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Blick auf ein zerstörtes Zelt in Gaza. Im Vordergrund hängt ein Zetell auf dem in arabischer und englischer Schrift "Presse" steht. Im Hintergrund sind Journalisten zu sehen.
Palästinenser und ein Kameramann inspizieren ein zerstörtes Zelt, das von Journalisten genutzt wurde, in Deir al-Balah, Gaza (22. Juli 2024), Foto: Ashraf Amra via Anadolu/picture alliance.

Gerade im Gaza-Krieg ist eine seriöse Berichterstattung schwierig. Westliche Medien sind auf Menschen aus dem Gazastreifen angewiesen, die ihnen Bild- und Tonmaterial zur Verfügung stellen. Darunter sind seriöse Journalisten ebenso wie als Journalisten getarnte Hamas-Mitglieder.

Von Sineb El Masrar

Hinweis der Redaktion: 

Dieser Artikel entstand in einer Übergangsphase der Qantara-Redaktion im Juli 2024. Der Text entspricht auf redaktioneller sowie auf argumentativer Ebene nicht unseren Standards. Schwer wiegt für uns, dass der Text Annahmen über muslimische Menschen und die palästinensische Gesellschaft im Besonderen reproduziert, die wir in unserer Arbeit durch wissenschaftlich fundierte Beiträge versuchen zu dekonstruieren. Aus Transparenzgründen haben wir uns jedoch entschieden, den Text für alle zugänglich auf unserer Website zu belassen.

Das Qantara-Redaktionsteam, 2. September 2024

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Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat der sogenannte Nahostkonflikt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt mehr Raum in der globalen medialen und gesellschaftlichen Sphäre eingenommen. Was früher nur einem kleinen Teil der Bevölkerung als Medienrezipienten vorbehalten war, stellt sich heute als globale Dauerbeschallung dar. Kaum jemand kann sich dank mobiler Endgeräte in Form von Smartphones den Nachrichten, Bildern und Videos gänzlich entziehen.

In akuten Kriegszeiten kommt hinzu, dass eine objektive Berichterstattung einer Mammutaufgabe gleicht. Die Arbeitsbedingungen für gründlich recherchierenden Journalismus sind nicht nur gefährlich, sondern auch umzingelt von Propagandainteressen verschiedener Kriegsakteure. Im Falle des Gaza-Krieges sind dies nicht nur Israel und die Hamas, sondern unter anderem auch das Emirat Katar und die Islamische Republik Iran, die nachweislich die Hamas in verschiedenen Bereichen unterstützt. Es folgte das Massaker vom 7. Oktober 2023, dem vor allem jüdische, aber auch muslimische Israelis sowie andere Opfergruppen wie z.B. thailändische Einwohner zum Opfer fielen.

Verstörende Bilder

Die Bilder, die seit Beginn des Krieges um die Welt gehen, sind verstörend, grausam und oft unerträglich. Nicht selten handelt es sich zudem um eine Mischung aus Bildern von Verletzten und Leichen, die der Desinformation dienen. Nur ausgewählte Medien können vor Ort aus dem Gazastreifen berichten. In der Regel sind westliche Medien darauf angewiesen, dass ihnen Menschen aus dem Gazastreifen Bild- und Tonmaterial zur Verfügung stellen. Unter ihnen sind seriöse Journalisten, aber auch als Journalisten getarnte Hamas-Mitglieder, die nicht journalistisch arbeiten.

Vor allem die tragischen Aufnahmen aus dem Gazastreifen finden weltweit große Resonanz – ob inszeniert oder nicht. Das Leid ist groß und wird in den internationalen Medien weit verbreitet. Vor allem bei jenen Rezipienten, die die Opfer vor allem auf der palästinensischen Seite verorten und die israelischen Opfer ausblenden.  

„Das Leid ist groß und wird in den internationalen Medien weit verbreitet. Vor allem bei jenen Rezipienten, die die Opfer vor allem auf der palästinensischen Seite verorten und die israelischen Opfer ausblenden.“

Es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass sich die Weltgemeinschaft auf die Seite der Palästinenser stellt, anstatt das Leid beider Seiten anzuerkennen und sich mit den Zivilisten beider Gesellschaften gleichermaßen zu solidarisieren. Dies spiegelt sich vor allem in der ausländischen Berichterstattung wider. Allen voran der des Nahen Ostens, die sich aus konfessionellen und regionalen Gründen mit den Palästinensern verbunden fühlt.  

Blick auf zerstörte Häuser im Gazastreifen. Im Vordergrund laufen eine Journalistin und ein Kameramann.
Seit Beginn des Krieges in Gaza gehen Bilder von Zerstörung und Leid um die Welt. Westliche Medien sind auf Menschen im Gazastreifen angewiesen, die ihnen Bild- und Tonmaterial zur Verfügung stellen, wie Reba Khalid al-Ajami, Reporterin des türkischen Senders TRT Arabi, mit einem Kameramann hier in Rafah, Foto: Abed Zagout via Anadolu/picture alliance.

Jahrzehntelanges Narrativ

Hinzu kommt ein jahrzehntealtes Narrativ in allen islamisch geprägten Ländern, das antiisraelisch ist und das Existenzrecht Israels schlicht nicht akzeptiert. Auf dieser Basis verfängt keine sachliche Berichterstattung, sondern nur eine, die propagandistisch ist, weil sie die immer gleichen hasserfüllten Vorurteile und Opfernarrative proklamiert. Akzeptiert wird nur das Verschwörungsnarrativ, das das eigene Feindbild mit weiterem Material unterfüttert. Auch dies erschwert die Berichterstattung global. Denn sachliche Berichterstattung, die informiert und nicht den vorgefertigten Verschwörungsglauben reproduziert, gilt als korrupt und als Desinformation. 

Diesem Denken liegt eine Haltung zugrunde, die nicht nur aus Unkenntnis der Geschichte und des Kriegsverlaufs herrührt, sondern auch aus der Schwarz-Weiß-Malerei. Kurz: Israel = Aggressor, staatenlose Palästinenser = Opfer. Dass der Konflikt hochkomplex ist, stört die Parteinahme eher und macht eine sachliche Diskussion fast unmöglich. Schon deshalb, weil kein Interesse daran besteht, sich besonnen an den vorhandenen Fakten zu orientieren.

„Kurz: Israel = Aggressor, staatenlose Palästinenser = Opfer. Dass der Konflikt hochkomplex ist, stört die Parteinahme eher und macht eine sachliche Diskussion fast unmöglich.“

Und in Zeiten, in denen Fakten immer schwerer zu erkennen sind und die Flut von Texten, Videos und Bildern eine Überprüfung immer schwieriger macht, gewinnen allein die Emotionen. Im Krieg stirbt nicht nur die Wahrheit zuerst. Krieg weckt eine ganze Palette von Gefühlen: Wut, Angst und Trauer treffen aufeinander und vernebeln das rationale Denken. Doch gerade die Emotionen sind Teil der psychologischen Kriegsführung und werden bewusst getriggert und entsprechend gefüttert. Je nach geopolitischen Interessen.  

„Wut, Angst und Betroffenheit treffen aufeinander und vernebeln das rationale Denken. Doch gerade die Emotionen sind Teil der psychologischen Kriegsführung und werden bewusst getriggert und entsprechend gefüttert.“

Im Fall des israelisch-palästinensischen Konflikts gibt es zudem mehr als zwei Parteien. Andere Staaten können die geweckten Emotionen nutzen, um den Westen zu destabilisieren. Die Mobilisierung gegen westliche Demokratien gelingt auf diese Weise spielend. Ohne Waffeneinsatz im Westen. An den Universitäten, auf den Straßen, in den Parlamenten und auch in den Schulen werden die Orte erschüttert, an denen freies Denken, Bildung und Meinungsfreiheit gelehrt und gepflegt werden. Hinzu kommt die Überlastung der Sicherheitskräfte durch permanente Polizeieinsätze.

Das alles geschieht vor allem durch Desinformationskampagnen aus dem Ausland, die einerseits als Auslandssender über Sendelizenzen verfügen, vor allem aber über die sozialen Medien unzählige Menschen emotional erreichen und auch aufhetzen. Und das ist nicht neu. Denn ein kaum beleuchteter Aspekt dieses Nahostkonflikts ist, dass die Sache der Palästinenser instrumentalisiert wird, um westliche Demokratien zu destabilisieren. 

Ausbildung in Desinformation

Der Vorwurf, der Westen würde sich nicht für die Palästinenser einsetzen, ist nicht neu und wurde schon von der DDR geschickt genutzt, die die PLO mit Waffen belieferte, sie in Desinformation schulte und trotz Terroranschlägen im Westen mit diplomatischer Aufwertung adelte und den israelisch-palästinensischen Konflikt weiter verkomplizierte. Nichts davon hat ihnen zu einem eigenen Staat verholfen.  

„Ein kaum beleuchteter Aspekt dieses Nahostkonflikts ist, dass die Sache der Palästinenser instrumentalisiert wird, um westliche Demokratien zu destabilisieren.“

Das Interesse am Leid der palästinensischen Bevölkerung ist auf Seiten der Propagandisten nicht vorhanden. Die Strategie der Instrumentalisierung wurde bereits von Nazi-Deutschland angewandt. Obwohl die Nazis die Araber im britischen Mandatsgebiet Palästina verachteten, waren sie nützlich genug, um sie gegen die Briten im Nahen Osten zu instrumentalisieren.

Sie nahmen den islamisch geprägten Antisemitismus als Grundlage, vermischten ihn mit dem europäischen Antisemitismus und hetzten die Muslime vor Ort gegen die jüdische Bevölkerung und die zionistischen Einwanderer auf. Dazu bedienten sie sich schon damals der Medien. Allen voran des Radios. Der Weltfunksender Zeesen sendete in arabischer Sprache in die Region und infizierte die Menschen mit antisemitischen und antibritischen Berichten. Diese Propaganda wurde als antikolonialistisch ausgegeben. Die Folgen dieser Propaganda wirken bis heute nach und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Denn anders als in Deutschland wurde die NS-Vergangenheit im Nahen Osten selbst nie aufgearbeitet. Dieser Aufgabe müssen sich auch die deutschen Medien stellen, wenn sie den wachsenden Antisemitismus in muslimischen Kreisen hierzulande verstehen und darüber berichten wollen.

Diese problematischen Einstellungen treffen auf die sozialen Medien. Denn jeder, der Zugang zum Internet und ein Smartphone hat, ist potenziell ein Sender und nicht, wie jahrhundertelang, vor allem ein Empfänger. Das Privileg, mit seinen Gedanken, Analysen und Beobachtungen zu publizieren, gelesen und gehört zu werden, war lange Zeit nur wenigen vorbehalten.

Die Foto Illustration zeigt einen Nutzer, der am Smartphone durch seinen News Feed auf der Plattform X scrollt.
Fotoillustration eines Nutzers der Plattform X, der durch seinen News Feed scrollt. Heutzutage können Bilder, Videos und Texte mit nur einem Klick millionenfach verbreitet werden, Foto: Jaap Arriens via NurPhoto/picture alliance.

Ein Klick – millionenfache Wirkung

Heute, wo sich Aktivisten und Influencer als Journalisten ausgeben, wird viel mehr Propaganda betrieben. Und weil es seit dem Aufkommen der sozialen Medien nicht mehr nur beim Rezipieren bleibt, beteiligt sich jeder an der Propaganda, indem er die jeweilige Desinformation liked und teilt.

Damit wird er selbst Teil der Desinformation. Er wird selbst Teil des Krieges, während er auf dem Sofa liegt oder im Zug zur Arbeit fährt. Die Bilder, Videos und Texte, die niemand überprüfen kann oder will, werden mit einem Klick millionenfach verbreitet.

Die Inhalte Nazi-Deutschlands wirken bis heute nach. Im Nahen Osten ebenso wie in Deutschland. Im Zuge der Diskussion um Flüchtlinge aus islamisch geprägten Ländern, die für diese Propaganda sehr empfänglich sind, muss man von einem re-importierten Antisemitismus sprechen. Denn die Sender der islamistischen Hamas oder der Hisbollah bedienen die immer gleichen antisemitischen Narrative der Vergangenheit. Während im Kinderprogramm des Hisbollah-nahen Senders Al-Manar TV kleinen Kindern eingetrichtert wird, Juden seien wie Schweine und Affen, berichtet der Hamas-Sender Al Aksa TV, der Holocaust sei eine Erfindung der Juden selbst und den Nazis in die Schuhe geschoben worden, um Israel gründen zu können. Die Militäroperation in Rafah, bei der neben zivilen Opfern auch die für den 7. Oktober verantwortlichen Hamas-Kader getötet wurden, zeigte, wie soziale Medien Nachrichtenmedien beeinflussen können. Das KI-generierte Bild von Rafah, das unter dem Hashtag „All Eyes on Rafah“ viral ging, zeigte schneebedeckte Berge, die es im Gazastreifen nicht gibt, und suggerierte die gezielte Bombardierung eines Flüchtlingslagers. Wie das ZDF aufwendig recherchierte, fand der Angriff außerhalb der Schutzzone statt. Selbst religiöse TV-Prediger loben Hitler in arabischen Sendungen, die auch im Westen gesehen werden. 

„Die Sender der islamistischen Hamas oder der Hisbollah bedienen die immer gleichen antisemitischen Narrative der Vergangenheit. Selbst religiöse TV-Prediger loben Hitler in arabischen Sendungen, die auch im Westen gesehen werden.“

Wie einst Yusuf al Qaradawi, der mit seiner eigenen Sendung „Die Scharia und das Leben“ im vergleichsweise unabhängigen TV-Sender Al Jazeera jahrzehntelang nicht nur arabischsprachige Zuschauer im Nahen Osten, sondern auch im Westen erreichte. Dieser lobte 2009 in einem Interview mit dem Sender Hitler für seine Judenvernichtung und kündigte an, dass „So Gott will, wird das nächste Mal diese durch die Hand der Gläubigen erfolgen.“

Gerade vor dem Hintergrund postkolonialer Debatten wird die deutsche Verantwortung für diesen Teil der Geschichte in dieser Region völlig vernachlässigt. Auch in der Berichterstattung. Das ist fatal, denn bis heute rächt sich diese NS-Propaganda im Nahen Osten und hierzulande, bis heute wird der palästinensischen Bevölkerung ein friedliches und sicheres Leben ohne Hass verwehrt.

Umso wichtiger ist es, Verantwortung für dieses dunkle Kapitel der Geschichte zu übernehmen und medial darüber aufzuklären und zu sensibilisieren. Wer es mit objektiver Berichterstattung und Postkolonialismus ernst meint, darf dies nicht ignorieren. Die Tatsache, dass ausländische Sender das propagandistische Erbe der Nationalsozialisten fortsetzen, darf deutsche Medien nicht daran hindern, sachlich und kompetent über den Konflikt zu berichten. Wie im Fall der Berichterstattung über eine vermeintliche Hungersnot im Gazastreifen, die es laut dem kürzlich veröffentlichten Integrated Food Security Phase Classification (IPC) Report nicht gab und gibt. Veraltete Bilder von todkranken Kindern in Kliniken mischten sich mit Bildern aus dem Syrienkrieg 2015. Aktuelle Bilder von vollen Marktständen und Grillstationen im Gazastreifen, die von palästinensischen Jugendlichen selbst in den sozialen Medien verbreitet wurden, suchte man in deutschen Nachrichtensendungen vergeblich.  

Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender, die dank des Rundfunkbeitrags unter keinem großen wirtschaftlichen Druck stehen, dürfen ihre Berichterstattung nicht an diesen Verschwörungsgläubigen ausrichten. Sachlich saubere Berichterstattung ist keine Dienstleistung, sondern ein Grundrecht für alle Rezipienten in diesem Land. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit entbindet Medienschaffende nicht von der Pflicht zur Wahrheitsfindung.

Sineb El Masrar

© Qantara.de 2024

Sineb El Masrar ist Autorin, Moderatorin, Journalistin und Dramaturgin. 2018 erschien ihr Buch „Muslim Men: Wer sie sind, was sie wollen“, in dem sie Vorurteile gegenüber muslimischen Männern kritisch aufgreift. 2021 wurde ihr Theaterstück „Dunkle Mächte“ am Westfälischen Landestheater Castrop Rauxel uraufgeführt. Es thematisiert Antisemitismus und Verschwörungsglauben in der postmigrantischen Gesellschaft.