Brückenschlag über kulturelle Grenzen hinweg

Anfang dieses Jahres veranstaltete ein Gemeindezentrum in Südwestengland zum ersten Mal ein Wochenende mit "Liedern und Geschichten für Syrer", bei dem nicht nur syrische Flüchtlingskinder Literatur und Musik erleben konnten, sondern auch englische Kinder, die künftig mit ihnen gemeinsam lernen werden. Von Marcia Lynx Qualey

Von Marcia Lynx Qualey

Die Wochenendveranstaltungen im County Gloucestershire ging aus dem Projekt "Singing for Syrians" hervor, das die englische Hands-Up-Stiftung 2014 ins Leben rief. Doch anders als viele Benefizveranstaltungen, die für englische Besucher und Flüchtlinge getrennt angeboten werden, brachte dieses Winterwochenende syrische und englische Kinder zusammen und bot zweisprachige, bikulturelle Unterhaltung.

Das Wochenende basierte auf einer Idee von Ruth Ahmedzai Kemp, der Mitgründerin der Mehrsprachigkeits-Kooperative "Babel Babies", und der syrischen Kinderbuchautorin und Illustratorin Nadine Kaadan. Die Lieder, die von "Babel Babies" zur Verfügung gestellt wurden, begleiteten Kaadans Kunst- und Vorlesestunden. Ihre Workshops hatten mehrere Ziele: Sie sollten als Willkommensgeste an die Syrer verstanden werden, die sich an das Leben in einer fremden Umgebung gewöhnen müssen. Sie sollten es englischen Kindern ermöglichen, Syrer zu treffen und syrische Geschichten zu hören. Darüber hinaus dienten sie als Fundraiser-Event für "Hands Up", damit die Organisation diejenigen Syrer, die sich durch ihren ersten englischen Winter kämpfen, konkret unterstützen kann.

Obwohl die britische Regierung gegen Ende der Parlamentsperiode im Jahr 2015 noch zugesagt hatte, insgesamt 20.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, betrug die Anzahl der Syrer, denen tatsächlich humanitärer Schutz gewährt wurde, im September 2016 laut Kemp nicht einmal 5.000.

Lieder und Geschichten eignen sich gut dazu, den syrischen Menschen, die schon im Land sind – und die noch kommen werden – das Gefühl zu vermitteln, dass sie willkommen und in Sicherheit sind. Kaadan äußerte die Hoffnung, dass das Wochenende Schule macht. "Wir ermutigen Einzelpersonen, Gemeinden, Kirchen und Schulen in ganz Großbritannien, eigene zukunftsgerichtete Veranstaltungen auf die Beine zu stellen, die für alle zugänglich sind, vor allem für Kinder!"

Syrische Geschichten für britische Kinder

Kaadan, eine preisgekrönte Bilderbuchautorin, kam 2011 aus Syrien nach London. Sie hat mit ihren knapp dreißig Jahren bereits über ein Dutzend Kinderbücher veröffentlicht, von denen viele von Kindern handeln, die auf Grund von Krieg oder Behinderungen in der Gesellschaft eine Randexistenz führen. In den letzten Jahren hat Kaadan in Lagern an den Grenzen Syriens, aber auch in England mit Flüchtlingskindern gearbeitet. Während ihrer Lesungen versucht sie, britischen Kindern syrische Geschichten nahezubringen.

Kürzlich veröffentlichte Kaadan ihr erstes Kinderbuch in englischer Sprache: The Jasmine Sneeze. Sie würde "sehr gerne mehr solcher Veranstaltungen in ganz England organisieren." Doch das ist noch nicht alles. "Ich würde auch gerne Kinderbuchautoren aus Syrien einladen, die aus ihren eigenen Büchern vorlesen", sagt sie. "Und ich hoffe, dass solche Lesungen, bei denen wir auf Arabisch und Englisch singen und Geschichten aus Syrien und Großbritannien vorlesen, ein echtes Gefühl von Solidariät und multikulturellem Miteinander vermitteln."

Eine Illustration von Kaadans ersten Bilderbuch in Englisch: "The Jasmine Sneeze" ; Foto: Lantana publishing
"Wenn Kinder Lieder aus einem anderen Land singen oder Geschichten von dort hören, lernen sie so viel – über eine andere Sprache, eine andere Denkweise und eine andere Art, universell gültige Ideen auszudrücken", sagt Ruth Ahmedzai Kemp, Initiatorin des Projekts "Babel Babies".

Englische Kinder haben bisher noch kaum Möglichkeiten, Syrien und syrische Menschen anders als durch die Nachrichten kennenzulernen, nämlich durch ihre Kunst und Musik. Nur eine Handvoll arabischer Kinderbücher sind bisher ins Englische übersetzt worden - von einem syrischen Kinderbuchautor wohl gar keins. Kaadans neues Buch The Jasmin Sneeze ist eines der wenigen Bilderbücher über Syrien.

"Für englische Kinder wäre solch eine Erfahrung von unschätzbarem Wert", meint sie. "Wenn Kinder Lieder aus einem anderen Land singen oder Geschichten von dort hören, lernen sie so viel – über eine andere Sprache, eine andere Denkweise und eine andere Art, universell gültige Ideen auszudrücken."

Über den kriegerischen Konflikt hinaus

"Immer wenn ich Freunden Nadines Buch The Jasmine Sneeze zeige, sind sie beeindruckt von ihrem spielerischen Umgang mit der Farbe und den lebhaften, organischen Mustern in den dargestellten Szenen – den Kacheln, den Teppichen, der Architektur, den schmiedeeisernen Ornamenten", erzählte Kemp. "Es ist mir wichtig, die Menschen daran zu erinnern, dass Damaskus nicht nur die politische Hauptstadt eines vom Krieg verwüsteten Landes ist, sondern ein wahres Juwel – die alterwürdige 'Jasminstadt'."

Das Jubiläumswochenende vom vergangenen Februar bot Kunst- und Schreibworkshops, Vorlesestunden und Singkreise. Kaadans Workshops und Lesungen richteten sich an Kinder ab fünf jahre, während die "Bewegung-mit-Musik"-Angebote von "Babel Babies" eher jüngere Kinder ansprechen sollten. "Willkommen war bei uns aber im Prinzip jeder", so die Initiatorin.

Nach dem großen Erfolg der Workshops hofft Kemp, ähnliche Projekte in Manchester und Bristol zu organisieren. "Wir freuen uns, wenn Initiativen und Ehrenamtliche in der Flüchtlingsarbeit, die so etwas bei sich durchführen wollen, mit uns Kontakt aufnehmen."

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2017

Übersetzung aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff