Wider die Islamisierung der Muslime
Seit Beginn der Proteste gegen den hetzerischen Muhammad-Schmähfilm werde ich häufig von vielen deutschen und europäischen Medien als "Expertin mit arabischem bzw. islamischem Hintergrund" kontaktiert. In Interviewsituationen werde ich dann meist wie selbstverständlich zu Beginn des Gesprächs von hiesigen Medienvertretern gefragt: "Frau Salah, warum stürmen Muslime die westlichen Botschaften?" oder: "Warum sind die Muslime so wütend auf den Westen?"
Die Art der Fragestellung offenbart ein beunruhigendes Phänomen – nämlich, dass viele deutsche und westliche Meinungsmacher zum Teil demselben Denkschema anhängen wie radikale Islamisten bzw. Salafisten, die für die Gewalt und Angriffe auf westliche Einrichtungen verantwortlich sind. Vermutlich ist das nicht beabsichtigt.
Doch leider ändert dieser Befund nichts daran, dass westliche Mainstream-Medien in Ihrer Berichterstattung über die Proteste in vielen islamisch geprägten Ländern gegen den primitiven Muhammad-Schmähfilm ein einseitiges und zu simples Bild der Muslime und ihrer komplexen Lebensrealität zeichnen. Vor allem werden in vielen Medienbeiträgen Muslime mit radikalen und gewalttätigen Islamisten auf unzulässige Art gleichgesetzt.
Eindimensionale Sichtweise
In der hiesigen Medienberichterstattung wird auch der Islam insgesamt als eine irrationale, aggressive Einheit dargestellt. Mit der Vielfalt der muslimischen Gläubigen, ihrer Anhänger, Sprachen, Bevölkerungsgruppen und Kulturen hat diese verkürzte Sicht freilich wenig zu tun.
Das Gleiche tun übrigens auf der anderen Seite radikale Islamisten. Die muslimischen Eiferer betrachten den "Westen" kulturell und politisch als eine geschlossene Einheit, die ihre Religion kollektiv verachtet und permanent mit Füßen tritt.
Zudem können (oder vielleicht wollen) radikale Islamisten zwischen den verschiedenen westlichen Staaten, Regierungen, ihren Bevölkerungen und den fundamentalistischen Filmemachern nicht unterscheiden. Sowohl westliche Mainstream-Medien als auch radikale Islamisten verallgemeinern, wo Differenzierung geboten ist – und tragen somit zur Eskalation bei.
Bedauerlicherweise stellen öffentlich-rechtliche Medien wie ARD und ZDF hierbei keine rühmliche Ausnahme dar. Die Tagesschau betitelte am 14.09.2012 die Angriffe auf westliche Botschaften folgendermaßen: "Muslime stürmen US-Botschaften". Auch in der schweizerischen Tageschau hieß es am selben Tag: "Zorn von Muslimen kennt keine Grenzen mehr". Ähnliche Schlagzeilen lieferten auch die Printmedien – wie z.B. der "Focus" der "Stern", die "Welt" bis hin zur "taz".
Pauschalisierung und fehlende Einordnung
Man stelle sich vor, internationale Medien würden bei ihrer Berichterstattung über fremdenfeindliche Übergriffe zwischen gewalttätigen Rechtsextremisten und der Gesamtheit der deutschen Bevölkerung nicht unterscheiden! Wie würde man hierzulande reagieren, wenn in ausländischen Zeitungen Schlagzeilen wie: "Deutsche stürmen Ausländerwohnheime" oder: "Deutsche verbrennen Asylbewerberunterkünfte" zu lesen wären?
Auch die Zuschreibung der Täter als "die Muslime" ist nicht nur falsch, sondern realitätsfern. Denn dabei wird übersehen, dass die große Mehrheit der Muslime sich klar gegen diese Gewalttaten ausgesprochen hat und auch nicht an "Massen-Demonstrationen" beteiligt war. Apropos "Massen-Demonstrationen": Was sind schon 3.000 Demonstranten in einer 20 Millionen Metropole wie Kairo? Sind solche Zahlen also repräsentativ für die Mehrheit der Muslime im Land? Auch die Verhältnismäßigkeit wird oft außer Acht gelassen.
Der einseitige Mediendiskurs- und Fokus auf die Ereignisse in der islamischen Welt sowie die starke Fixierung auf den Faktor Religion produzieren Zerrbilder und fördern das Phänomen der Islamisierung der Muslime. Und dadurch nimmt die Gefahr zu, dass Medien aufgrund fehlender kritisch-reflektierter Sichtweisen als Resonanzboden für anti-islamische Stimmungen fungieren können.
Neben diesem eindimensionalen Blick auf Muslime durch die mediale Brille stellt die mangelnde Kontext-Vermittlung ein großes Problem der durch die Medien vermittelten Bilder dar. Denn jede seriöse Berichterstattung muss politische Faktoren, wie etwa die gegenwärtige Schwäche des Staates in den postrevolutionären arabischen Staaten in Ländern wie Libyen und Ägypten, berücksichtigen, will man die Ereignisse korrekt und sachlich einordnen.
Die Komplexität der muslimischen und der arabischen Gesellschaften und die Vielfalt der Menschen werden jedoch in den westlichen Mainstream-Medien nur auf die religiöse Identität reduziert. Ausgeblendet bleiben globale, ökonomische und politische Ursachen für die erschreckenden Gewaltausbrüche in der Region.
Wer bin ich?
In Interviews mit Medienvertretern beendeten die Journalisten das Gespräch meist mit Fragen wie: "Frau Salah, wie können wir Sie einordnen? Sind sie Muslimin oder Christin?". Darauf entgegnete ich empört mit einer Gegenfrage: "Würden Sie diese Frage etwa auch einem deutschen Politikwissenschafter stellen?"
Ich möchte dieses Spiel der Medien wirklich nicht mitspielen und mich erstens als eine "starke muslimische Frau" und zweitens als eine "aufgeklärte Muslimin", die Gewalt prinzipiell ablehnt, dargestellt wissen.
Das Schablonendenken schadet und negiert zweifelsohne die Multikulturalität und den Reichtum von Personen mit sogenannten Mehrfach-Identitäten, denen die Medien jedoch bewusst nur eine Identität zubilligen wollen, nämlich ausschließlich die muslimische!
Hoda Salah
© Qantara.de 2012
Die ägyptisch-deutsche Politikwissenschaftlerin Hoda Salah ist an der Freien Universität und am Otto-Suhr-Institut in Berlin tätig. Sie arbeitet ferner in Deutschland und Ägypten als unabhängige Politikberaterin. Darüber hinaus ist sie bei "Amnesty International" und der "Arab's Women Solidarity Association" aktiv. Sie lebt in Berlin und Kairo.
Redaktion: Arian Fariborz & Loay Mudhoon/Qantara.de