Zuckerfest im Abendland
In Deutschland leben über vier Millionen Muslime, von denen viele im Laufe der letzten Jahrzehnte aus islamisch geprägten Ländern nach Deutschland gezogen sind. Mit ihnen hat auch der Fastenmonat Ramadan Einzug in den deutschen Alltag gehalten: Die meisten Gläubigen versuchen die Feierlichkeiten so zu begehen, wie sie es aus der Heimat kennen.
Generell sind die Bräuche und die während des Ramadan zubereiteten Speisen daher so vielfältig wie die muslimischen Bürger, die in Deutschland leben. Aber einige Dinge gibt es, die alle ähnlich erleben - schöne Erfahrungen ebenso wie kulturelle oder praktische Hürden.
Das ist deutschen Muslimen an Ramadan wichtig
Der Fastenmonat Ramadan hat für viele Muslime eine große soziale Bedeutung: Sie verbinden mit ihm ein Gefühl von Gemeinsamkeit und Verbundenheit im Glauben. Für die türkischstämmige Muslima Amine Taşdan von der regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) in Berlin ist dieses Gemeinschaftsgefühl eine besonders wichtige Erfahrung.
Die Selbstverständlichkeit, mit der in muslimischen Ländern gefastet wird, gebe es in Deutschland aber nicht, sagt sie. Muslime berichten oft von einer Euphorie, die Fastende in muslimischen Ländern empfinden.
"Das Gefühl, gemeinsam mit der Gesellschaft zu fasten und das Fasten zu brechen, ist viel schöner, als dies als Teil einer Minderheit in einem mehrheitlich christlich geprägten Land zu tun. In der Türkei gibt es während des Ramadan spezielle kulturelle Angebote und die Moscheen sind zum Nachtgebet extrem voll. Hier sind die Moscheen oft nicht einmal zu Fuß erreichbar."
Viele muslimische Einrichtungen versuchen dieses Gefühl von Gemeinschaft auch in Deutschland zu stärken – zum Beispiel laden sie nicht-muslimische Bürger ein, dieses so besondere Fest mit ihnen gemeinsam zu feiern.
Köstlichkeiten nach Sonnenuntergang
Mit Freunden und Verwandten nach dem Fastenbrechen zusammen in gemütlicher Runde zu sitzen, gemeinsam zu essen und sich auszutauschen, ist ein Brauch, den Muslime auch in Deutschland an ihre Kinder weitergeben wollen. Kulinarisch gesehen steht dem nahezu nichts im Wege: Da es vor allem in den deutschen Großstädten viele türkische, arabische und asiatische Supermärkte gibt, können sie ihren Gästen landestypische Spezialitäten anbieten, wie zum Beispiel die türkische Nachspeise Baklava.
Auch Lebensmittel, die "halal" sind, also aus islamischer Sicht "rein" oder "erlaubt", werden in den Geschäften verkauft. Das Halal-Fleisch muss allerdings importiert werden, da die betäubungslose religiöse Schächtung in Deutschland verboten ist. Können Muslime eine Zutat nicht im Supermarkt finden, weichen manche auch auf deutsche Zutaten und Gerichte aus: So kann es auch eine deutsche Kürbis- oder Brokkoli-Suppe auf den Speiseplan einer muslimischen Familie schaffen.
Kurze Nächte, lange Arbeitstage
Besonders anstrengend ist das Fasten für viele Muslime während der Arbeitszeit. Denn während in muslimischen Ländern im Fastenmonat meist nur bis 14 Uhr gearbeitet wird, wird von Fastenden im deutschen Arbeitsalltag gemeinhin erwartet, dass sie weiterhin die volle Leistung erbringen. Hinzu kommt, dass der Sonnenuntergang in Deutschland im Sommer sehr spät sein kann. Fällt Ramadan in die Monate Mai oder Juni, kann es auch 21 Uhr werden, bis das Fasten gebrochen werden darf.
Einen Schritt in Richtung Vereinbarkeit von Ramadan und Berufsleben hat der schwedische Möbelkonzern Ikea in Berlin unternommen: Das Diversity-Konzept des Unternehmens sieht vor, dass sich Muslime zum Fastenbrechen treffen und ihre nicht-muslimischen Kollegen ihre Pausen darauf abstimmen sollen. Sollte die Kantine nach Sonnenuntergang bereits geschlossen sein, können sich muslimische Mitarbeiter im Kundenrestaurant bedienen.
[embed:render:embedded:node:14454]Dieser liberale Umgang mit muslimischen Arbeitnehmern ist aber noch eher eine Ausnahme, sagt Taşdan Amine. "Weder bei mir auf der Arbeit noch bei muslimischen Bekannten wird besonders Rücksicht auf den Ramadan genommen. Ein Entgegenkommen wäre zum Beispiel, wenn man langsamer arbeiten dürfte."
Was Nicht-Muslime an Ramadan für Fragen stellen
So präsent der Ramadan im deutschen Alltag mittlerweile auch sein mag, bei vielen Nicht-Muslimen sind auch noch jede Menge Fragen offen. Diese beziehen sich jedoch eher selten auf die muslimischen Bräuche, sondern vor allem auf die Gründe von Muslimen, die freiwillig auf Essen und Trinken verzichten.
Das muslimische Projekt "Juma" (jung, muslimisch, aktiv), das jungen Muslimen in Deutschland eine Stimme geben möchte, sammelt lustige bis kuriose Fragen zum Ramadan auf seinem Onlineauftritt unter dem Titel #nochnichtmalwasser.
Ugur aus Mannheim zum Beispiel versucht kritischen Fragen – etwa ob das Fasten nicht medizinisch riskant sei – stets mit einer positiven Einstellung zu begegnen und sagt mit einem gewissen Stolz: "Es zaubert mir fast jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich den Satz höre 'Wie haltet Ihr das bloß aus? Das schafft doch kein Mensch!'. Es gibt mir das Gefühl, dass wir Muslime sehr starke und geduldige Menschen sind."
Mit Humor geht Humera auf Fragen ihrer Mitmenschen ein: "Während meiner Ausbildung war ich die Einzige, die ein Kopftuch getragen hat. Eine Mitschülerin hat mich gefragt, ob ich im Ramadan den ganzen Monat lang nicht duschen darf. Die Frage war kein Witz. Ich habe mir dann die Zeit genommen und das mit dem Fasten ausführlich erklärt."
Der Ramadan – ein Teil Deutschlands
Sogar politisch ist der Ramadan in Deutschland angekommen, und so senden zum Ramadanfest nicht nur muslimische Gemeinschaften Grußbotschaften, sondern auch der Bundespräsident. Frank-Walter Steinmeier wies in seiner Botschaft im Jahr 2017 auf das gute Verhältnis zwischen muslimischen und nicht-muslimischen Bürgern hin.
"Es ist schön zu sehen, dass der Ramadan in Deutschland inzwischen zu einem selbstverständlichen Teil unseres gemeinsamen Lebens geworden ist. Dieses Fest zeigt: Wir können uns zusammen freuen, miteinander leben und uns mit Respekt und Fürsorge begegnen. Daran glaube ich, und dafür werde ich mich einsetzen, wo immer es mir möglich ist", so Steinmeier.
Nadine Berghausen
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