Sakralisierung des Nahostkonflikts
In Israel wird Kriegsführung immer stärker zur Glaubenssache. Verantwortlich dafür ist das Militärrabbinat, dessen Einfluss innerhalb der Armee gewachsen ist. Doch gegen die Verbreitung ultranationalistischen Gedankenguts in der Armee regt sich auch Widerstand, wie Joseph Croitoru berichtet.
Das Militärrabbinat, eine Einheit, die seit der Staatsgründung existiert, erhielt vor drei Jahren den 57 Jahre alten Brigade-General Avichai Rontzki als neuen Chef.
Rontzki ist der erste Anhänger der militanten Siedlerbewegung auf diesem Posten. Seine Ernennung sollte offenbar die Kluft überbrücken, die sich zwischen den radikalen israelischen Siedlern und Israels Regierung wie Militär nach der Räumung des Gazastreifens 2005 aufgetan hatte.
Rontzki nutzt die Gunst der Stunde, um das Gedankengut der radikalen Siedlerbewegung in der Armee und speziell in den Kampfeinheiten zu verbreiten. Unter seiner Ägide hat sich die Zahl der Militärrabbiner, die neuerdings auch verstärkt als Kampfsoldaten ausgebildet werden, binnen weniger Jahre vervielfacht.
Mit dieser Truppe will Rontzki die biblische Institution des "cohen meschuach milchama" wiederauferstehen lassen – jenes alttestamentlichen Feldpriesters, der der biblischen Legende zufolge einst die israelitischen Soldaten mit seinem religiösen Eifer zum Kampf anfeuerte.
Militärrabbiner und Soldaten an vorderster Front
Die Militärrabbiner von heute sollen die kämpfenden Soldaten bis an die vorderste Front begleiten und ihnen, wie es heißt, "geistige Unterstützung" geben. Im jüngsten Gazakrieg wurde dieses Konzept erprobt, was nicht weiter Aufsehen erregt hätte, wäre vom Militärrabbinat während der Kämpfe nicht auch an die weltlichen israelischen Soldaten eine Broschüre zweifelhaften Inhalts verteilt worden.
In diesem Heft kam Rontzkis Gesinnungsgenosse Schlomo Aviner, einer der Chefideologen der militanten Siedlerbewegung, zu Wort. Das Land Israel gehöre einzig dem Volk Israel, belehrt Aviner, es sei heilig und dürfe nicht verunreinigt werden, etwa durch eine "Autonomie" – damit ist wohl die palästinensische gemeint.
Wie die alten Philister seien auch die Palästinenser von heute fremde Eindringlinge, deren Vorfahren größtenteils überhaupt erst kurz vor 1948 ins Land gekommen seien. Und der Kampfgeist der Soldaten sollte auch durch Hinweise auf die rabbinische Schrifttradition gestählt werden, wo Grausamkeit gegenüber einem grausamen Feind angeblich gebilligt wird.
Proteste gegen ultranationalistisches Gedankengut
Vor allem diese letzte Äußerung löste in Israel Empörung aus und veranlasste die israelische Menschenrechtsorganisation "Yesh Din", beim israelischen Verteidigungsminister Beschwerde einzureichen.
Avichai Rontzki habe, so die Kritiker, das Gebot der politischen Neutralität, an das sich jeder Militäroffizier zu halten habe, verletzt und sein Amt missbraucht, um ultranationalistisches Gedankengut in der Armee salonfähig zu machen. Konkrete Folgen für Rontzki hat diese Beschwerde bislang nicht gezeitigt.
Bei der öffentlichen Aufregung in Israel wurde indes übersehen, dass das umstrittene Heft eine Art amtliche Version einer ähnlichen Broschüre darstellt, die – unter fast identischem Titel – in tausendfacher Auflage schon längst unter religiösen Soldaten kursiert.
Dieser taschenbuchartige, kalendarisch aufgemachte Leitfaden wird bereits seit 2003 von der Talmudschule "Schawei Hebron" ("Die nach Hebron Zurückkehrenden") kostenlos an die Soldaten verteilt. Ihr Leiter, Rabbiner Chananel Etrog, vertritt die Auffassung, der Militärdienst sei auch deshalb eine religiöse Pflicht, weil es auch zu den Aufgaben der Armee gehöre, das Land der Väter zurückzuerobern.
Nicht unähnliche Gedanken finden sich auch in der Jahresschrift des Militärrabbinats, die seit Rontzkis Amtsantritt 2006 in neuer Aufmachung und unter dem neuen programmatischen Titel "Dein Lager soll heilig sein" herausgegeben wird.
Militäroperationen als religiöse Pflicht
2007 behandelte Rabbiner Schmuel Dov Rosenberg dort beispielsweise das Thema "Ethik, Kampf und der Umgang mit dem Feind und seiner zivilen Umgebung aus der Sicht des Religionsgesetzes". Der Autor ist der Auffassung, dass im Grunde alle israelischen Militäroperationen religiöse Pflicht seien.
Zwar dürfe die Zivilbevölkerung nicht kollektiv als Ziel betrachtet werden. Aber "Nachbarn von Terroristen", die deren Aktivitäten ignorierten und sich aus ihrer Umgebung nicht entfernten, seien für die Konsequenzen selbst verantwortlich: Die Armee müsse dann nicht garantieren, dass diese Zivilisten unbeschadet blieben.
Und gerate ein israelischer Soldat, so Rosenberg, in Lebensgefahr, sei er nicht mehr verpflichtet, auf die Sicherheit von Zivilpersonen Rücksicht zu nehmen.
Von diesen Betrachtungen dürfte sich im jüngsten Gazakrieg der eine oder andere Leser ebenso inspiriert haben lassen wie von Rontzkis Segensspruch für die in den Kampf ziehenden Soldaten, der in der abendlichen Nachrichtensendung des israelischen Fernsehens übertragen wurde. Gott werde ihnen, so verkündete der Rabbiner damals, im Kampf gegen den Feind beistehen und sie beschützen.
Joseph Croitoru
© Qantara.de 2009
Joseph Croitoru, geboren 1960 in Haifa, ist promovierter Historiker, Journalist und Nahostexperte. Seit 1988 arbeitet er als freier Journalist, zunächst für die israelische, seit 1992 für die deutschsprachige Presse. Er ist Autor der FAZ und der NZZ. Jüngste Buchveröffentlichung: "Hamas. Der islamische Kampf um Palästina" (im C. H. Beck-Verlag, 2007).
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