Seit langer Zeit Südafrikaner
Weniger als zwei Prozent der Südafrikaner sind Muslime, von denen viele ursprünglich aus Indien, Indonesien oder Malaysia stammen. Ihre Vorfahren wurden als Sklaven oder politische Gefangene nach Südafrika verschleppt. Almuth Schellpeper hat sich in Bo-Kaap umgeschaut, einem überwiegend von Muslimen bewohnten Viertel Kapstadts.
Vom Kapstädter Zentrum führt die stark befahrene Wale Street in Richtung Signal Hill. Sie verwandelt sich plötzlich in eine steile kopfsteingepflasterte Straße, die mitten in das Bo-Kaap, das Viertel der Muslime, führt. Hier, im ältesten Stadtteil Kapstadts, stammen viele der kleinen bunt bemalten Häuser und Moscheen aus dem 18. Jahrhundert. Dreiviertel der etwa 10.000 Bewohner sind Muslime. Ihre Vorfahren waren meist Sklaven oder politische Gefangene, die von den Holländern aus den holländisch-ostindischen Kolonien ans Kap gebracht wurden.
Viele stammten aus Indien, Indonesien, Malaysia oder Java. Auch wenn die Menschen in Bo-Kaap oft als Kap-Malaien bezeichnet werden, ist diese Bezeichnung irreführend, denn nur ein kleiner Teil der Bewohner stammt aus dem heutigen Malaysia. Es ist vielmehr die Religion, die die Menschen in Bo-Kaap zusammenhält, nicht ihre Herkunft. Wahrscheinlich kam es zu der missverständlichen Bezeichnung, da damals Malayu die Handelsprache zwischen Madagaskar und China war.
Muslime erste Gefangene auf Robben Island
Das holländische Gesetz gestattete im 18. Jahrhundert nur Anhängern der holländisch-reformierten Kirche, ihre Religion auszuüben. Islamischen Glauben zu predigen war nicht erlaubt, und Muslime gehörten zu den ersten Gefangenen auf Robben Island. Unter ihnen waren auch mehrere islamische Führer-Persönlichkeiten, die den Muslimen am Kap halfen, ihre Identität zu wahren.
Imam Abdullah Ibni Kadi Sallaan, der einfachheitshalber Tuan Guru genannt wurde, war 13 Jahre lang auf Robben Island inhaftiert. Dort schrieb er den Koran fehlerfrei aus dem Gedächtnis auf. Sein Grab liegt auf einer Anhöhe im oberen Teil des Bo-Kaap Viertels, von wo aus man einen wunderschönen Blick auf den Hafen und die Innenstadt hat. Um Kapstadt herum existieren über 30 solcher Schreine. Manchmal ziehen kleine Gruppen von Muslimen von einer Gedenkstätte zur anderen und lesen einige Verse aus dem Koran vor, um auf diese Weise den religiösen Führern Dankbarkeit und Respekt zu erweisen.
Erste Moschee im 18. Jahrhundert erbaut
Versklavte Muslime, die damals viele Jahre Haft überlebt hatten und frei gelassen wurden, durften ihre Religion schließlich ausüben. So gründete Tuan Guru 1794 die erste Moschee Südafrikas, die Owal Moschee in der Dorp Street in Bo-Kaap. Vor der in mattem Grün gestrichenen Moschee stehen Palmen, die ihre Schatten auf den Bürgersteig werfen.
Der frühere südafrikanische Präsident Nelson Mandela hatte kurz nach seiner Amtseinführung die älteste Moschee, die älteste Kirche und die älteste Synagoge in Südafrika besucht und dabei auch der Owal Moschee einen Besuch abgestattet.
Anzahl der Muslime wächst
Weniger als zwei Prozent der Bevölkerung im heutigen Südafrika sind Muslime. Doch seit dem Ende der Apartheid wächst die Zahl der muslimischen Gläubigen. Die Mehrheit lebt in der Provinz Western Cape, in und um Kapstadt herum. Der Imam der Owal Moschee, Ihsaan Hendricks, ist Vize-Präsident der Organisation Muslim Judicial Council (MJC), einer der ältesten islamischen Gerichtsbehörden am Kap.
Die Organisation wurde vor 59 Jahren gegründet, spielte während der Apartheidzeit eine wichtige Rolle im Freiheitskampf und hat ihr Ansehen bis heute bewahrt. Sowohl bei der Amtseinführung von Nelson Mandela als auch beim Amtsantritt des jetzigen Präsidenten Thabo Mbeki hatte die Organisation Gelegenheit, die muslimische Gemeinschaft mit einem Gebet zu repräsentieren.
Eigene Vertretung für Muslime
Schwerpunkte des Muslim Judicial Council sind die Bereiche Bildung und Soziales. Mitglieder können u.a. Erbschaftsangelegenheiten, Eheprobleme und Scheidungen verhandeln. Außerdem haben hundert junge Leuten die Möglichkeit, am privaten College Arabisch und Islamwissenschaften zu studieren. Daneben stellt die Organisation für die Muslime in Kapstadt auch Halaal-Zertifikate aus.
Mit finanzieller Hilfe der Regierung hat MJC vor kurzem ein Landwirtschaftsprojekt ins Leben gerufen, um die Armut im Township Phillipi zu lindern. Zunächst sollen sich die Teilnehmer des Projektes entsprechende landwirtschaftliche Fähigkeiten aneignen, damit sie später selbstständig ihre kleinen Felder bestellen können. MJC engagiert sich auch auf Regierungsebene und nimmt zum Beispiel am Nationalen Religionsforum teil, wo sich regelmäßig die Führer der verschiedenen Religionen mit dem Präsidenten des Landes treffen, um ihre Anliegen vorzutragen.
Leben im eigenen Viertel
Obwohl das Bo-Kaap Viertel nur zehn Kilometer im Durchmesser misst, gibt es zehn Moscheen mit jeweils sehr aktiven Gemeinden. Die ersten Muslime, die damals am Kap ankamen, brachten professionelle handwerkliche Fähigkeit mit: Sie waren u.a. ausgebildete Zimmermänner, Bildhauer, Holzschnitzer, Verputzer und prägten wesentlich Stil und Aussehen der Häuser im Bo-Kaap. Der Kern des Viertels ist mittlerweile als denkmalgeschützt deklariert worden, d.h. zum Beispiel, dass die Fassade eines Hauses auch bei Renovierungen unverändert bleiben muss. Jedes neue Haus muss im typisch kap-holländischen Stil des Bo-Kaap errichtet werden.
Das Viertel hat die Apartheidzeit überlebt und pflegt weiterhin seine Kultur und Tradition. Es gibt viele kleine Eckläden, einen Halaal-Metzger, einen Gewürzhändler, einen Schnell-Imbiss, der frische Koeksisters, typisch kap-muslimisches Gebäck, verkauft und einen Fischverkäufer, der sein Kommen mit einem weit hörbaren Stoß ins Horn ankündigt. Besonders an Freitagen, wenn der Muezzin zum Gebet ruft und Männer in langen weißen Gewändern über das Kopfsteinpflaster laufen, ist Bo-Kaap in seine eigene Welt versunken.
Gemeinsamer Friedhof für Muslime und Christen
Am oberen Ende des Viertels befindet sich ein lang gestrecktes weiß-blaues Gebäude, das eine muslimische Grundschule beherbergt. Die Schule folgt einem staatlichen Curriculum, doch die Schüler können zusätzlich mehr über den Islam lernen, wenn die Eltern damit einverstanden sind. Folgt man der Longmarket-Street, die sich immer steiler den Berg hinauf windet, bis fast ans Ende, und wendet sich schließlich nach rechts, dann stößt man auf einen über 200 Jahre alten Friedhof, auf dem Muslime und Christen begraben liegen.
Einige engagierte Bewohner des Bo-Kaap setzen sich dafür ein, dass diese Ruhestätte von der UNESCO offiziell als Kulturerbe anerkannt wird, damit der Friedhof auch in Zukunft erhalten bleibt und nicht als Baugrund verwendet wird. Zurzeit sieht der Friedhof ein wenig vernachlässigt aus: Das Gras ist ausgedörrt, Unkraut wuchert, hier und da hat der Wind Müllreste in die Büsche getragen. Es ist wieder eine Aufräum-Aktion der Bo-Kaap- Bewohner nötig, die sich ein bis zwei Mal im Jahr bereit erklären, den Friedhof zu säubern.
Attraktive Lage
Die begehrenswerte Lage des Bo-Kaap Viertels am Fuße des Signal Hills, mit Nähe zum Stadtzentrum und unverstelltem Blick auf den Tafelberg und das Meer, haben auch wohlhabende jüngere Leute aus anderen Teilen der Stadt erkannt. Sie kaufen Häuser dort und ziehen ins Bo-Kaap. Doch noch hält die alte Gemeinde zusammen und prägt den Charakter des verwinkelten muslimischen Viertels.
Allmuth Schellpeper
© Qantara.de 2004