Sein oder Nicht-Sein - die Netanjahu-Frage
Am 9. April entscheidet sich, ob die israelische Gesellschaft unter Netanjahu weiter nach rechts abdriftet oder mit dem politischen Novizen Gantz eine gemäßigte Richtung einschlägt.
Bislang hielten seine Fans so fest zu Netanjahu wie andere zu ihrem Fußballclub. Diesmal überlegen selbst eingefleischte Anhänger seines rechtskonservativen Likud, ob sie ihm noch mal ihre Stimme geben. Dass er kein Saubermann ist, sahen ihm viele nach, solange die gegen ihn laufenden Korruptionsverfahren sich auf Gaunereien wie die Annahme teurer Geschenke beliefen. Als Netanjahu vorgezogene Wahlen anberaumte, setzte er alles auf die Karte, erneut eine breite Mehrheit hinter sich zu bringen, die einer Anklage des Generalstaatsanwalts schon Wind aus den Segeln nehmen würde.
Doch im Wahlkampf kamen neue Vorwürfe ans Licht, die Israels Sicherheitspolitik tangieren. So musste Netanjahu einräumen, dem deutschen Kanzleramt grünes Licht für den Verkauf hochtechnologisch ausgerüstete U-Boote an Ägypten erteilt zu haben, ohne den Generalstab und die Geheimdienste zu informieren. Ein eigenmächtiges Vorgehen, das im israelischen Sicherheitsapparat für helle Empörung sorgte. Dubios ist auch ein Aktiengeschäft, bei dem Netanjahu 2010 offenbar vier Millionen US-Dollar mit Anteilen an einer Partnerfirma von ThyssenKrupp machte – dem Lieferanten von U-Booten der Dolphin-Klasse an Israel.
Den Verdacht, dass Netanjahu aus Eigeninteresse auf den Ankauf weiterer U-Boote bestand, die die Armee gar nicht wollte, tat er zwar als Schmutzkampagne politischer Gegner ab. Kein Zufall sei, dass das Wahlbündnis Blau-Weiß die Sache hochkoche, da ihr eigener Spitzenkandidat Benny Gantz kritischen Nachfragen wegen seines (angeblich von Iran) gehackten Handys ausgesetzt sei. Die im Umfeld des Premiers gestreuten Gerüchte, Gantz sei nun erpressbar und mithin ein "Staatsrisiko", zogen allerdings nur bedingt. Gantz hielt dagegen, auf besagtem Handy seien weder sicherheitsrelevante Daten noch Sex-Videos, wie unterstellt, gewesen. Die meisten Israelis nahmen ihm das ab.
Benny Gantz – kein Partner für die arabische Seite
Als Mann der Mitte muss Gantz auch Stimmen von rechts wie links holen. Nur so hat seine Blau-Weiß-Truppe, benannt nach den israelischen Nationalfarben, Aussichten, den Likud zu überholen. Ihr politisches Programm ist dünn, darauf angelegt, niemanden zu verprellen. Eine klare Position zur Palästina-Frage und dem Friedenprozess wird darin vermieden. Zu Beginn der Kampagne hatte sich Gantz gar gebrüstet, wie viele palästinensische Terroristen unter seinem Kommando erledigt worden seien. Auch betont er, unter ihm werde Jerusalem nicht geteilt. Ebenso müsse Israels östliche Grenze das Westjordanland bleiben, was wenig Chancen für eine Zwei-Staaten-Lösung lässt.
Geschmiedet wurde das Wahlbündnis von Blau-Weiß, dem gleich drei Generäle sowie Jair Lapid, Chef der Zukunftspartei, angehören, allein aus einem Zweck: "Bibi abzulösen", wie die Israelis ihren Premier nennen. "Dabei steht eigentlich die israelische Demokratie auf dem Spiel", meint Gayel Talshir, Politologin der Hebräischen Universität in Jerusalem. Deren liberalen Charakter haben diverse Gesetzesinitiativen der rechtsnationalen Regierung ausgehöhlt. Gantz will damit Schluss machen. Sein Pfund ist Integrität. Netanjahus Trumpf ist der Golan, den Donald Trump wider internationales Rechts zum israelischen Staatsgebiet erklärt hat.
Im Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Beiden sind die kleineren Parteien ins Hintertreffen geraten. Selbst die sozialdemokratische Arbeitspartei, einst stolze Volkspartei, liegt in Umfragen deutlich unter der Zehn-Prozent-Marke. Mit noch schlechteren Ergebnissen müssen die Wahlkämpfer der Religiösen, der Ultrarechten, der linken Meretz und auch der arabischen Minderheit rechnen.
Gespaltene Opposition
Letztere hatte 2015 mit der Vereinten Liste noch 13 Sitze geholt und es damit zur drittstärksten Fraktion gebracht. Im Streit um die Rangfolge der Kandidaten zerbrach das Bündnis in zwei Teile. Taal-Hadash, geführt von dem früheren Arafat-Berater Achmed Tibi, dem bekanntesten arabisch-israelischen Politiker und dem linken Bürgerrechtsanwalt Ayman Odeh, tritt nun getrennt von Balad-Raam an, ein Zusammenschluss von nationalen Protagonisten und islamischer Bewegung.
Diese Spaltung habe eine enorme Politikverdrossenheit unter den Palästinensern mit israelischem Pass erzeugt, sagt Amjad Shbita, Co-Direktor von Sikkuy, einer jüdisch-arabischen Assoziation für zivile Gleichheit. "Sie haben die Hoffnung verloren, mit Wahlen irgendwas ändern zu können." Der Hetze aus dem rechten Lager könne man doch nur vereint begegnen. Das von der Netanjahu-Regierung durchgepeitschte Nationalstaatsgesetz hat ihr Gefühl, von der Mehrheitsgesellschaft ausgegrenzt zu sein, noch verstärkt.
Erst kürzlich tat der Premier kund, Israel sei eben nicht ein Staat für alle seine Bürger, sondern "der Nationalstaat des jüdischen Volkes – und allein für es". Aber auch das Blau-Weiß-Bündnis, das eine Partnerschaft mit den Arabern ablehnt, sei, so Shbita, "für sie keine wirkliche Alternative". Entsprechend gering dürfte ihrer Ansicht nach die Wahlbeteiligung ausfallen.
Von den 14 Parteien, die auf Einzug in die Knesset hoffen, liegen mindestens fünf nur knapp über der Hürde von 3,25 Prozent. Umso schriller buhlen manche um Aufmerksamkeit. Justizministerin Ajelet Schaked, die für die Neue Rechte antritt, sprühte sich in einem offenbar ironisch gemeinten Spot mit einem Parfüm namens "Fascism" (Faschismus) ein. Moshe Feiglin, ein Likud-Abtrünniger, wirbt derweil mit seiner Rechtsaußen-Splitterpartei Sehut (Identität) für den Bau des Dritten Tempels sowie für die Legalisierung von Marihuana.
Ihr aller Abschneiden könnte entscheiden, ob der rechte Block oder das Mitte-Links-Lager über die Regierungsmehrheit von 61 Mandaten verfügt. Da Gantz eine Koalition mit arabischen Fraktionen ausschließt, könnte am Ende Netanjahu auch im Falle einer Niederlage wieder Premier werden. Es sei denn, es gibt eine große Koalition zwischen Blau-Weiß und dem Likud, aber ohne "Bibi".
Inge Günther
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