Wider alle Klischees
Lange hatte Sineb El Masar nach einer passenden Frauenzeitschrift gesucht, bevor sie es endlich finden konnte: "Gazelle" ist das erste multikulturelle Frauenmagazin Deutschlands, das vor allem das Interesse der hier lebenden Migrantinnen wecken soll. Naima El Moussaoui stellt es vor.
Schnell. Ohne Pausen. So spricht Sineb El Masrar, ihre Hände sind ununterbrochen in Bewegung. "Gazelle ist im Deutschen nur ein Tiername; aber im Orient ist es ein Frauenname, ein Kosewort, und es ist ein Tier, das sich trotz seiner Zierlichkeit in der Steppe durchzusetzen weiß", erklärt sie. "Das trifft auf die Frau von heute ebenfalls zu."
Vom Titelblatt der Gazelle lächelt den Betrachter mal eine Iranerin, mal eine Deutsch-Nigerianerin, mal eine Türkin an. Ein anderes Mal sind es gleich mehrere Frauen verschiedenster Kulturen: Blondinen, Brünette und auch Kopftuchträgerinnen, mit europäischen, asiatischen und afrikanischen Wurzeln.
Das sind die vielfältigen Gesichter der "Gazelle", des multikulturellen Frauenmagazins, das Sineb El Masrar vor zwei Jahren gründete. Da war sie 24 Jahre und entschied sich, "die Sache selbst in die Hand zu nehmen". Lange habe sie die Idee mit sich herumgetragen und mit vielen Frauen darüber gesprochen, die ebenfalls mit den herkömmlichen Frauenzeitschriften unzufrieden waren. "Vor allem Frauen mit Migrationshintergrund waren es leid, ständig Klischees ausgesetzt zu sein", so El Masrar.
Ein Magazin als Sprachroh für alle Frauen
"Gazelle bildet die Lebenswelten aller hier lebenden Frauen ab, die von Migrantinnen eingeschlossen. Das Leben dieser Frauen existiert in konventionellen Frauenmagazinen nicht", sagt El Masrar. Lediglich Themen wie Ehrenmord und Zwangsheirat würden in den Medien aufgegriffen und somit die gesellschaftliche Wahrnehmung von Migrantinnen prägen. "Dem möchte ich ein anderes Frauenbild, ein positives und vielfältiges, entgegensetzen. Gazelle möchte Vorurteile gegenüber Migrantinnen widerlegen und eine Zeitschrift sein, mit der diese sich identifizieren können."
Dennoch richte sich das Magazin sowohl an Deutsche als auch an Migrantinnen in Deutschland. Gazelle wolle zum interkulturellen Dialog beitragen, mehr Toleranz zwischen den Kulturen schaffen und aufzeigen, dass es mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen ihnen gibt.
"Die deutsche Mehrheitsgesellschaft hat größtenteils keinen Kontakt zu Migranten. Zudem vermitteln die Medien ein sehr einseitiges Bild von diesen Menschen, von Menschen wie mir", erklärt El Masrar.
"Wir möchten selbst bestimmten, worüber wir reden und vor allem wollen wir die Inhalte mitbestimmen. Wenn wir Migranten nicht wollen, dass über uns nur Schlechtes geredet und geschrieben wird, dann müssen wir uns an der Debatte beteiligen und auch unser Handeln selbst reflektieren."
Die Alternative zum Mainstream
Die Gazelle redet mit. In Rubriken wie "Leben in Deutschland", "In fremden Töpfen" und "Cultura" gibt das Magazin Minderheiten eine Stimme und verschafft den Lesern Einblick in die unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen in Deutschland. Die Autoren versuchen, "Fremdes" heimisch zu machen, indem sie über den Alltag von Migrantinnen berichten.
Daneben kommen auch klassische Frauenmagazin-Themen nicht zu kurz: Dafür sorgen die Rubriken "Gesundheit", "Familie und Partnerschaft" sowie "Mode und Schönheit". Auch auf diese Themen wirft die Gazelle einen authentischen Blick. "Das Heft lebt von echten Frauen aus dem echten Leben. Mit ihnen können sich die Leserinnen identifizieren. Das ist unser Konzept", sagt El Masrar, Verlegerin und Herausgeberin zugleich, und grenzt sich damit von der Welt des Scheins vieler Hochglanzmagazine ab.
Die Eltern El Masrars stammen aus Marokko. Der Vater, ein Kfz-Mechaniker, kam Mitte der 1960er-Jahre nach Deutschland und holte Ende der 70er seine Frau nach. Sie wächst als Einzelkind in einer Kleinstadt bei Hannover auf. Die Schule bricht sie nach der 10. Klasse ab, "um selbstständig zu werden".
Nach einer kaufmännischen und einer sozialpädagogischen Ausbildung arbeitet sie als Erzieherin in einer Schule für Hörgeschädigte in Bochum und anschließend in einer katholischen Grundschule in Düsseldorf. Daneben schreibt sie Artikel für ein Online-Magazin und arbeitet an einem Drehbuch. Als 2006 ihr Arbeitsvertrag ausläuft, beschließt sie, ihren Traum zu verwirklichen: Sie gründet den "Tingis-Verlag" und entwickelt das Gazelle-Magazin. Finanziert hat sie das Projekt aus eigenen Ersparnissen, zusätzlich lieh sie sich Geld von ihren Eltern.
In Internetforen sucht sie nach einem multikulturellen Redaktionsteam. "Gazelle kann nur authentisch sein, wenn die Autoren und Autorinnen selbst multikulturell sind", so El Masrar. Iranisch-deutsch, serbisch-marokkanisch, deutsch-nigerianisch, türkisch-deutsch, afghanisch, albanisch, polnisch, deutsch; atheistisch, katholisch, muslimisch; Frauen wie Männer. Sie stellt eine Redaktion zusammen, die die Vielfalt in Deutschland widerspiegelt. Die Mitarbeiter arbeiten alle ehrenamtlich. Einen festen Redaktionssitz gibt es nicht: das Team ist in ganz Deutschland verstreut, kommuniziert über E-Mail und Telefon.
Das Magazin finanziert sich über Anzeigen und den Verkauf. Bisher sind vier Ausgaben der Gazelle erschienen. Der Weg dorthin sei hart und mühsam gewesen, sagt die Herausgeberin, und sei es aufgrund der finanziellen Notlage immer noch.
Wohin im Regal?
Gazelle erscheint mit einer Auflage von 10.000 Stück und hat zudem einen Online-Auftritt. Im Bahnhofsbuchhandel haben die Händler Schwierigkeiten, das Frauenmagazin zu platzieren: Mal landet es bei den Erotik-Heften, mal bei den Diät-Magazinen, oder sie legen es gar nicht erst aus, was bei der ersten Ausgabe fast zum Aus führte.
Doch das Gazelle-Magazin entwickelt sich. "Wir wollen immer besser, professioneller werden. Wir arbeiten stetig daran", sagt El Masrar. "Unsere Leser, Frauen und Männer – wir haben tatsächlich auch viele männliche Leser – wünschen sich ein frisches und modernes Layout, keine hölzernen Beiträge über Integration und Migration und Mut zu Tabubrüchen."
Der unkonventionelle Blickwinkel des Magazins gefällt der Leserschaft: "Seit Januar habe ich mein Abonnement einer großen Frauenzeitschrift gekündigt, weil ich die Themen dort nicht mehr ertragen habe, die mir alle zwei Wochen zugemutet wurden. Nun abonniere ich die Gazelle und erfahre über wirkliche Probleme, Freuden, Leiden von Menschen", schreibt eine deutsche Leserin der Redaktion.
Sineb El Masrar wünscht sich das Gazelle-Magazin "ganz selbstbewusst zwischen den anderen Frauenzeitschriften, gleichberechtigt neben anderen Heften mit Tausenden Leserinnen." Das ist der richtige Platz für ein Frauenmagazin, das alle Frauen Deutschlands ansprechen möchte.
Naima El Moussaoui
© Qantara.de 2008
Dieser Artikel entstand im Rahmen des gemeinsamen Projekts "Meeting the Other" mit dem Online-Magazin Babelmed.net im "Europäischen Jahr des interkulturellen Dialogs". Mehr Informationen zu diesem Projekt finden Sie hier
Qantara.de
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