Kooperation statt Konfrontation
Das Ergebnis der ersten Parlamentswahlen im Libanon seit neun Jahren lässt sich in drei Sätzen zusammenfassen. Die Wahlbeteiligung war mit 49,2 Prozent niedrig. Das vor allem vom Westen und von Saudi-Arabien unterstützte Parlamentsbündnis des libanesischen Premiers Saad Hariri ist der große Verlierer der Wahlen. Die von der Hisbollah geführte Allianz konnte dagegen dazugewinnen und besitzt nach ersten Hochrechnungen mit 67 Sitzen im Parlament mehr als die Hälfte der Sitze.
"Hisbollah = Libanon", twitterte denn auch kurz darauf der israelische Erziehungsminister Naftali Bennett. Wer nun aber, wie er, die Schlussfolgerung zieht, dass die vom Iran unterstütze Hisbollah der alleinige Wahlsieger ist, macht es sich zu einfach. Denn die Hisbollah selbst hat im Parlament in Beirut keine Sitze dazugewonnen, deren Verbündete von der schiitischen Amal-Bewegung und die christliche Bewegung der Freien Patrioten des libanesischen Präsidenten Michel Aoun dagegen schon.
Welche Signalwirkung haben die Wahlen?
Unklar ist, was das tatsächlich für den iranischen Einfluss im Libanon bedeutet - in einer Zeit, in der Israel nun neben Saudi-Arabien immer mehr auf einen Konfrontationskurs mit dem Iran geht und in der in Washington darüber debattiert wird, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen.
Eine Mehrheit des Hisbollah-Bündnisses stärkt zweifelsohne dessen Position, wenngleich vieles davon abhängen wird, wie stark der "Hisbollah-Griff" am Ende auf dessen Bündnispartner sein wird. Diskussionen über eine Entwaffnung der Hisbollah dürften nun endgültig der Vergangenheit angehören. Realistisch waren sie ohnehin nie, da die Hisbollah immer militärisch stärker war, als die libanesische Armee.
Für Hariri ist die Wahl ein "Schlag ins Gesicht", wie eine libanesische Tageszeitung titelte. Dennoch wird mit großer Wahrscheinlichkeit seine bisherige Regierung der nationalen Einheit fortgeführt, in der beide Bündnisse gemeinsam regieren.
Aufgrund der libanesischen Besonderheit, dass der Premierminister immer ein Sunnit sein muss, ist auch so gut wie sicher, dass der alte Ministerpräsident Saad Hariri auch der neue sein wird. Verschieben könnten sich die Ministerposten im Kabinett ein wenig zugunsten der Hisbollah. Am grundsätzlichen Power-Sharing wird sich dagegen wahrscheinlich wenig ändern.
Kein Interesse an politischer Polarisierung
Keines der Parlamentsbündnisse hat ein Interesse daran, das andere auszuschließen, da das die in den letzten Jahren auf wundersame Weise relativ stabile Lage im Libanon gefährden würde. Aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zum vom Bürgerkrieg geplagten Syrien und einem Viertel der Bevölkerung, die aus syrischen Flüchtlingen besteht, hat derzeit niemand im Libanon, ein Interesse an einer Polarisierung. Dafür ist die Erinnerung an die eigenen Bürgerkriegszeiten noch zu dominant.
Deutlich wurde das auch im letzten Jahr, als Saudi-Arabien von Premier Hariri eine deutlich aggressivere Politik gegenüber der Hisbollah gefordert und ihn dafür sogar längere Zeit in Saudi-Arabien festgehalten hatte. Am Ende hatte dieser saudische Schritt aber genau das Gegenteil erzeugt, nämlich einen libanesischen Schulterschluss.
Gewandelte strategische Bedeutung
Auch strategisch hat der Libanon nicht mehr die gleiche hohe Bedeutung, wie früher, als die Hisbollah im Libanon das wichtigste außenpolitische und militärische Instrument für Teheran außerhalb des Iran war. Heute hängt das Überleben des benachbarten syrischen Regimes fast vollständig vom Iran ab.
Dort sind im "Orbit Teherans" nicht nur die Hisbollah, sondern auch iranische Revolutionsgarden und schiitische Milizen auf den Seiten Assads unterwegs. So ist es kein Zufall, dass die letzten israelischen Luftangriffe gegen iranische und Hisbollah-Ziele nicht dem Libanon, sondern Syrien galten. Das heißt natürlich nicht, dass die Anwesenheit der Hisbollah und deren Raketenarsenal im Libanon nicht weiter ein wichtiger Faktor für Irans Außenwirkung bleiben, aber eben beileibe nicht der einzige.
Die Regierung der nationalen Einheit wird wahrscheinlich fortgeführt. Und der Iran hat seine regionalen Außenposten in Richtung Syrien und im Irak in den letzten Jahren diversifiziert, jenseits des Libanon. Beides bedeutet, dass man für das strategische Gleichgewicht zwischen proiranischen und antiiranischen Kräften in der Region, nicht zu viel in das libanesische Wahlergebnis hineininterpretieren sollte.
Karim El-Gawhary
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