Mit der Bibel in den Kampf

Die Zuständigkeiten des israelischen Militärrabbinats waren nie ganz klar umrissen. In jüngerer Zeit mehren sich Proteste gegen dessen immer ausgreifendere Versuche zur „Sakralisierung“ der Armee. Von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

Von den wachsenden Spannungen zwischen säkularen und nationalreligiösen Israeli bleibt auch die israelische Armee nicht unberührt. Hier streben die Nationalreligiösen seit einigen Jahren größeren Einfluss an – eine Folge ihrer gestiegenen Zahl in den Kampfeinheiten wie im Offizierskorps und letztlich auch ein Spiegelbild ihrer wachsenden Macht in der Politik des Landes.

Inzwischen hat dieser Konflikt die Form eines Kulturkampfes angenommen, der besonders bei den Waffengängen der letzten Jahre, einschließlich der jüngsten Militäroperation im Gazastreifen, manifest geworden ist. Die Verknüpfung von Religion und Krieg bereitet dem säkularen Sektor im Land, der inzwischen seine Vormachtstellung in der Armee bedroht sieht, große Sorge.

Polarisierung statt Konsensfindung

Im Zentrum des Konflikts steht das Militärrabbinat. Diese Einheit war jahrzehntelang vor allem für die Betreuung gläubiger Soldaten und die Überwachung der Einhaltung grundlegender religiöser Vorschriften zuständig, die für alle Militärangehörigen, ob fromm oder weltlich, gelten – ob es um koscheres Essen geht oder um Arbeitsbeschränkungen am Schabbat und an den jüdischen Feiertagen.

Der erste Militäroberrabbiner, Schlomo Goren (Amtszeit 1948–1971), hatte zudem die Teilnahme aller Soldaten an sogenannten Erweckungsveranstaltungen durchgesetzt. Seitdem werden sie vor und während der Feiertage des jüdischen Neujahrs von Angehörigen des Militärrabbinats über das religiöse Judentum und die Festtage „aufgeklärt“.

Orthodoxe Juden wehren sich gegen die Bebauung einer religiös bedeutenden Stätte.
Kampf um Identität: „Die Verknüpfung von Religion und Krieg bereitet dem säkularen Sektor Israel, der inzwischen seine Vormachtstellung in der Armee bedroht sieht, große Sorge“, schreibt Joseph Croitoru

Als Möglichkeit zur ideologischen Einflussnahme wurden solche Veranstaltungen von den Weltlichen immer wieder kritisiert – allerdings vergeblich, denn Gorens Erbe wurde nicht angetastet. Anders als er und seine späteren drei Amtsnachfolger, alle Einwanderer, war der 2006 zum Militäroberrabbiner ernannte Avichai Rontzki nicht nur in Israel geboren, sondern ursprünglich auch nicht religiös gewesen. Seine religiöse Umkehr (tschuwa) war auch stark politisch geprägt, schloss sich Rontzki doch der militanten Siedlerbewegung an und war 1984 einer der Mitbegründer der südlich von Nablus gelegenen Siedlung Itamar, deren Ortsrabbiner er war und heute wieder ist.

Rontzkis Ernennung zum Militäroberrabbiner sollte offenbar die sich damals schon abzeichnende Kluft zwischen den nationalreligiösen Siedlern und dem Militär überbrücken helfen.

Doch statt auf Versöhnung hinzuarbeiten, polarisierte Rontzki, indem er seine Helfer, deren Zahl nun rasant wuchs, an die vorderste Front schickte, um bei den Soldaten einen religiös angehauchten Kampfgeist zu entfachen.

Im Gazakrieg von 2009 verteilten sie nicht nur Broschüren mit indoktrinierendem religiösem Inhalt und Gebetsschals an säkulare Kampfsoldaten, sondern brüsteten sich auch vor laufender Kamera, solches getan zu haben. Ein Film, der derartige Szenen zeigte und die Militäroperation in Gaza in eine Art jüdischen heiligen Krieg ummünzte, löste im Land einen Skandal aus. Rontzki wurde für seine „Missionierungsaktionen“ vehement kritisiert und musste 2010 schließlich den Hut nehmen.

Wahrung vor drohender „Sakralisierung“ der Armee

Unter seinem Nachfolger Rafi Peretz, von dem man sich ebenfalls die Förderung eines konstruktiven Dialogs versprach, schien der Konflikt abzuebben. Peretz, der trotz seiner Nähe zu Siedlerkreisen als gemäßigt gilt und auch als erster der Militäroberrabbiner keinen Bart trägt, war es wohl zu verdanken, dass das Militärrabbinat aus den Schlagzeilen verschwand – allerdings nur vorübergehend.

Denn schon 2011 entschied seine Führung, dass religiöse Soldaten die Teilnahme an Konzerten von Militärbands, in denen Sängerinnen auftreten, verweigern dürfen: Bei strenggläubigen Juden gelten solche öffentlichen Auftritte von Frauen als unkeusch. Diese Entscheidung löste auf säkularer Seite ebenso Empörung aus wie die für alle Soldaten verpflichtenden Exkursionen des Militärrabbinats, auf denen der Besuch von Grabstätten berühmter Rabbiner auf dem Programm steht.

Israelische Soldaten im Gazastreifen. Foto. Reuters
Das Militärrabbinat startete bei der jüngsten Militäroperation in Gaza eine umstrittene Kampagne: Alle Kampfsoldaten erhielten eine Broschüre, in der ihr Einsatz mit dem Überlebenskampf des jüdischen Volkes in biblischer Zeit – nicht ohne auch an die Shoah zu gemahnen – verglichen wurde.

Zu weit ging den weltlichen Kritikern, die nun offen vor einer drohenden «Sakralisierung» der Armee zu warnen begannen, auch eine 2012 von den Militärrabbinern herausgegebene Broschüre, der zu entnehmen war, dass das religiöse Gesetz über dem des säkularen Staates stehe. Obgleich der Militäroberrabbiner sich hinter die Autoren stellte, ließ sein Stab damals als Reaktion auf die Kritik die Publikation von der Website des Militärrabbinats entfernen – auch dies aber nur vorübergehend: Heute ist sie dort wieder zu finden.

Peretz trat auch in einem anderen problematischen Punkt das Erbe seines umstrittenen Amtsvorgängers an. Er hielt weiterhin an dem ursprünglich von Rontzki geäußerten Wunsch fest, das Militärrabbinat zusätzlich mit der Pflege des „jüdischen Bewusstseins“ aller Soldaten zu betrauen.

Dieser Forderung kam denn auch die Armeeleitung nach einem langen internen Kompetenzenstreit Ende 2013 nach – zum Ärgernis der säkular ausgerichteten Erziehungsabteilung der Armee, der seitdem nur noch die Zuständigkeit für allgemeine Fragen der „jüdischen Identität“ obliegt. Seine neu gewonnenen Vollmachten legt das Militärrabbinat auf seine Art aus. So startete es bei der jüngsten Militäroperation in Gaza wieder eine umstrittene Kampagne. Alle Kampfsoldaten erhielten eine Broschüre, in der ihr Einsatz mit dem Überlebenskampf des jüdischen Volkes in biblischer Zeit – nicht ohne auch an die Shoah zu gemahnen – verglichen wurde.

Simson als Vorbild

Außer an König David als großen Feldherrn erinnerten die Verfasser besonders auch an den biblischen Helden Simson. Sein „Kampfeinsatz“ gegen die Philister in Gaza und seine in dem Spruch «Ich will sterben mit den Philistern!» glorifizierte Aufopferungsbereitschaft wurden den Kampfsoldaten als Vorbild ans Herz gelegt. „In ebendiesen Tagen schreiben wir ein weiteres Kapitel der Bibel“, erklärten die Autoren und priesen zugleich Simsons legendäre Heldentat, die Torflügel des Gazaer Stadttors bis nach Hebron getragen zu haben – eine Verquickung religiöser Kampfideologie mit einem der wichtigsten Symbolorte der militanten Siedlerbewegung.

Außer in der linksliberalen Zeitung «Haaretz» wurde in Israel, anders als in Avichai Rontzkis Amtszeit, diesmal kaum Kritik an dem erneuten Vorstoß der Militärrabbiner laut. Im Gegenteil, das rechtsgerichtete regierungsnahe Blatt «Israel Hayom» begrüßte sogar die massenhafte Verteilung von jüdischen Ritualgegenständen und Psalmbüchern an säkulare Kampfsoldaten während der jüngsten Bodenoffensive. Angeblich hätten sie zu Tausenden selbst danach verlangt – von einer Missionierung durch die Nationalreligiösen könne hier also mitnichten die Rede sein, schrieb die Zeitung.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2014