Sophia Deeg: Ich bin als Mensch gekommen

Im Jahr 2002 drangen Menschenrechtsaktivisten zum belagerten Amtssitz des palästinensischen Präsidenten Arafat vor, um als "menschliche Schutzschilde" zu fungieren. Sophia Deeg hat darüber ein Buch geschrieben

Von Ulrike Vestring

​​"Es ist richtig, was Sie gemacht haben … Ich danke Ihnen" – Mit diesen Worten verabschiedet sich der Steward von El Al, der israelischen Fluggesellschaft, von der sympathischen Deutschen, die man kurz vor dem Abflug von Tel Aviv in seine Maschine gebracht hat.

Auf dem Flug nach München hat er von ihr erfahren, warum sie abgeschoben wird. Für die Journalistin Sophia Deeg war es ihre vorerst letzte Reise nach Israel und Palästina. Die israelische Regierung hat ihr ein zehnjähriges Einreiseverbot erteilt.

In ihrem im Berliner Aufbauverlag erschienenen Buch "Ich bin als Mensch gekommen" berichtet Sophia Deeg von dieser Reise. Hauptschauplatz ist Ramallah, der Sitz der palästinensischen Autonomiebehörde. Dort droht im Frühjahr 2002 eine neue gewaltsame Besetzung durch die israelische Armee.

Sophia Deeg und ihre Tochter leisten gemeinsam mit internationalen und israelischen Freiwilligen gewaltfreien Widerstand unter dem Motto: "Mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams gegen ein vor Gewalt strotzendes Monster."

Stellvertretend für die Zivilbevölkerung der Stadt wollen sie auf der Einhaltung von Menschenrechten bestehen und für Gerechtigkeit und Frieden eintreten. Folgerichtig heißt der Untertitel des Buches "Internationale Aktivisten für einen Frieden von unten."

Neben ihrem Erfahrungsbericht und den daran anknüpfenden Reflektionen bringt die Autorin im Anhang Originaltexte von Augenzeugen aus mehreren Städten Palästinas sowie Dokumente und Friedensappelle vor allem von israelischen Autoren. Außerdem enthält das Buch eine wertvolle Zusammenstellung von Namen und Adressen zivilgesellschaftlicher Organisationen und Initiativen.

Keine Sicherheit für Friedenskämpfer

Zurück nach Ramallah: die spontan dort zusammengekommene Gruppe fühlt sich dem "International Solidarity Movement (ISM)" verbunden. Das ist eine von Palästinensern und Internationalen gegründete Basisorganisation, die ein Jahr später traurige Bekanntheit erlangen sollte: ihr gehörte Rachel Corrie an, die junge Amerikanerin, die bei dem Versuch, im Gazastreifen ein palästinensisches Wohnhaus vor der Zerstörung zu bewahren, von einem Bulldozer der israelischen Armee überrollt und getötet wurde.

Damit wurde eine Grenze überschritten: inzwischen können ausländische Friedenskämpfer nicht mehr sicher sein, mit ihrem Einsatz das Leben der palästinensischen Zivilbevölkerung zu schützen, weil sie selbst Gefahr laufen, erschossen zu werden. Sophia Deegs Bericht stammt aus der Zeit vor Rachels Tod.

"Ist das Krieg?"

Beklemmend wird geschildert, wie der zu erwartende besonders massive Armeeangriff die lebhafte orientalische Stadt binnen Stunden in eine Art Totenhaus verwandelt. "Was meinst Du, ist das Krieg?" fragt eine junge Italienerin verstört. Die Freiwilligen werden von den diplomatischen Vertretungen ihrer Herkunftsländer informiert, dass die israelische Armee nach eigenem Bekunden auf alles schießen werde, was sich bewegt, auch auf die Internationalen.

Trotzdem gelingt es den ISM-Aktivisten mit Geduld und List und schließlich einer Portion Chuzpe, zu einem Krankenhaus vordringen, das von israelischen Panzern abgeriegelt ist. Und schließlich geleiten sie von dort zwei Ärzte samt dringend erforderlichem Verbandmaterial und chirurgischen Instrumenten zur Muqatta, dem Amts- und Wohnsitz des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat.

Menschliche Schutzschilde für den Präsidenten

Der umfangreiche und auch damals bereits stark zerstörte Gebäudekomplex ist von Panzern der israelischen Armee umstellt, die Einnahme scheint stündlich bevorzustehen. Angesichts dieser Gefahr entschließt sich die Gruppe der Freiwilligen, als "menschliche Schutzschilde" für Arafat und seine Mitstreiter in der Muqatta zu bleiben.

Sophias detailgenauer Bericht über diesen mehrtägigen Aufenthalt bildet das Herzstück ihres Buches. Leserinnen und Leser erfahren Einzelheiten, die in keinem unserer Medienberichte vorkommen, und sie bekommen darüber hinaus Einblick in die basis-demokratischen Entscheidungsprozesse einer Solidaritätsgruppe unter extremen Bedingungen.

Das Hauptanliegen der Freiwilligen ist es, den von der Kommunikation mit der Außenwelt abgeschnittenen Menschen eine Stimme zu geben. Die mitgebrachten Mobiltelefone sind im Dauereinsatz. So gelingt es, weltweit Medienaufmerksamkeit zu erreichen.

Zweifel am eigenen Handeln

Auch für die Autorin ist das ein unbestreitbarer Erfolg; dennoch diskutiert sie freimütig über Sinn und politische Bedeutung ihres Engagements. Wäre es nicht richtiger, die unendlich leidende Zivilbevölkerung zu schützen, statt den Chef der opportunistischen und korrupten Autonomiebehörde?

Andererseits: für die Palästinenser verkörpert die Person ihres Führers einen Rest von Würde, auch wenn er in Wahrheit ein politischer Gefangener ist, und der Staat, dessen Präsident er sein soll, mehr und mehr zur Illusion verkommt. Seine Gesten – ein Kuss auf die Stirn für jeden Freiwilligen – haben für die Autorin etwas Rührendes und gleichzeitig Peinliches.

Schließlich überwiegen ihre Zweifel, und sie verlässt mit einer kleinen Gruppe das Präsidentenquartier, während ihre Tochter mit anderen Freiwilligen weiter dort aushält.

In den zwei Jahren seitdem sind die Zweifel eher gewachsen, nicht nur bei Sophia Deeg: wie oft hat die israelische Armee inzwischen mit Einnahme oder Zerstörung der Muqatta gedroht, wie viele Freiwillige hatten daraufhin auf dem Matratzenlager unter Arafats Privaträumen als "menschliche Schutzschilde" genächtigt?

Beide Seiten sind Opfer

Der gewaltlose Widerstand der Internationalen in Palästina steht für Sophia Deeg in einem größeren Zusammenhang. Sie ist Mitglied bei attac, dem aktiven Netzwerk der Globalisierungskritiker, die auch für die Verteidigung der Menschenrechte eintreten.

Die neoliberale Globalisierung, argumentieren sie, ist und bedeutet Krieg. So gesehen sind auch die Israelis Opfer. Opfer sind aber vor allem die in den besetzten palästinensischen Gebieten seit Jahrzehnten gedemütigten und entwürdigten Menschen.

Einfache Lösungen für den seit mehr als einem halben Jahrhundert schwelenden und periodisch aufflammenden Nahostkonflikt haben auch die Friedensaktivisten aus aller Welt nicht anzubieten. Sie versuchen, den Eingeschlossenen praktische Solidarität zu zeigen und die Verletzung ihrer elementaren Rechte öffentlich zu machen.

Gegen die Angst ankämpfen

Wie das im Einzelnen geschieht, schildert das Buch in spannenden und gleichzeitig anrührenden Einzelepisoden. Die französischen, englischen, italienischen, belgischen Aktivisten, mit denen Sophia Deeg und ihre Tochter sich zusammentun, sind alles andere als tollkühn, und manchmal haben sie schlichtweg Angst.

So versuchen sie, Risiken zu minimieren. Sie verabreden Verhaltensweisen, um als Gruppe Sicherheit zu bieten für die Einzelnen. Niemals laufen gehört dazu ebenso wie sich beim Vorrücken an den Händen zu halten, weil eine untergehakte Gruppe aggressiv wirkt.

Wir erfahren, wie Handy-Besitzer vor dem einzigen wackeligen Stuhl Schlange stehen, weil man auf ihm stehend bessere Verständigungsmöglichkeiten hat, oder wie andere aus dem gleichen Grund bäuchlings das Ohr an ihre auf dem Boden liegenden Apparate pressen.

Obwohl es Strom gibt, sitzen die Friedensaktivisten tagelang hinter verbarrikadierten Fenstern im Dunkeln, zum Schutz vor Panzern und Raketen. Wasser ist Mangelware in der Muqatta. Als der Kran an einem Handwaschbecken seit Tagen zum ersten Mal etwas hergibt, beschließt die Autorin, ihre Haare zu waschen.

Aber richtig gelingt das erst, als einer der jungen palästinensischen Wachsoldaten auf seinem Gaskocher etwas Wasser warm macht und es ihr aus einer Flasche über den Kopf gießt. Sophia ist angekommen – als Mensch.

Ulrike Vestring

© Qantara.de 2004

Sophia Deeg: Ich bin als Mensch gekommen
Internationale Aktivisten für einen Frieden von unten
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2004, 296 S., 9,50 €

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