Ein Emirat trotzt Krise und Blockade
"Welche Krise?" Das ist die Antwort - egal, wen man in Qatar nach der Blockade fragt, die Saudi-Arabien und mit ihm verbündete arabische Staaten vor eineinhalb Jahren über das Golfemirat verhängten.
Das ist auch die Antwort von Nasir Ali, einem qatarischen Polizisten, als ich ihn in einem Supermarkt in Doha treffe. Er bittet mich, ihm zu den Regalen zu folgen, die mit Milchflaschen und Käse gefüllt sind - hergestellt auf einem klimatisierten Bauernhof 60 Kilometer vor der Stadt.
"Was ist, wenn die Saudis und die Emiratis uns keine Sachen über ihren Luftraum einfliegen lassen? Dann werden wir eben unsere eigenen machen", sagt er. Seine Augen strahlen vor Stolz auf die erfolgreiche Herstellung von Lebensmitteln in dem Wüstenland. "Wir kennen hier keinen Mangel."
Lager voller Leckereien
Im Juni 2017 hatten Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Bahrain den Handel mit und Reisen nach Qatar verboten und die Grenzen geschlossen, um Importe zu stoppen, auf die das Land angewiesen war. Doha stärkte daraufhin seine Milch- und Tierproduktion und sein Programm zur Ernährungssicherung. Innerhalb weniger Monate gelang es Qatar, die Einfuhren umzuleiten und sie am neuen Hamad-Hafen zu entladen, den die Regierung für über sieben Milliarden US-Dollar baute.
Der Mangel, den vor allem panische Hamsterkäufe verursachten, dauerte nur wenige Tage. Mittlerweile sind die Lager voll mit argentinischem Rindfleisch, deutschem Kaviar, iranischem Gemüse und weiteren Leckereien aus aller Welt. "Wir wollen keine saudischen Produkte und haben die Geschäfte gebeten, das, was noch übrig ist, zu entfernen", betont Nasir Ali.
Mit dem Embargo wollte die Staatenallianz den Emir von Qatar davon abbringen, die islamistischen Muslimbrüder zu unterstützen, die Saudi-Arabien und seine Verbündeten als Terroristen bezeichnen. Die Regierungen forderten Qatar auf, jede Hilfe für die Islamisten einzustellen und seinen internationalen Nachrichtensender Al-Jazeera zu schließen. Sie werfen dem Sender vor, die Rebellionen des sogenannten Arabischen Frühlings angeheizt zu haben.
Qatar weigerte sich, den Forderungen nachzukommen. Und das Land hat sich seitdem als viel widerstandsfähiger erwiesen, als es seine Nachbarn erwartet haben.
Verlässlich volle Taschen
Diese Widerstandsfähigkeit wird durch das Gefühl gestärkt, von Saudi-Arabien viel zu lange herumgeschubst worden zu sein. Aber vor allem wird sie durch die übervollen Staatskassen ermöglicht. Qatar brach seinen Staatsfonds in Höhe von über 340 Milliarden US-Dollar an, als der Boykott begann.
Und das Land kann nicht nur überleben, sondern sogar die 200 Milliarden US-Dollar schweren Infrastrukturprojekte für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 stemmen - unter anderem wegen der Erdgasreserven Qatars. Es sind die drittgrößten der Welt. Der dadurch entstandene Reichtum hat die Nation, die bis in die 1970er Jahre lediglich für das Perlentauchen bekannt war, zum Staat mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt gemacht.
Zwar hatte die Blockade durchaus auch negative Auswirkungen: gesunkene Immobilienpreise, Verluste bei der staatlichen Fluglinie Qatar Airways sowie weniger Touristen aus den anderen Golf-Staaten. Doch 18 Monate später scheint sich Qatar wieder erholt zu haben. Laut Internationalem Währungsfonds ist die Wirtschaft des Emirats weiter gewachsen. Im Dezember korrigierte die globale Ratingagentur S&P den Ausblick für Qatar von negativ auf stabil.
Neue Chancen für Unternehmen
Ibrahim al-Emadi ist Mitglied der zweitreichsten Familie Qatars und Cousin des Finanzministers des Landes. Er nimmt eine staubige blaue Vase mit arabischer Kalligraphie in die Hand und behauptet, sie sei Jahrhunderte alt. Antiquitäten sind sein Hobby. Emadi führt eine Reihe Unternehmen, die sich mit Krankenhausausstattung, Cybersicherheit und Immobilien befassen.
"Wir machen das großartig. Uns hätte nichts Besseres passieren können", urteilt er über die Blockade. "Ich bin kein Händler mehr. Ich bin die Agentur für unsere Importe." Emadi sagt, dass seine Unternehmen durch den Wegfall der saudischen und emiratischen Zwischenhändler 40 Prozent mehr Gewinn erzielt haben.
Seine Bilanz legt er nicht offen. Er ist jedoch der festen Überzeugung: "Wir haben die volle Unterstützung von unserer Regierung. Sie sagen: Du willst Geschäfte machen, hier helfen wir dir mit Geld und allem anderen, mach es."
Als Qatar seine Geschäftsleute aufforderte, die Initiative zu ergreifen, stellte der Staat sich selbst auch eine große Aufgabe: Er hat seine Verteidigungsfähigkeit gestärkt. Er entschied, Dutzende Milliarden US-Dollar für fortschrittliche Waffensysteme auszugeben. Zudem kündigte er den Kauf von 36 amerikanischen F-15-Jagdflugzeugen, zwölf französischen Rafale-Kampfjets und 24 Eurofighter-Taifun-Jets an. Qatar wird noch in diesem Jahr mit dem Bau einer neuen Marinebasis beginnen und plant, seine Marineeinheiten bis 2025 zu verdoppeln.
Mehr Soldaten rekrutieren
Doch die Regale in den Geschäften zu füllen und Milliarden für Waffen auszugeben, ist eine Sache - die Truppen aufzustocken eine andere. Nur jeder neunte Einwohner Qatars ist auch qatarischer Bürger - also insgesamt 300.000 von insgesamt 2,7 Millionen Einwohnern. Eine große Einschränkung, wenn das Land seine Streitkräfte ausbauen will. Bisher hat Doha weitgehend auf Soldaten aus anderen Ländern wie dem Sudan und Pakistan gesetzt.
Um das auszugleichen, hat Qatar das nationale Dienstprogramm von drei auf zwölf Monate verlängert und Frauen auf freiwilliger Basis eingeschrieben. "Zum ersten Mal werden unsere Frauen der Armee beitreten", sagt Emadi.
Für die eigentliche Verteidigung Qatars sorgt die Al-Udeid Air Base. Es ist der größte militärische Stützpunkt der USA in der Region. Die Qataris hatten allen Grund, besorgt zu sein, als US-Präsident Donald Trump zu Beginn der Blockade Saudi-Arabien unterstützte und sich gegen Qatar stellte. Doha betrieb daraufhin in Washington erfolgreich Lobbyarbeit und bot als Extra an, die Luftwaffenbasis zu erweitern, um Platz für die Familien von 10.000 US-amerikanischen Soldaten zu schaffen, die dort stationiert sind.
Die Spannungen haben sich seit Juni 2017 nicht mehr weiter verschärft, doch die Distanz zwischen den Nachbarn ist größer geworden. Im November kündigte Doha an, die OPEC zu verlassen. Qatar sei das kleinste Mitglied, so die offizielle Begründung, und wolle sich lieber auf die Gasproduktion konzentrieren. Beobachter werten den Austritt jedoch als Kritik an der Organisation, die als von den Saudis kontrolliert gilt.
Die Blockade bleibt
Eine weitere Brüskierung war die Teilnahme eines qatarischen Ministers am Gipfel des Golf-Kooperationsrates (GCC) in Riad - anstelle des Emirs. Medienberichten zufolge glaubte Qatar nicht daran, dass die Saudis auf dem Gipfel ernsthaft über Frieden diskutieren wollten und sah daher keinen Anlass, ihnen durch die Anwesenheit des Emirs entgegenzukommen.
Noha Aboueldahab vom Brookings Center in Doha meint, die Blockade habe die Beziehungen zwischen den Golfstaaten verändert - vielleicht für immer. "Es sei denn, es gibt einen grundlegenden Wechsel in den Regierungen dieser Länder", sagt sie. "Es wird lange dauern, bis wir eine echte Annäherung zwischen Qatar und den blockierenden Staaten erleben."
Qatar sieht sich in seinem Kurs durch den angeschlagenen Ruf des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman bestätigt. Die steigende Zahl der Todesopfer im Jemenkrieg, die Inhaftierung von Frauenrechtsaktivistinnen sowie die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi hatten jüngst für starke Kritik an Salman gesorgt.
Im Supermarkt sagt Nasir Ali: "Sie beschuldigen uns, Terroristen zu unterstützen. Und was ist mit Khashoggi?" Er fügte hinzu: "Wer hat Khashoggi getötet? Die Saudis töten ihre eigenen Leute. Wir lieben unseren Emir."
Anchal Vohra
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