Neue Freiheiten und neue Konflikte

In Bulgarien leben rund eine Million Muslime. Mit der politischen Wende von 1989 bekamen sie, wie alle religiösen Gruppen, mehr Freiheiten. Doch das Zusammenleben mit Nichtmuslimen ist nicht frei von politischen und sozialen Spannungen. Von Mirko Schwanitz

Muslimische Frauen während einer Hochzeitsfeier in Bulgarien; Foto: AP
Muslimische Frauen während einer Hochzeitszeromonie in einem Dorf südlich von Sofia. Rund 12% aller Bulgaren sind Muslime.

​​Auf dem Dorfplatz in Dolno Isvorovo am Fuße des Balkans herrscht ausgelassenes Treiben. Ein Mann beschreibt den freudigen Anlass:

"Wir feiern die Beschneidung des Sohnes meines Nachbarn. Zu diesem traditionellen Ritual hat er das ganze Dorf eingeladen. Inzwischen ist das ganz normal. Zu Zeiten des Sozialismus durften wir das nicht öffentlich feiern. Jetzt haben wir die Demokratie und dürfen unsere Feste wieder öffentlich feiern, damit gibt es keine Probleme."

Eigentlich habe sich die Situation der Muslime stetig verbessert, befindet ein weiterer Mann:

"Hier in dieser Gegend leben über 21.000 Muslime. Ein Teil der Probleme, die wir damals hatten, wurde gelöst. Wir haben unser Land zurückbekommen, dürfen schon lange wieder unsere türkischen Namen tragen. Unsere Töchter arbeiten als Kindergärtnerinnen, einige von uns haben eigene Firmen und neuerdings können Muslime sogar Polizisten werden."

Großer politischer Einfluss der "Türken-Partei"

Die Ausgelassenheit des Festes in Dolno Isvorovo kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich das Verhältnis zwischen Muslimen und Christen in der letzten Zeit wieder verschlechtert hat.

Was die Bulgaren derzeit aufbringt, ist vor allem der ihrer Meinung nach unverhältnismäßig große Einfluss der auf ethnischer Basis gegründeten, in bisher allen Nachwende-Regierungen vertretenen "Türken-Partei" DPS. Deren Führer brüskierten erst vor kurzem die armenische Minderheit, als sie einen Parlamentsbeschluss über die Anerkennung des türkischen Genozids an Armeniern verhinderte.

Aishe Hayrola war längere Zeit Vorsitzende der DPS in Kazanlak, bevor sie der Partei den Rücken kehrte. Die antitürkische Stimmung beschreibt die Politikerin wie folgt: "Viele Bulgaren sind der Meinung, dass wir von der Türkei unterstützt werden – darüber kursieren viele Gerüchte. Einige tun so, als wären wir die fünfte Kolonne einer neuen osmanische Besatzung. Vor einiger Zeit wurden die Mauern der Moschee in der Stadt Kazanlak mit Kreuzen und Losungen beschmiert: Alle Türken raus aus Bulgarien!'

Die Führung der DPS gilt als korrupt und steht in dem Ruf, ihre Glaubensbrüder in eine für sie selbst profitable Abhängigkeit gebracht zu haben: Wer nicht DPS wählt, kriegt in den mehrheitlich von Türken und Pomaken – also islamisierten Bulgaren – bewohnten Gebieten Südbulgariens nur schwer einen Job. Die Löhne und Gehälter sind niedriger als irgendwo sonst im Land. Das stellen die Medien im Land durchaus in einen Zusammenhang mit dem Reichtum einiger hoher DPS-Funktionäre.

Ambivalentes Taktieren

Das schlechte Ansehen der politischen Führer der Türken wirkt sich auch auf die muslimische Gemeinde in Kasanlak aus. Der neue Bürgermeister der zentralbulgarischen Stadt lässt Straßen und Wege neu pflastern, Fassaden werden gestrichen, Betriebe angesiedelt.

Eigentlich wäre es seine Aufgabe, auch die im Zentrum der Stadt stehende Moschee zu sanieren. Doch die Stadt verweigert der muslimischen Gemeinde die Rückgabe des Gotteshauses, unter dem Vorwand, dass es sich dabei um Kulturdenkmal handele. Der Verantwortung aber, dieses Kulturdenkmal auch zu erhalten, entledigt sich die Stadt mit einem als religiöse Toleranz verkauften Trick.

"Auch wenn die Moschee nicht uns gehört, man hat sie uns zur Nutzung überlassen und erlaubt uns großzügig, die dringend notwendigen Sanierungsarbeiten durchzuführen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass der Staat weiterhin Anspruch auf die Moschee erhebt."

Nationalistische Propaganda

Was Imam Mümüm Durmusch aber noch viel mehr beunruhigt, ist die zunehmend aggressive Stimmungsmache gegen die Muslime. Geschürt wird sie von nationalistischer Propaganda auf TV-Kanälen wie dem privaten Fernsehsender SKAT. Der gilt im Volk als Stimme einer relativ neuen Partei mit dem viel sprechenden Namen ATAKA. Die Korruption der DPS-Führer ist eines der Lieblingsthemen des Senders.

"Es gibt verschiedene Arten von Politik", sagt Durmusch. "Richtig ist sie, wenn sie sich am Wohl des ganzen Volkes orientiert. Wenn sie nur darauf ausgerichtet ist, die Taschen der Politiker zu füllen, dann ist das nicht gut und schadet dem Ansehen der muslimischen Gemeinde, es sind nicht die richtigen Politiker."

Nur vier Männer haben sich an diesem Freitag verstohlen durch die Tür der Moschee in Kazanlak gezwängt, um mit dem Imam zu beten. Die Angst der Bulgaren vor den Muslimen – zumindest hier erscheint sie surreal. Denn die Renaissance der Religion wie sie die bulgarisch-orthodoxe Kirche im letzten Jahrzehnt erlebte, in den Moscheen des Landes ist sie noch nicht angekommen.

"Die bulgarischen Muslime sind sehr liberal. Selbst bei den großen Festen wie Bairam oder dem Freitagsgebet ist die Moschee so gut wie leer. Das religiöse Leben ist also nicht sehr rege."

Anfang vom Ende eines liberalen Islam?

Aus diesem Grund hat Mümün Durmusch vor zwei Jahren eine Sonntagsschule und eine Art Sommercamp eingeführt, in denen muslimische Kinder aus der Region mit dem Koran vertraut gemacht werden. Eine Initiative, die misstrauisch beäugt wird, sehen die christlichen Bulgaren darin doch die Keimzelle zukünftiger Koranschulen. Vielen gilt deren Einrichtung bereits als Anfang vom Ende eines liberalen Islam. Umso mehr, seit bekannt wurde, dass arabische Staaten Religionslehrer nach Bulgarien schicken.

"Ich denke, dass unser Ansehen als Muslime vor allem von uns selbst abhängt. Wir Imame haben da eine große Verantwortung. Wie erziehen wir unsere Gemeinde? Und besonders die Jugendlichen? Ich kann nicht sagen, wie lange Muslime und Christen in Bulgarien noch in Frieden miteinander leben werden. Es wird von uns abhängen, von der gegenseitigen Toleranz aller, die hier wohnen."

Mirko Schwanitz

© Deutsche Welle 2007

Qantara.de

Interview mit Selim Mehmet:
"Ein lebendiges Beispiel für interreligiösen Dialog!"
Der Großmufti von Bulgarien, Selim Mehmet, war einer der prominenten Gäste am "Tag der offenen Moschee" in Köln. Organisiert wurde das Besuchsprogramm vom "Institut für internationale Zusammenarbeit der deutschen Volkshochschulen e.V. im Rahmen des Projekts "Tolerance and Unsderstanding: Our Muslim Neighbours". Qantara.de hat sich mit Mehmet unterhalten.