Zünglein an der Waage
Rund 14 Prozent der indischen Bevölkerung sind Muslime, und in rund 100 (18 Prozent) der 543 indischen Wahlkreise gilt der Anteil der muslimischen Wahlberechtigten als so groß, dass sie dort den Ausschlag für das Wahlergebnis geben können. In einigen Wahlkreisen erreicht ihr Anteil bis zu 40 Prozent.
Traditionell war die Kongress-Partei die politische Heimat der indischen Muslime, aber diese Bindung ist in den vergangenen 20 Jahren schwächer geworden. Offiziellen Angaben zufolge gehören die Muslime immer noch zu den wirtschaftlich am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen: Kein Wunder, dass sie von den Regierungen unter Kongress-Führung enttäuscht sind.
Die in jüngster Zeit auf einer Beliebtheitswoge schwimmende hindu-nationalistische BJP von Narendra Modi ist naturgemäß keine Alternative für Indiens Muslime. Daran ändert auch Modis Wahlkampfstrategie, sich als Retter der schwächelnden indischen Volkswirtschaft zu präsentieren, nichts. "Indiens Muslime wählen die Partei, der sie die besten Chancen einräumen, die BJP in einem gegebenen Wahlkreis zu besiegen", berichtet Wahlexperte Sanjay Mumar.
Modi und die BJP als Feindbild
Auf Modi lastet unter anderem der Vorwurf, kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2002 als Regierungschef des Bundesstaates Gujarat nichts gegen gewaltsame Ausschreitungen unternommen zu haben. Damals tötete ein Hindu-Mob mehr als 1.000 Menschen, die meisten von ihnen Muslime, Zehntausende wurden vertriebenen. Juristisch wurde Modi nichts nachgewiesen, aber er ist auch nicht auf die muslimische Bevölkerung zugegangen. So schwieg er auch, als bei jüngsten Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen im vergangenen September in Uttar Pradesh 65 Personen getötet und über 50.000 Muslime aus ihren Wohnungen vertrieben wurden.
Viele indische Muslime sind zudem noch von der Zerstörung der Babri-Moschee in Uttar Pradesh im Jahre 1992 durch einen Hindu-Mob traumatisiert. Auch damals hatten extremistische Teile der BJP ihre Hand im Spiel. Ein Viertel der Einwohnerschaft von Uttar Pradesh ist muslimisch. Der Geschäftsmann Nadeem aus Kanpur, wo Hindu-Extremisten nach der Zerstörung der Moschee im benachbarten Ayodhya durch die Straßen zogen, erlitt damals große finanzielle Verluste. Er spricht für viele, wenn er sagt: "Ein Geschäftsmann vergisst seine Verluste nie. Die Wunden von damals sind nicht verheilt."
Mukhtar Abbas Naqvi ist einer der wenigen muslimischen Vertreter in der Führung der BJP. Dass sie für die Muslime ein Feindbild ist, schreibt er der "böswilligen Propaganda ihrer politischen Gegner" zu. Seiner Meinung nach habe sich an der Einstellung der Muslime in den vergangenen 20 Jahren einiges geändert.
Von der Kongress-Partei enttäuscht
Beobachter gehen jedenfalls davon aus, dass die meisten Muslime nicht für die BJP stimmen werden. Aber für wen dann? Professor Amitabh Kundu von der Jawaharlal Nehru-Universität in Neu- Delhi hat im Auftrag der Regierung die Lage der Muslime in Indien analysiert: "Die Regierung (von Manmohan Singh) hat in den vergangenen fünf, sechs Jahren nur sehr bescheidene Ergebnisse erzielt, was die Verbesserung der Lage der muslimischen Bevölkerung betrifft", so Kundu. Mit einem "gewissen Maß" an Enttäuschung der Muslime mit der von der Kongress-Partei geführten Regierung sei zu rechnen, denn sie hätten viel mehr erwartet.
Davon dürften Regionalparteien wie die "Samajwadi-Partei" (Sozialistische Partei) profitieren, die "Bahujan Samaj-Partei" (BSP), die als Vertretung der Kastenlosen gegründet wurde, beide mit starker Verwurzelung im bevölkerungsreichsten Bundesstaat Uttar Pradesh, die "Rashtriya Janata Dal" (Nationale Volkspartei), die in Bihar stark ist, und die neue Anti-Korruptionspartei "Aam Aadmi" (AAP).
Insbesondere die AAP könnte für Muslime eine wählbare politische Alternative zur Kongress-Partei und zur BJP darstellen. Erst vor Kurzem hatte die Partei bei den Wahlen im Unionsterritorium Delhi eine BJP-Mehrheit verhindert. Experte Sanjay Kumar geht davon aus, dass die Muslime nur in solchen Wahlkreisen für die Kongress-Partei stimmen werden, wo es keine starke regionale Konkurrenz zur BJP gibt.
Geschäftsmann Nadeem erhofft sich von keiner der Parteien einen wirklichen Fortschritt für seine nationale Minderheit: "Seit der Unabhängigkeit Indiens hat niemand etwas für die Muslime getan. Alle versprechen das Gleiche. Es würde mich nicht überraschen, wenn auch die neue Regierung vergisst, dass auch die Muslime zu diesem Land gehören."
Angesichts solch geringer Erwartungen dürfte für die meisten Muslime bei der Stimmabgabe ausschlaggebend sein, welche Partei sie für am besten geeignet halten, einen Ministerpräsidenten Modi zu verhindern.
Samrah Fatima
© Deutsche Welle 2014
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de