Als Oslo den Nahost-Friedensprozess anschob
Ausgelassen und gut, so beschreibt Jan Egeland die Stimmung, die herrschte zwischen Israel und der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), als beide Parteien 1993 bei den Osloer Friedensgesprächen zusammentrafen. Egeland hat in seiner Laufbahn viele Krisengespräche erlebt und Krisenländer bereist. Die norwegische Pop-Band Ylvis hat ihm sogar ein Lied gewidmet, in dem sie ihn als "peacekeeping machine" bezeichnet.
An seine erste große Aufgabe, die ihm damals mit 36 Jahren als stellvertretender Außenminister gestellt wurde, erinnert er sich besonders gut: Er sollte Gespräche zwischen Vertretern der israelischen Regierung und der PLO in Oslos Hinterzimmern möglich machen und ausrichten, als "facilitator", Vermittler und Unterstützer.
"Die beiden Parteien haben direkt und alleine miteinander gesprochen. Da waren auf beiden Seiten wirklich gute Leute", erinnert sich Egeland bescheiden. Als Chefverhandler für Israel saßen Premierminister Jitzchak Rabin und der Diplomat Uri Savir am Tisch. Auf der palästinensischen Seite nahm neben dem damaligen Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat, der Israel lange als Terrorist galt, auch PLO-Mann Ahmed Kureia am Verhandlungstisch Platz.
Egeland und die anderen Mitglieder des norwegischen Vermittlerteams behandelten beide Parteien mit dem gleichen Respekt, berichtet er: "Wir haben sie in den gleichen Autos vom Flughafen abgeholt, sie saßen an den gleichen Tischen und bekamen die gleiche Aufmerksamkeit".
Egeland hatte auch die finanzielle Verantwortung für die Gespräche. "Sie haben sich kennengelernt und wir merkten, dass sie langsam begannen, sich zu vertrauen", erzählt der Diplomat, der heute das "Norwegian Refugee Council" leitet und als UN-Sonderkoordinator für Syrien tätig ist. Schritt für Schritt habe man sehen können, wie die Bemühungen, diese verfeindeten Parteien einander näher zu bringen, Früchte trugen.
Science Fiction in Washington
Neun Monate und zahlreiche Gespräche später war es plötzlich soweit: Vertreter der israelischen und palästinensischen Führung stimmten einer gemeinsamen Grundsatzerklärung zu, die den Weg zur Errichtung der palästinensischen Autonomiebehörde ebnete und zur gegenseitigen Anerkennung zwischen Israel und der PLO. Das Abkommen von Oslo war entworfen.
Auf einmal schien der langersehnte Frieden zwischen Israelis und Palästinensern zum Greifen nah, als sich am 13. September 1993 Israels Ministerpräsident Jitzchak Rabin und Jassir Arafat, Chef der PLO, auf dem Rasen des Weißen Hauses die Hände gaben - unter den Augen der Weltöffentlichkeit.
Auch der damalige norwegische Außenminister Johan Jørgen Holst war dabei, um dieser historischen Geste der Versöhnung beizuwohnen: Zwei erbitterte Feinde präsentierten sich als Partner - durch die Unterstützung Norwegens. Der damalige US-Präsident Bill Clinton dankte in seiner Rede dem skandinavischen Land. Norwegen, nicht die USA als jahrelanger Vermittler, hatte ein solch bedeutendes Abkommen möglich gemacht.
Heute erinnert die Szene von vor 25 Jahren auf dem Rasen unter der Sonne Washingtons an einen Science Fiction-Film, dessen Erfindungen nie Wirklichkeit werden: Die beiden Partner auf Zeit sind heute so weit voneinander entfernt, wie sie es nur selten waren in den vergangenen Jahrzehnten.
Die Norweger blicken positiv auf "Oslo"
Doch obwohl es seit dem Abkommen von Oslo nie Frieden im Nahen Osten gegeben hat, ist der Oslo-Friedensprozess für viele Skandinavier heute trotzdem immer noch eine Errungenschaft. "Dieses Gefühl ist nicht mehr so stark wie früher, aber viele Norweger sehen den Oslo-Prozess immer noch als Erfolg", sagt Hilde Waage. Sie ist Historikerin an der Universität in Oslo, hat das Friedensinstitut PRIO in Norwegens Hauptstadt von 1992 bis 1993 geleitet und wurde 2001 vom Außenministerium damit beauftragt, die Rolle Norwegens bei den Friedensverhandlungen für den Nahen Osten zu untersuchen: Was befähigte das kleine Norwegen überhaupt dazu, sich in so einen großen Konflikt einzumischen? War Norwegen neutral? Diesen Fragen ging Hilde Waage bei ihrer Untersuchung nach.
Zahlreiche Versuche, direkte Kontakte zwischen Israelis und Palästinensern herzustellen, waren in den Jahren zuvor gescheitert. Und dann war da auf einmal die erfolgreiche norwegische Delegation: Terje Rød-Larsen, Soziologe und ehemaliger Leiter des soziologischen Forschungsinstituts Fafo mit Verbindungen zur norwegischen Arbeiterpartei.
Er wurde zur zentralen Vermittlerfigur, pendelte zwischen Israelis und Palästinensern im Vorfeld der eigentlichen Verhandlungen hin und her. Ebenso seine Ehefrau Mona Juul, sie war Diplomatin und Fachfrau für den Nahost-Konflikt und arbeitete mit Jan Egeland im Außenministerium zusammen, und natürlich Johan Jørgen Holst, der 1993 Außenminister wurde. "Wir waren eine sehr kleine Gruppe, die von diesen Gesprächen wusste, und wir waren sehr eng mit beiden Seiten verbunden", erinnert sich Egeland.
Die Norweger stolperten nicht zufällig in den Friedensprozess im Nahen Osten. Vielmehr war ihre Vermittlung die Folge intensiver Kontaktpflege: "Wir hatten schon lange auf sämtlichen Ebenen gute Beziehungen zu Israel, aber auch direkte Kontakte zur PLO", berichtet Egeland.
Ein besonders enges Verhältnis habe von jeher zwischen der norwegischen und der israelischen Arbeiterpartei bestanden: "Und wir hatten uns nach dem Ende des Kalten Krieges zum Ziel gesetzt, vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Israelis und Palästinensern zu fördern." Für Norwegen war es offenbar eine logische Konsequenz, sich im Nahost-Konflikt zu engagieren.
Arafat wollte Norwegens Verbindung zu Israel nutzen
Trotz Norwegens Bestrebungen war es aber die PLO, die sich zuerst an das skandinavische Land wandte. Wegen und nicht trotz des engen Verhältnisses zu Israel hatte der mittlerweile gestorbene Palästinenserpräsident Jassir Arafat das skandinavische Land bereits 1979 als geeigneten und attraktiven Vermittler ins Visier genommen. Damals hätten die USA Norwegen gebeten, Öl an Israel zu liefern, weil der Iran im Zuge der Islamischen Revolution seine Öllieferungen stoppte, sagt Hilde Waage. Oslo habe dieser Bitte aber nicht nachkommen wollen, bevor nicht die PLO darüber informiert wurde.
Der Grund: Norwegen hatte 1978 etwa 1.000 Soldaten zur Beobachtermission UNIFIL in den Libanon entsandt. Dort tobte ein Bürgerkrieg, die PLO war mit ihren Kämpfern mittendrin. Aus Sorge vor Angriffen auf die eigenen Soldaten informierte Oslo den PLO-Chef. "Arafat hatte mit Öllieferungen an Israel keine Probleme", berichtet Waage. Im Gegenteil: Er nutzte die Situation für sich und bat Norwegen, einen Gesprächskanal zu Israel zu öffnen, erläutert die Wissenschaftlerin. Arafat habe einen Freund Israels gebraucht, um über einen Staat Palästina verhandeln zu können.
Das Land hat eine lange Tradition bei der humanitären Hilfe und fühlte sich daher berufen, sich für die Beendigung von Konflikten, für den Frieden zu engagieren. Dass Norwegen keine koloniale Vergangenheit hat und seit jeher wirtschaftlich unabhängig war, stärkte für viele die Glaubwürdigkeit.
Schwache PLO - starkes Israel
Doch im Nahost-Friedensprozess passierte ein ganzes Jahrzehnt lang eigentlich nichts. "Israel lehnte es ab, mit der PLO zu sprechen", berichtet Jan Egeland: "Erst 1992, als die israelische Arbeiterpartei die Regierung übernahm, öffnete sich Israel für unsere Friedensdiplomatie." Die neue Regierung habe erkannt, dass es keinen Sinn mache, einen Nachbarn zu haben, der ihm hasserfüllt gegenübersteht.
Hilde Waage geht in ihrer Einschätzung noch einen Schritt weiter: Die erste Intifada war gerade vorbei, Arafat hatte im Irak-Kuwait-Krieg 1990/91 auf das falsche Pferd Saddam Hussein gesetzt, dadurch die Unterstützung Kuwaits verloren und war finanziell in der Bredouille.
"Arafat und die PLO waren schwach zu diesem Zeitpunkt", sagt Hilde Waage. Israel habe das gewusst. Man wusste, dass Arafat dadurch bereit sein würde, mehr Zugeständnisse zu machen", lautet ihre Schlussfolgerung: "Israel war einfach die stärkere Partei. Die PLO hingegen stand unter Druck. Sie wollte wieder auf der Bühne erscheinen und für einen Staat Palästina kämpfen."
Asymmetrische Machtverhältnisse bei den Verhandlungen
Bei ihrer Recherche 2001 sei sie der Frage nachgegangen, wie viel "Manöver-Spielraum" in so einem asymmetrischen Machtverhältnis überhaupt vorhanden ist, sagt die Historikerin. Sie sei zu dem Schluss gekommen: sehr wenig. Der Stärkere gebe immer den Ton an. "Norwegen hat das gewusst und in diesem Punkt nachgegeben, es hat gewusst, dass die Verhandlungen zugunsten von Israel ablaufen mussten, denn sonst hätte es kein Abkommen gegeben."
Daher sei Norwegen nicht nur ein "facilitator" gewesen, wie es Egeland sagt, sondern ein "voreingenommener Vermittler". Und das Abkommen habe die Asymmetrie im Machtverhältnis zementiert. Die Frage um den Status Jerusalems und die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge wurde bei den Verhandlungen außen vor gelassen.
Aber Norwegen habe es gut gemeint und sich als "Brückenbauer" gesehen, sagt Waage überzeugt. Das Land habe daran geglaubt, dass sich Frieden Schritt für Schritt erreichen lasse.
Dass Israel die stärkere Partei war, das streitet Egeland auch heute nicht ab: "Aber ist damit ein Abkommen schlechter als kein Abkommen? Damals haben wir immer gesagt, ein unvollkommener Frieden ist besser als ein perfekter Krieg."
Obwohl Israelis und Palästinenser immer noch nicht in Frieden miteinander leben, haben die Norweger aufgrund ihrer Rolle international viel Ruhm geerntet. Manche Kritiker der Friedensgespräche sprechen hingegen vom "Exportschlager Frieden".
Am Broadway wird Norwegen heute in einem Theaterstück mit dem Titel "Oslo" für seine Rolle von damals gefeiert. Nicht umsonst wird in Oslo auch der Friedensnobelpreis vergeben: Nach dem diplomatischen Durchbruch im Nahen Osten von 1993 galt Oslo auch als Hauptstadt des Friedens - zumindest für eine Weile.
Diana Hodali
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