Ein Dialogprogramm des Goethe-Instituts Alexandria

Politische Gewalt ist ein Phänomen westlicher wie muslimisch geprägter Gesellschaften. Das Goethe-Institut in Alexandria lud ägyptische und deutsche Studenten zur Diskussion.

Von Stefan Winkler

​​Fünf Tage lang diskutierten Studierende der Universitäten Alexandria und Duisburg-Essen zum Thema "Politische Gewalt in westlichen und muslimisch geprägten Gesellschaften". Der erste Teil des Projekts, das vom Goethe-Institut Kairo/Alexandria organisiert und aus Mitteln des Auswärtigen Amtes zum europäisch-islamischen Kulturdialog finanziert wurde, fand im April in Alexandria statt.

Schon vorher waren die beiden Arbeitsgruppen unter Leitung von Prof. Dr. Jochen Hippler/Duisburg-Essen und Prof. Dr. Mohamed El-Saadani, Alexandria, per E-Mail in Kontakt getreten. Teilnehmer des Projekts waren Studierende der Fächer Politikwissenschaft, Jura und Wirtschaft.

Die Ausgangsfrage bestehe darin, so Dr. Hippler, ob die Erfahrungen mit politischer Gewalt in Europa und die in muslimisch geprägten Gesellschaften gemeinsamen oder unterschiedlichen Quellen entsprängen und worin die Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestünden.

Ist die Wahrnehmung und Rechtfertigung von Gewalt kulturell unterschiedlich geprägt und worin könnten solche Unterschiede bestehen? Auf dieser Grundlage sollte versucht werden, die wechselseitige Wahrnehmung von Bedrohung auf beiden Seiten durch einen Ansatz der politischen Gewalt als eines "gemeinsamen Problems" zu ersetzen.

Ein echtes Dialogprojekt

Mit dem Projekt versucht das Goethe-Institut einen Beitrag zu leisten zur aktiven Auseinandersetzung mit anderen Identitäten, auf ägyptischer wie auch auf deutscher Seite. Das Thema politischer Gewalt auf beiden Seiten bietet sich dazu an, da es zurzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit steht.

Vor allem die junge Generation lernt, miteinander zu kommunizieren und Meinungsverschiedenheiten zu artikulieren und zu tolerieren. Insofern handelt es ich um eine Dialogveranstaltung, in der Dialog tatsächlich praktiziert wird und nicht nur darüber diskutiert wird.

Im Verlauf des Seminars zeigte sich schon bald, dass die Kontroversen nicht entlang der Linie Deutsche-Ägypter verliefen, sondern dass in beiden Gruppen unterschiedliche Auffassungen zu den Themen bestanden. Hier half der geschlossene Charakter der Veranstaltung, dass sich Ägypter und Deutsche bald sehr offen äußerten.

Während die Deutschen erstaunt waren, welchen Stellenwert die Religion im Leben der jungen ÄgypterInnen einnimmt, fanden die ägyptischen Studierenden die multikulturelle Zusammensetzung der deutschen Gruppe als Spiegelbild der deutschen Gesellschaft faszinierend.

Stefan Winkler

Erfahrungsbericht

Amira Elmasry, eine der ägyptischen Teilnehmerinnen schrieb nach dem Seminar ihre Eindrücke nieder:
Als ich zum ersten Mal von dem deutsch-ägyptischen Austauschprogramm hörte, das das Goethe-Institut zusammen mit der Universität von Alexandria organisiert, wusste ich nicht, was mich da erwarten würde. Auf der Tagesordnung standen Themen wie "Politische Gewalt", "Terrorismus und Widerstand" und "Politik und Religion", was erst einmal alles ziemlich klischeehaft klang.

Aber als sich dann die ägyptische Gruppe noch vor der Ankunft der deutschen Teilnehmer zusammensetzte, um den Workshop vorzubereiten, wurde mir bewusst, wie sensibel diese Themen de facto sind. Vor allem, weil es auch innerhalb unserer ägyptischen Gruppe schon einige hitzige Diskussionen gab, durch die uns erst deutlich wurde, dass es auch unter uns viele unterschiedliche Auffassungen gab.

Zum Glück konnten wir in den ersten paar Tagen, die wir zusammen mit der deutschen Gruppe in Kairo verbrachten, erst einmal das Eis brechen und ein freundschaftliches Klima schaffen.

Stereotypen abbauen

Bei dem ersten richtigen Gespräch hier in Alexandria waren wir zunächst alle noch sehr zurückhaltend. Doch bald schon gerieten wir in Schwung und ließen Ideen und Meinungen freien Lauf. Dabei traten natürlich auch unterschiedliche Auffassungen zu Tage, doch anders als ich erwartet hätte, ermutigte das die anderen Teilnehmer eher, selbst auch mitzureden.

So wurde die Diskussion immer reicher und interessanter und ging weit über eine Debatte zweier homogener Gruppen, einer europäischen und einer arabischen, hinaus. Es wurde schnell deutlich, dass die ägyptischen ebenso wie die deutschen Teilnehmer ganz individuelle Standpunkte vertraten, die nicht unbedingt mit denen ihrer Landsleute übereinstimmten.

Das half, Stereotypen über "die Anderen" abzubauen. Denn obwohl es durchaus um politische Themen ging, konnten wir immer auch zum Ausdruck bringen, welche Bedeutung die große Politik im konkreten Fall jeweils für uns persönlich hat. So wurde die Diskussion authentischer, lebhafter und weniger klischeehaft.

Nicht immer hielten wir uns an den Zeitplan, weil wir so neugierig aufeinander waren und so viel voneinander erfahren wollten, dass wir häufig abschweiften. Vielleicht beschwerten sich am Ende des Workshops auch genau deshalb ein paar Studenten, dass wir nicht zu einem eindeutigen Ergebnis gekommen waren. Das stimmt, aber zumindest für mich war es von Anfang an um etwas ganz anderes gegangen.

Sichtweise verändert

Dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beider Gruppen überhaupt einen so unmittelbaren Zugang zueinander bekamen und sich von Angesicht zu Angesicht austauschen konnten, abseits der vorgefertigten Meinungen, Bilder und Vorurteile, die die Massenmedien verbreiten, machte es möglich, viele zunächst bestehende Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

Man wurde nicht unbedingt von der eigenen Meinung abgebracht und von einer anderen überzeugt, aber zumindest verhalfen die Gespräche uns zu einem größeren Bewusstsein dafür, wie viele unterschiedliche Aspekte bei bestimmten Themen eine Rolle spielen. So konnte sich jeder seinen eigenen Reim auf die Dinge machen.

Als schließlich die Abreise bevorstand, war ich sehr froh, bei dem politischen "Brainstorming" der letzten Tage dabei gewesen zu sein. Diese Erfahrung hat mit Sicherheit meine Sichtweise auf viele Dinge verändert, und ich freue mich auf den zweiten Teil des Programms, wenn die ägyptische Gruppe nach Deutschland reisen wird, um den Dialog fortzusetzen.

Amira Elmasry

© Qantara.de 2005

Stefan Winkler ist Leiter des Goethe-Instituts in Alexandria.

Qantara.de

Dialogerfahrung
Ein Ägypter in Deutschland
Abdallah Daif vom Netzwerk "Gudran" aus Alexandria war Teilnehmer am diesjährigen "CrossCulture Projekts" in Deutschland, das vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) organisiert wird.

Dialogerfahrung
Eine Nigerianerin in Deutschland
Die 26jährige nigerianische Muslimin Aisha Lami Lawal arbeitet in ihrer Heimatstadt Lagos für eine Frauenrechtsorganisation. Im Rahmen ihres Aufenthalts in Frankfurt am Main zeichnet sie ein ungewöhnliches Bild von Deutschland aus einer afrikanischen Perspektive.

CrossCulture Praktika
Professionelles Arbeiten im unbekannten Land
Das Projekt "CrossCulture Praktika" ermöglicht jungen Akademikern und Kulturschaffenden aus Deutschland und islamischen Ländern, die jeweils andere Kultur und Lebensweise kennen zu lernen. Ariana Mirza hat nach persönlichen Motiven, Zielen und ersten Erfahrungen gefragt.

www
Goethe-Institut Alexandria