, die vor und nach der Sezession getroffen wurden.

Unabhängigkeitsfeiern in Juba am 9. Juli 2011, Foto: dapd
Aufbruch in eine ungewisse politische Zukunft: Vor mehr als einem Jahr, am 9. Juli 2011, löste sich der Südsudan vom Sudan und wurde ein selbstständiger Staat. Zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg waren vorausgegangen.

​​Während in der Abyei-Frage noch immer keine neue Einigung zustande kam, überlagerte im März und April 2012 ein weiterer großer Konflikt die schwierigen Beziehungen. Beide Seiten beschuldigten sich gegenseitig, für bewaffnete Auseinandersetzungen und Unterstützung von Kämpfern auf der jeweils anderen Seite der Grenze verantwortlich zu sein. Infolgedessen wurde ein geplantes Treffen zwischen den Präsidenten beider Staaten abgesagt, das für den 3. April 2012 in Juba geplant war.

Schwelender Konflikt um Öl-Einnahmen

Damit wurde eine weitere Gelegenheit verpasst, die Fragen bezüglich der Verteilung der Öl-Ressourcen und Staatsangehörigkeit der Einwohner in Abyei zu regeln. Die zunehmende Aggressivität auf beiden Seiten führte schließlich zwischen dem 10. und 20. April zum Einmarsch südsudanesischer Truppen in das Gebiet von Heglig, nachdem Vorwürfe laut wurden, dass der Norden dieses Gebiet als Operationsbasis für Angriffe gegen den Süden nutzte.

Ein gleichzeitig schwelender Konflikt um die Öl-Einnahmen eskalierte im Januar 2012 und hatte zur Folge, dass der Süden die komplette Öl-Produktion einstellen musste. Dies hatte gravierende Auswirkungen auf beide Länder zur Folge. Südsudans Öl-Ressourcen umfassten vor dem Jahr 2011 in etwa Dreiviertel des Gesamt-Sudan. Zurzeit verfügt aber der Norden über die bessere Export-Infrastrukur, was zu einer gegenseitigen Abhängigkeit beider Staaten führte. Da 98 Prozent der öffentlichen Ausgaben im Süden vom Öl-Export gespeist werden, hatte die Entscheidung der Regierung, kein Öl mehr zu liefern, signifikant negative Auswirkungen auf den Aufbau des eigenen Staatswesens.

Zusätzlich zu den Spannungen um Öl-Ressourcen und den künftigen Grenzverlauf, sind Aufstandsbewegungen auf beiden Seiten aktiv. Die Auseinandersetzungen an der Grenze führten zu einer enormen Steigerung der Lebensmittel- und Öl-Preise. Da es nun weniger Einnahmen aus dem Öl-Geschäft gab, konnten beide Länder nicht genügend Grundnahrungsmittel importieren und die Inflation stieg an.

Dramatische Flüchtlingskrise

Der Verlust an Einnahmen verursachte Verzögerungen bei Bauvorhaben und führte zu einer Verschlechterung der humanitären Lage sowie zu einer größeren Abhängigkeit von den großen Geberländern.

Die ohnehin hoffnungslose Lage in den vom Konflikt betroffenen Gebieten, vor allem in der südlichen Provinz Jonglei sowie an der Grenze zum Norden, wo es bereits im ersten Jahr nach der Unabhängigkeit 500.000 Flüchtlinge gab, verschlechterte sich weiter: Zusätzlich kamen zehntausende Flüchtlinge aus Abyei, 170.000 Flüchtlinge aus den Provinzen Blauer Nil und Süd-Kordofan, 390.000 Rückkehrer aus dem Norden, und weiteren 330.000 Flüchtlingen aus den Nachbarländern.

Yida-Flüchtlingscamp in Süd-Kordofan; Foto: AP
Dramatische Flüchtlingssituation: Nach Angaben des UNHCR halten sich gegenwärtig im Südsudan 170.000 Menschen aus dem nördlichen Bruderstaat auf. Aus den sudanesischen Bundesstaaten Süd-Kordofan und Blauer Nil kämen täglich neue Flüchtlinge hinzu. Die Gesundheitssituation sei dort noch immer dramatisch, so das Flüchtlingshilfswerk.

​​Die Herausforderungen in den Bereichen innere und äußere Sicherheit, Vertreibungen und Rückkehrer, einhergehend mit der Wirtschaftskrise und einer Dürreperiode, führten zu einer Nahrungsmittelknappheit, von der annähernd neun Millionen Menschen betroffen sind. Die Möglichkeiten, hierauf adäquat zu reagieren, sind begrenzt, solange die Wirtschafts- und Sicherheitskrise weiter anhält und die komplexen Probleme des Nordens mit denen des Südens eng verwoben sind.

Als südsudanesische Einheiten die Gegend um Heglig besetzten, entwarf die Afrikanische Union am 24. April eine Art "Roadmap" zur Vermittlung zwischen dem Sudan und Südsudan, um die vorherrschenden Spannungen abzubauen und die Wiederaufnahme von Verhandlungen sowie Normalisierung der Beziehungen nach der Abspaltung des Südens einzuleiten.

Handlungsspielraum in engen Grenzen

Diese "Roadmap" der Afrikanischen Union wurde vom UN-Sicherheitsrat in einer Resolution vom 2. Mai 2012 verabschiedet. Gleichzeitig wurde beiden Seiten mit Sanktionen gedroht, falls diese bis zum 2. August keine Einigung erzielen würden. Doch die Frist inzwischen verstrichen, obwohl die Gespräche fortdauern. Angesichts der Heftigkeit dieser Krise ist dies nicht irgendeine Frist. Es zeigt die klaren Grenzen der Möglichkeiten von AU und UN auf, in diesen Fragen konstruktive Ergebnisse vorzuweisen. Da die zentralen Fragen ungelöst bleiben, bietet dies weiteren Stoff für zukünftige Konflikte.

Der Ablauf der "Roadmap" der Afrikanischen Union ist bezeichnend für das Dilemma, in dem sich der Südsudan seit seiner Unabhängigkeitserklärung befindet. Zwei eher ernüchternde Schlussfolgerungen sind unausweichlich:

Erstens hat sich die schlechte Situation für die Bevölkerungsmehrheit im ersten Jahr nach der Unabhängigkeit kaum verbessert. Vor dem Hintergrund des blutigen Bürgerkrieges zwischen 1983 und 2005 ist dies mehr als bedrückend.

Zweitens hat der Großteil des Scheiterns im Aufbau eines funktionierenden Staatswesens im Südsudan seine Ursache im Versagen regionaler Autoritäten. Während im Friedensvertrag institutionelle Mängel zum Vorschein kamen, wurden diese durch einen mangelnden Willen in der Krisenbewältigung zwischen Nord und Süd verschärft. Bis dieser Mangel an politischem Willen überwunden ist und der Südsudan und der Sudan die Gelegenheit nutzen, um ein Übereinkommen zu erreichen, wird die Gefahr des Rückfalls in einen neuen Krieg bestehen bleiben.

Stefan Wolff

© Qantara.de 2012

Übersetzt aus dem Englischen von Fabian Schmidmeier

Redaktion: Arian Fariborz