Doch besser Trump? Wie die Demokraten arabische Stimmen verlieren
Bei der US-Wahl am Dienstag darf Mohanad Gazzaley zum ersten Mal abstimmen. 2018, mit 15 Jahren, kam er aus dem Jemen in die USA, mittlerweile ist er Staatsbürger. Doch ob Gazzaley tatsächlich zur Urne gehen wird, weiß er noch nicht.
Gazzaley ist unzufrieden, sowohl mit der Demokratin Kamala Harris als auch mit dem Republikaner Donald Trump, besonders mit deren Unterstützung für den Krieg Israels in Gaza und im Libanon. „Ich werde für keinen von beiden stimmen, weil sie beide gegen Palästina sind”, sagt er an seinem Arbeitsplatz, einem Sportgeschäft in Hamtramck im Bundesstaat Michigan.
Hamtramck grenzt direkt an Detroit; viele der rund 27.000 Einwohner sind muslimisch, die meisten von ihnen stammen aus dem Jemen oder Bangladesch. Der Stadtrat in Hamtramck ist ausschließlich muslimisch besetzt. Nirgendwo in den USA lebt so ein großer Anteil arabischstämmiger Wähler wie in Michigan.
In Hamtramck verdichtet sich kurz vor der Wahl, was sich landesweit beobachten lässt: Arabisch-muslimische Wähler, die in den letzten Jahren überwiegend demokratisch wählten, wenden sich angesichts der Unterstützung der Demokraten für Israels Krieg von der Partei ab und neigen teils sogar zu Trump und seinen Republikanern.
Kehrt dieses wichtige Wählermilieu den Demokraten den Rücken, könnte ihnen das den Sieg kosten – im schlimmsten Fall sogar das Präsidentenamt. Michigan mit seinen rund 240.000 Muslimen ist ein umkämpfter Swing State, womöglich entscheiden hier am 5. November einige tausend Stimmen die Wahl.
Die Bilder der getöteten Kinder in Gaza, die er auf seinem Handy sieht, würden ihn bestürzen, sagt Gazzaley in seinem Sportgeschäft. „Ich habe viele Freunde aus Palästina, von denen manche hier leben. Ihre Familien leiden dort.” Dass die USA die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland unterstützen, aber Israels Angriffe mit Waffen und diplomatischem Rückhalt befeuern, findet er widersprüchlich. Sollte er wählen gehen, werde er vielleicht für eine dritte Partei stimmen.
Auf den Hamas-Angriff am 7. Oktober hat Israel mit einer Luft- und Bodenoffensive geantwortet, die in Gaza über 40.000 Menschen tötete. Israelische Minister und hochrangige Politiker äußerten sich in genozidaler Sprache über die palästinensische Zivilbevölkerung. Die Regierung drosselte lebenswichtige Hilfe und das Militär zerstörte weite Landstriche. Der Internationale Gerichtshof prüft deshalb den Vorwurf des Völkermords.
US-Präsident Joe Biden sprach Israel direkt nach der Hamas-Attacke sein Mitgefühl aus und sicherte seine absolute Unterstützung zu. Bis heute ist die demokratische Regierung von dieser Position nicht abgerückt. Auch Harris, die sich nicht viel zu außenpolitischen Fragen geäußert hatte, deren Position aber mit ihrer Ernennung zur Präsidentschaftskandidatin in den Fokus rückte, ist in ihren wenigen Stellungnahmen nur leicht von der Rhetorik Bidens abgerückt. Harris betonte etwas stärker das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung.
Doch alle Beteuerungen der Demokraten, einen Waffenstillstand anzustreben, verliefen im Sand. Israels Regierung unter Benjamin Netanjahu zeigte kein Interesse an einer diplomatischen Lösung, weitete den Krieg sogar noch in den Libanon aus. Nichtsdestotrotz lieferten die USA weiter Kampfjets und Panzermunition in Milliardenhöhe – was viele Araber und Muslime den Demokraten übelnehmen.
Ein Demokrat für Trump
In Hamtramck nahm der Streit Ende September eine neue Volte: Der muslimische Bürgermeister Amer Ghalib, Mitglied der Demokratischen Partei, sprach sich in einem Facebook-Post für Trump aus. Einen Monat später reiste Trump nach Hamtramck, wo er mit Ghalib auftrat und dessen Wahlempfehlung eine „Ehre” nannte. Ghalib sagte, seine Community sei lange von den Republikanern entfremdet gewesen, doch es sei an der Zeit, dies zu überwinden. Trumps Besuch sei „ein Zeichen des Respekts und der Anerkennung für unsere Community”.
Mit dieser Position ist Ghalib nicht allein. Einer jüngsten Umfrage zufolge liegt Trump unter arabischstämmigen US-Wählern mit 45 Prozent knapp vor Harris, die auf 43 Prozent kommt. Im Wahlkampf hat Trump immer wieder mit seinem vermeintlichen Eintreten für Frieden kokettiert, behauptet, er würde die Kriege in der Levante und der Ukraine schnell beenden – ohne auszubuchstabieren, wie er das erreichen will.
Dabei lässt Trumps bisheriges Verhältnis zu Israel nicht darauf schließen, dass er die Regierung in Jerusalem an die Kandare nehmen würde. Mit Netanjahu verbindet ihn eine lange Beziehung, der Ex-Präsident bezeichnet sich selbst als den „besten Freund, den Israel je hatte”.
Während seiner Amtszeit hatte die Trump-Regierung Israels Siedlungsbau in den besetzten Gebieten für nicht mehr per se völkerrechtswidrig erklärt, er verlegte in einem hochsymbolischen Schritt die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem und erkannte die völkerrechtlich illegale Annexion der Golanhöhen durch Israel offiziell an. Schließlich stützt sich Trump in den USA auf eine Anhängerschaft evangelikaler Fundamentalisten, die bedingungslos für Israel eintreten und mit einer Eskalation im Heiligen Land die Wiederkunft Christi beschleunigen wollen.
Zum Krieg in Gaza sagte Trump, Israel verliere den PR-Krieg, forderte andererseits aber auch, Israel solle „zu Ende bringen, was es angefangen hat”. Widersprüchliche Aussagen gehören zu seiner Strategie. In Gesprächen mit Menschen vor Ort hört man oft von Trumps „Unberechenbarkeit” – wer weiß schon, ob er nicht doch besser wäre als die aktuelle Misere?
Eben dieses Wagnis scheinen viele arabische Wähler in den USA eingehen zu wollen. Dabei sehen sie auch über Trumps rassistische Ausfälle hinweg. So nannte er Joe Biden während der Präsidentschaftsdebatte einen „Palästinenser” – und meinte das als Beleidigung.
Verhängt Trump einen neuen Travel Ban?
Trumps Kampagnenteam hat in Hamtramck mittlerweile ein Wahlkampfbüro eröffnet. Hier war es auch, wo der Kandidat gemeinsam mit Bürgermeister Ghalib auftrat. Die Wände sind zugekleistert mit Trump-Fotos und Werbeschildern. „Wählt Frieden, wählt Trump” steht auf einem.
Sam Alasri ist in dem Pop-Up-Büro zu Besuch. Er leitet das Yemen American Political Action Committee (YAPAC), das sich für die politischen Interessen der jemenitisch-amerikanischen Bevölkerung einsetzt. 2020 hat sich der Verband noch für Joe Biden als Kandidat ausgesprochen. Dieses Jahr empfiehlt YAPAC die Wahl Donald Trumps.
Alasri trägt einen blau-grauen Anzug, goldene Gürtelschnalle und goldumrahmte Brille. Wieso glaubt er, dass Trump besser für die Palästinenser wäre? „Wir haben das mit ihm diskutiert”, sagt Alasri über den Krieg, „und er meinte, das sei seine Priorität und er müsse das stoppen.”
Fast vergessen scheint zu sein, dass Trump 2017 einen Einreisestopp für Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern verhängt hatte, unter den damals auch der Jemen fiel. Im Wahlkampf hat Trump angekündigt, den Einreisestopp erneut zu verhängen.
Es gebe Menschen in seinem Umfeld, die Angst hätten, erzählt Alasri: „Was, wenn er nochmal einen Reisestopp gegen uns erlässt?” Auch er nennt den Travel Ban „falsch”. Die Sorgen hält er aber für überzogen und sagt: „Ich glaube, Trump redet gerne viel." Er wolle mit dem Republikaner im Gespräch bleiben, um auf ihn einzuwirken.
Ein paar Tage später, Ende Oktober, hält Trump in Michigan eine Kundgebung ab. Alasri steht neben ihm auf der Bühne, gemeinsam mit anderen Vertretern der muslimischen und arabischen Community, die Trumps Kandidatur unterstützen.
Geteilte konservative Werte
Neben Israel und Gaza treiben noch andere Themen die arabischen Wähler in den USA um, wegen derer sie sich von den Demokraten abwenden. Immer wieder hört man in Gesprächen von den Preisen für Lebensmittel und Benzin sowie von den Mietkosten, die emporgeschossen seien.
Im Sportgeschäft in Hamtramck sagt Mohanad Gazzaley, viele seiner Freunde wünschten sich Trump vor allem deshalb zurück, weil es der Wirtschaft unter ihm besser gegangen sei. Für ihn sei es nur Trumps Haltung zu Israel und Palästina, die ihn von einer Stimme für Trump abhalte.
Die US-Republikaner profitieren auch von der konservativen Einstellung einiger Araber und Muslime in den USA, die in gesellschaftlichen Fragen traditioneller denken als die meisten demokratischen Wähler. Vergangenes Jahr stand der komplett muslimische (und komplett männliche) Stadtrat von Hamtramck in der Kritik, weil er verboten hatte, die Pride-Flagge auf öffentlichem Gemeindegelände zu zeigen.
„Unsere Familienwerte sind uns wichtig”, sagt Alasri. Einige Positionen der Demokraten zu Genderfragen nennt er „beängstigend”. Das verbindet ihn mit Trump. Bei seinem Auftritt in Hamtramck sagte Trump lobend über Bürgermeister Ghalib, dieser würde Männer im Frauensport und Transgender-Operationen ablehnen. „Ich glaube, der Großteil der arabischen Welt will das nicht und ich will das auch nicht. Aber die radikale Linke will das total.”
Doch nicht nur die konservativen, auch einige ihrer progressiven Anhänger wenden sich von den Demokraten ab. Linke arabische Amerikaner, viele ebenfalls aus Michigan, haben sich in der Uncommitted-Bewegung gesammelt, die bei den Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur der Demokraten dazu aufrief, aus Protest gegen die Israel-Politik mit „unentschlossen” zu stimmen. Landesweit erhielt die Bewegung über 700.000 Stimmen.
Auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten in Chicago im August weigerte sich das Parteiestablishment aber, Vertretern der Bewegung auch nur einen kurzen Redeplatz zu gewähren. Arabische Amerikaner waren damit die einzige relevante Gruppe, für deren Schmerz und politische Anliegen es keinen Raum gab.
Die Uncommitted-Bewegung spricht sich bis heute deutlich gegen Trump aus. Sie ruft jedoch auch nicht zur Wahl von Kamala Harris auf. Es ist eine hausgemachte Krise, die den US-Demokraten bei der Wahl am Dienstag zum Verhängnis werden könnte.
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