Blockdenken in Ost und West überwinden

Auf Einladung von Bundespräsident Joachim Gauck kamen im Berliner Schloss Bellevue mehrere Tausend Bürger zum Austausch am "Ort der Begegnungen" zusammen. Ein Stimmungsbild von Fabian Pianka über deutsche Willkommenskultur, die Möglichkeiten von Kunst in Konfliktsituationen und den Dialog mit der islamischen Welt.

Von Fabian Pianka

Deutschland müsse ein "Brückenbauer zwischen den Kulturen" sein, so der deutsche Bundespräsident zum Auftakt seiner Rede beim diesjährigen Berliner Bürgerfest am 30. August. Dafür sei es notwendig, dass Deutschland "Zugewanderten helfe, sich besser zu integrieren", betonte Gauck in Anspielung auf die teilweise "angespannte" Willkommenskultur in Deutschland, wie es jüngst die Diskussion über den Umgang bei der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen wieder deutlich gemacht hat. Veränderung dürfe kein Privileg von wenigen sein, so der Bundespräsident.

Mehr als 10.000 Teilnehmer, von denen sich viele in besonderem Maße ehrenamtlich engagieren, waren der Einladung ins Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, gefolgt, um sich zu vernetzen und neue Strategien zu entwickeln. Außerdem wurden über 20 Organisationen vom Bundespräsidialamt dazu ausgewählt, ihre Arbeit einem breiten Publikum vorzustellen. So präsentierte die Anna-Lindh-Stiftung, die sich für den Dialog der Kulturen zwischen Europa und den südlichen und östlichen Mittelmeeranrainern einsetzt, ihre 43 Länder umspannenden Aktivitäten.

Einblick in die Vielfalt Deutschlands: Bundespräsident Joachim Gauck lud mehr als 17.000 ehrenamtlich Engagierte zum Bürgerfest ins Schloss Bellevue ein. Dort präsentierten sie ihre Initiativen und Projekte, zum Beispiel wie hier mit Bildergalerien.

Das vom Goethe-Institut und dem Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft (ZAK) geleitete deutsche Netzwerk der Stiftung engagiert sich in den Bereichen Kultur, Bildung und Medien. Professor Caroline Robertson-von Trotha, Leiterin des ZAK, betonte im Gespräch mit Qantara.de die Bedeutung, besonders auch junge Menschen für den interkulturellen Austausch und Dialog zu gewinnen. Dabei zeige sich in Zeiten Web 2.0-basierten Inhalten und Blogs, dass auch in der virtuellen Welt persönliches Engagement gefragt sei, so Robertson-von Trotha.

Mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der MENA-Region, so die gebürtige Schottin, werde deutlich, dass sich nachhaltige Veränderung nicht schnell und kurzfristig erzwingen lässt. Kontinuität, die Intensivierung von Kontakten und vor allem auch das emphatische Verständnis für die Situation der Menschen in den betreffenden Konfliktregionen seien nötig, um vertrauenswürdige Austauschmöglichkeiten zu schaffen.

Die Kraft performativer Angebote

Die Förderung des interkulturellen Austauschs zwischen jungen Menschen ist besonders mit Blick auf die Konflikt- und Krisenregionen äußerst wichtig. In diesem Sinne plädiert Michael Krebs, Vorstandsmitglied der Organisation "Begegnungen  2005", die sich für Völkerverständigung einsetzt, dass es zuerst darum gehen müsse, die Menschen zu erreichen und in Kontakt zu bringen. Dies gelinge weitaus besser durch performative Angebote und Angebote zu assoziativem Wissenstransfer, etwa durch Kunst- und Musikprojekte, als durch Workshops und Seminare.

Musik und Kunst bringen Menschen zusammen und öffnen die Herzen trotz unterschiedlicher Sprache und Herkunft. Später könnten dann durchaus auch komplexere und problematischere Themenfelder angesprochen werden, so Krebs weiter.

Diesen Gedanken aufgreifend präsentierte sich auch die Gesellschaft "West Östlicher Diwan Festival Weimar", die im Rahmen der Initiative "Der Orient im Spiegel der Dichtung" Gedichte von Nasreddin, Omar Chajjam und Hafis vorstellten. Diese inspirieren seit Jahrhunderten die Werke europäischer Dichter, nicht zuletzt Goethes "West-Östlichen Diwan". Dr. Klaus Gallas, künstlerischer Leiter des "West Östlicher Diwan Festivals Weimar", erklärt, dass es in Zeiten der Globalisierung eine stetige Herausforderung für die Kulturpolitik sei, das "Blockdenken" in West und Ost, in Orient und Okzident, abzubauen. Es gehe darum "gegenseitige Berührungsängste, Vorurteile, Ignoranz und Missverständnisse, die auf beiden Seiten bestehen, aufzudecken und transparent zu machen." Nur so könnten Annäherung und Verständigung zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturkreise gefördert werden, so Gallas.

Projekt Heroes: Eine Frage der Ehre

Die mittlerweile weit über Deutschland hinaus bekannt gewordene Organisation "Heroes", die mit dem "Bambi" für Integration ausgezeichnet wurde, hat sich das Engagement für Gleichberechtigung und gegen Gewalt im Namen der Ehre auf die Fahne geschrieben. Seit 2007 sind die "Heroes", meist junge Männer mit türkischen oder arabischen Wurzeln, in Berlin und anderen Städten Deutschlands unterwegs, um gegen falsch verstandene Werte anzukämpfen.

Kampf gegen falsches Ehrgefühl: Der 36 Jahr alte palästinensische Psychologe Ahmed Mansour ist nicht nur Gruppenleiter bei der Organisation Heroes, sondern auch wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Gesellschaft für demokratische Kultur und freier Autor. Mit seinen Publikationen engagiert er sich gegen Rassismus, Antisemitismus und für eine moderne Pädagogik.

In ihren Seminaren setzen sich die jungen Männer mit Themen wie Ehre, Identität, Geschlechterrollen und Menschenrechten auseinander. Es geht dabei um die Überwindung von patriarchalen Strukturen und Vorstellungen von Ehre, die durch die Erziehung oder die Clique weitergegeben werden. Gerade Jugendliche mit Migrationshintergrund, die sich zwischen den traditionellen Werten ihrer Herkunftsgesellschaft und den Anforderungen der Mehrheitsgesellschaft, in der sie leben, befinden, stehen oft zwischen zwei Welten und müssen gegensätzliche Erwartungen erfüllen. Hinzu kommen Unsicherheiten in Hinblick auf die eigene Kultur, die aktuell durch die Umbrüche in Teilen der arabischen Welt im Wandel ist.

Einer falschen Deutung des Begriffs "Ehre" entgegenzuwirken, bedeutet für "Heroes" allerdings mehr als gegen die Kontrolle von einem "anstandslosen" Lebenswandel der Frauen oder gegen kulturelle Relativierungen anzugehen. Die Projektteilnehmer setzten sich auch für das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aller Menschen ein und kämpfen entschieden gegen Homophobie an. Ahmad Mansour, ein 36-jähriger Palästinenser, ist einer der Gruppenleiter von "Heroes" und seit acht Jahren In Deutschland.

Viele Jugendliche aus Migrationsfamilien denken nicht darüber nach, was sich hinter dem Begriff "Ehre" verbirgt. Deshalb sei es einer der größten Erfolge, wenn die jungen Leute begönnen, Dinge zu hinterfragen. "Das ist so", sagt Ahmad Mansour, "ist der Satz, der am häufigsten als Erklärung herhalten muss, wenn die Jugendlichen nicht weiter wissen. Dieser Satz muss weg aus den Köpfen."

Fabian Pianka

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de