Vorreiter eines "Euro-Islam"?

Repräsentative Moscheebauten, etablierte Dachverbände, Lehrstühle an Universitäten: Der Islam in Deutschland verlässt den Status einer Migrantenreligion. Entwickelt sich in der Bundesrepublik ein sogenannter Euro-Islam? Von Gregor Taxacher

Tag der offenen Moschee in der Essener Fatih-Moschee; Foto: dpa
"Euro-Islam": Eine Religion, die sich nicht mehr als Migrantenreligion von ihren Herkunftsländern her definiert, sondern sich in die aufgeklärte westliche Moderne integriert.

​​ Für manche ist das Schlagwort vom Euro-Islam eher ein Schreckgespenst: Rechte Gruppierungen wie die Partei Pro NRW, die vor allem gegen Moscheebauten kämpft, malen die Gefahr einer Islamisierung Europas an die Wand.

Aber auch Terrorismusexperten sehen die gefährliche Variante der Integration: Im Sauerland wurden im September 2007 drei deutsche Islam-Konvertiten festgenommen, die Anschläge geplant hatten. Al Qaida sendet neuerdings Kampf-Videos, in denen fließend Deutsch gesprochen wird – eine paradoxe Form "gelungener Integration".

Auch jenseits der Gleichsetzung von Islam und Terror-Islamismus teilen manche das skeptische Urteil der Frauenrechtlerin Ayaan Hirsi Ali, die erklärte: "Es steht für mich fest, dass der Islam mit der liberalen Gesellschaft, wie sie sich infolge der Aufklärung entwickelt hat, nicht vereinbar ist."

Wer ist Muslim und wer vertritt Muslime?

In Deutschland leben laut Religionsstatistik etwa 3,5 Millionen Muslime. Bei näherem Hinsehen ist das eine unsichere Zahl. Denn im Islam gibt es keine dokumentierte Religions-Mitgliedschaft – ebenso wenig die Möglichkeit eines formellen Austritts. Die Statistiker zählen also einfach die Einwanderer aus muslimischen Ländern und deren Nachkommen.

Nur verbrieft Andersgläubige können sie abziehen. Gegen solche Art religiöser Zwangs-Identifizierung hat sich im Februar 2007 in Köln ein Zentralrat der Ex-Muslime (ZdE) gegründet. Die Muslime, die keine Muslime mehr sein wollen, kritisieren vor allem die islamischen Dachverbände in Deutschland, die eine Art Alleinvertretungsanspruch in Anspruch nähmen, ohne dafür legitimiert zu sein.

Innenminister Wolfgang Schäuble spricht mit dem Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland Ayyub Köhler; Foto: AP
2006 gründete Innenminister Wolfgang Schäuble - hier im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime Ayyub Köhler - die Islamkonferenz. Doch wer ist legitimiert, die Muslime in Deutschland zu vertreten?

​​ Der Islamwissenschaftler Peter Heine, Professor an der Humboldt-Universität in Berlin, sieht dagegen gerade in den Dachverbänden ein Zeichen für die Entwicklung eines "Euro-Islam" in Deutschland: Der Zentralrat der Muslime, der Islamrat und deren Zusammenschluss in einem Koordinierungsrat bezeugen seiner Ansicht nach den Willen, sich in die deutsche Zivilgesellschaft zu integrieren.

"Die Akzeptanz für eine solche Vertretung wächst unter den deutschen Muslimen", beobachtet Heine. Der Staat wiederum setzt drauf, in den Räten mit Vereinbarungen belastbare Ansprechpartner zu finden.

Seit 2006 veranstaltet Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) jährlich eine Islamkonferenz in Berlin. Sein Ziel: Die Entstehung eines "deutschen Islam", der auf dem Boden des Grundgesetzes steht und die Spielregeln einer pluralistischen Demokratie beachtet.

Kritiker wie Lale Akgün, Bundestagsabgeordnete und Islam-Beauftragte der SPD, halten die Konferenz für überflüssig: "Historisch über Jahrhunderte gewachsene Strukturen zwischen christlichen Kirchen und Staat lassen sich nicht im Schnellverfahren auf eine Religion übertragen, die bei uns vor vierzig Jahren durch Arbeitsmigration entstand", sagt Akgün. Nicht die Absprachen mit Religions-Verbänden, sondern die geförderte und gelebte Integration der Einzelnen, ob gläubig oder ungläubig, bahne den Weg zur Normalität in einem Einwanderungsland.

Euro-Islam: Programm oder Täuschung?

Genau das ist die Grundidee des Schlagwortes "Euro-Islam": Eine Religion, die sich nicht mehr als Migrantenreligion von ihren Herkunftsländern her definiert, sondern sich in die aufgeklärte westliche Moderne integriert. Von einem Islam auf dem Boden einer europäischen Leitkultur spricht der Politikwissenschaftler Bassam Tibi. Solch einen Euro-Islam wünschte sich der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) schon 2001, kurz nach den Anschlägen des 11. September.

Udo Steinbach, ehemaliger Direktor des Orient-Insitituts in Hamburg, hält die Rede vom Euro-Islam denn auch für das "Symptom einer Beziehungskrise": Man wünsche sich eben einen Islam, der nicht mehr fremd wirke. Für einen Euro-Islam, mit dem sich auch Muslime identifizieren, fehlt es laut Steinbach aber an herausragenden Autoritäten, die ihn verkörpern könnten.

Tariq Ramadan; Foto: dpa
Verkappter Islamist oder Symbolfigur des "Euro-Islam"? Der Philosoph und Islamwissenschaftler Tariq Ramadan ist als Denker des Euro-Islam umstritten.

​​ Für manche ist Tariq Ramadan so eine Persönlichkeit. Der Schweizer Islamwissenschaftler vertritt offensiv das Konzept eines Euro-Islam, durch den die Muslime ihren doppelten Minderwertigkeitskomplex gegenüber den islamischen Heimatländern und gegenüber den westlichen Demokratien ablegen könnten. Ramadan wehrt sich allerdings dagegen, sich von außen diktieren zu lassen, was solch ein Euro-Islam an Leitkultur annehmen sollte. "Ich bin für Integration", formuliert er seine Position: "Aber es ist an uns Muslimen zu entscheiden, was das bedeutet."

Mit solchen Äußerungen macht sich Ramadan bei Kritikern verdächtig. Ralph Ghadban, der über Ramadan ein Buch geschrieben hat, hält den Wortführer eines Euro-Islam für einen verkappten Fundamentalisten, der dem Islam in Europa einen Weg bahnen möchte. Wieder schaut das Schreckgespenst Islamisierung um die Ecke.

Ausgehandelte Normalität

Die islamischen Verbände in Deutschland müssen sich ebenfalls mit dem Vorwurf der Uneindeutigkeit auseinandersetzen. 2002 verabschiedete der Zentralrat der Muslime eine Charta, in der es heißt: "Es besteht kein Widerspruch zwischen der islamischen Lehre und dem Kernbestand der Menschenrechte." Warum aber nur dem Kernbestand? Und wer definiert diesen?

Praktisch wird dies Schritt für Schritt ausgehandelt, gerade weil der Islam mittlerweile für seine auch öffentliche Anerkennung in Deutschland kämpft. Die Islam-Verbände fordern islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen, so wie er den christlichen Kirchen zusteht. So entsteht eine Religionslehrerausbildung an mehreren Hochschulen, die der staatlichen Schulaufsicht unterliegt.

Im September 2008 wurde in Nordrhein-Westfalen das erste muslimische Religionsbuch zugelassen. Wo die Baugenehmigung einer repräsentativen Moschee beantragt wird, muss sich der Bauherr häufig verpflichten, ein Begegnungszentrum oder Integrationskurse einzurichten oder die Predigt des Imam auf Deutsch zu halten. So etwas wie ein Euro-Islam entsteht also aus lauter einzeln ausgehandelten Vereinbarungen zwischen der Einwanderer-Religion und den Akteuren der "Mehrheitsgesellschaft".

Peter Heine ist optimistisch, dass dieser Prozess erfolgreich verläuft. "Der Islam ist im Grunde ein sehr flexibles System", sagt der Islamwissenschaftler. Er habe sich im Lauf seiner Geschichte immer wieder in unterschiedliche Gesellschaften integrieren. Deshalb sei der Islam in Indien oder in Ostafrika auch ganz anders geprägt als etwa im Irak. "Und vieles, was heute noch islamische Propagandisten etwa aus arabischen Ländern verlauten lassen, trifft die Lebenswirklichkeit der meisten Muslime in Europa nicht mehr."

Gregor Taxacher

© Goethe-Institut 2009

Gregor Taxacher arbeitet als Autor des Westdeutschen Rundfunks sowie als Bildungsreferent der Thomas-Morus-Akademie (Schwerpunkt unter anderem: Christentum und Islam) in Köln.

Qantara.de

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