Ahmadinedschads islamistische Kulturrevolution
Der Verein iranischer Akademiker hat in einem ungewöhnlich scharfen Ton die Regierung Ahmadinedschad wegen eklatanter Verletzung der Menschenrechte an den Pranger gestellt.
Die Autoren werfen in einem offenen Brief den Verantwortlichen eine "systematische und von langer Hand geplante Missachtung der elementarsten Rechte" vor. Kritiker und Andersdenkende würden aus ihren Ämtern hinausgejagt, ohne jeglichen Rechtsbeistand und ohne rechtliche Handhabe verhaftet und zu selbst bezichtigenden Geständnissen gezwungen.
An den Universitäten seien zahlreiche, fortschrittliche Lehrkräfte entlassen und kritische Studenten an der Fortsetzung ihres Studiums gehindert worden.
Die Regierung propagiere eine "höchst gefährliche, fundamentalistische Ideologie", die den herrschenden jede Willkür gegen Andersdenkende erlaube. Die zunehmende Einschränkung akademischer Freiheiten und die permanenten Verletzungen der Menschenrechte seien "ein großes Verbrechen" gegen künftige Generationen.
Endstation Zensurbehörde
Tatsächlich hat sich die politische Lage seit der Amtsübernahme Ahmadinedschads im Juli vergangenen Jahres drastisch verschärft.
Das Verbot zahlreicher unabhängiger Zeitungen, wie der größten liberalen Zeitung "Schargh", die Verschärfung der Zensur, die Verfolgung von Kritikern und Repressalien gegen alle Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen und regierungsunabhängigen Organisationen, die sich dem Diktat der Regierung nicht beugen, drohen den freien Kulturbetrieb vollends lahm zu legen.
Der populärste Schriftsteller Irans, Mahmud Doulatabadi, erklärte während einer Lesung in Teheran, er werde aus Protest gegen die Härte der Zensur, keine Bücher mehr veröffentlichen. Seit Monaten lägen seine Manuskripte bei der Zensurbehörde. Er habe mit einigen Verlegern gesprochen. Allein zwei der Verleger hätten berichtet, dass 40 ihrer Bücher noch keine Genehmigung zur Veröffentlichung erhalten hätten.
"Tag für Tag wird der Stapel von Büchern und Manuskripten, die in verschlossen Räumen liegen, größer", sagte der Autor. "Ich weiß nicht, wie die Lösung dieses Problems aussehen könnte. Heute stehen nicht nur zahlreiche Verlage vor dem Bankrott, auch die Schriftsteller, Lyriker und Sachbuchautoren haben die Lust am Schreiben verloren."
Vielleicht würde die Zensurbehörde sich rühren, wenn die Verleger erklären würden, "keine Bücher mehr zu veröffentlichen und die Autoren sich weigern würden, Manuskripte zu liefern."
Selbstzensur oder Arbeitslosigkeit
Die starke Einschränkung des Rechts auf Meinungsäußerung richtet sich hauptsächlich gegen Schriftsteller, Journalisten und Intellektuelle, die der neuen Macht kritisch gegenüberstehen.
Die Repression bedeutet nicht nur ein Schlag gegen die Freiheit der Rede und Schrift, sie hat auch enorme ökonomische Folgen. Wird eine Zeitung verboten, verlieren hunderte Journalisten über Nacht ihren Job und damit die materielle Grundlage für sich und ihre Familie.
Liegen Bücher und Manuskripte für längere Zeit in der Zensurbehörde, müssen die betreffenden Verlage hohe Verluste hinnehmen oder gar ihre Häuser schließen. Auch die Autoren, die ohnehin kaum von den niedrigen Honoraren leben können, sehen sich oft gezwungen, ihren Beruf aufzugeben.
Das ist auch genau das Ziel, das mit der Verschärfung der Zensur verfolgt wird. Entweder sollen Autoren und Journalisten Selbstzensur üben oder einer anderen Beschäftigung nachgehen.
Die Regierung scheint entschlossen, jede Abweichung von islamistischer Ideologie mit aller Kraft auszugrenzen und zu kriminalisieren. Ahmadinedschad hat kürzlich die Studenten dazu aufgerufen, Professoren, die ein liberales Denken vertreten, aus dem Lehrbetrieb hinauszujagen.
Erneut Geschlechtertrennung?
An sämtlichen Universitäten und Hochschulen wurde der Führungsstab umbesetzt. Der gesamte Lehrbetrieb steht unter der Kontrolle der Milizen-Organisation der Basidjis und der Revolutionsgarden, die durch neu installierte Videokameras das Verhalten der Studenten beobachten.
Das Ministerium für Erziehung und Bildung kündigte an, den in den ersten Jahren erprobten und gescheiterten Versuch, die Geschlechter an den Universitäten zu trennen, wieder aufnehmen zu wollen. Mohammad Mohammadian, Hochschulbeauftragter des Revolutionsführers, kritisierte, dass die Universitäten sich in "Modesalons" verwandelt hätten.
An die Rektoren gerichtet, sagte er: "Ein Rektor ist nicht allein für Lehre und Forschung verantwortlich, sondern auch für den Glauben und das Denken der Studenten." Man müsse den Plan der Feinde der Islamischen Republik, die die islamische Kultur und Moral durch Verbreitung des "Verderbens und der Prostitution" unterwandern wollen, mit aller Kraft vereiteln.
Proteste an der Universität Teheran
All dies hat scharfe Proteste der Stundenten hervorgerufen. Am 6. Dezember, dem "Tag des Studenten" sind mehrere Tausend dem Aufruf des Vereins "Tahkim-e Wahdat", der größten Sudentenorganisation, zur Teilnahme an einer Protestkundgebung auf dem Campus der Teheraner Universität gefolgt. Zunächst war der Eingang durch Ordnungskräfte gesperrt. Doch den Studenten, die draußen standen, gelang es, das Tor aufzubrechen.
"Ich möchte Revolutionsführer Chamenei fragen, mit welchem Recht ein Student im Gefängnis getötet wurde", sagte Ali Nikunesbati, Vorstandsmitglied von "Tahkim-e Wahdat", auf der Kundgebung. Ahmadinedschad, der eigentliche Initiator der zweiten Kulturrevolution sei seines Amtes nicht würdig, so Nikunesbati.
Er forderte den sofortigen Rücktritt des Wissenschaftsministers. Armin Salmasi, Mitglied des Rats islamischer Studenten, sagte: "Sie haben unsere Professoren in den Ruhestand geschickt, zahlreiche Studenten an der Fortsetzung ihres Studiums gehindert, uns nicht nur Proteste, sondern das freie Atmen verboten und unsere Universitäten in Militärgarnisonen verwandelt. Glaubt ja nicht, dass unsere Geduld unerschöpflich ist, irgendwann wird das Fass überlaufen", warnte er.
Restriktionen für Studentinnen
Nilufar Golkar, Mitglied der Frauengruppe von "Tahkim-e Wahdat", beklagte die zunehmenden Repressionen gegen Studentinnen. Frauen hätten nicht nur unter der Diktatur, sondern auch unter der Despotie einer von Männern beherrschten Gesellschaft zu leiden.
Sie wehrte sich gegen verschärfte Kontrollen bezüglich der islamischen Kleiderordnung. Es sei eine Schande, Ausgangszeiten in Wohnheimen für Studentinnen, ihre Teilnahme am Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen sowie deren Aufnahme an den Universitäten einzuschränken.
In Sprechchören forderten die Versammelten immer wieder den Rücktritt des Wissenschaftsministers und skandierten Parolen wie: "Nieder mit der Despotie", "Das Volk will Brot und keine Bombe", "Universitäten sind keine Militärgarnisonen", "Freiheit, Gleichheit – das sind unsere Ziele".
Sie verurteilten auch jede Einmischung des Auslands. Wie die Nachrichtenagentur ISNA berichtete, kam es am Ende der Kundgebung zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften, bei denen zahlreiche Studenten verletzt und einige festgenommen wurden.
Bahman Nirumand
© Qantara.de 2006
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