Rohanis Machtpoker
Bereits während des Präsidentschaftswahlkampfs vor über einem Jahr hatte Hassan Rohani versprochen, umgehend Maßnahmen zur Verbesserung der prekären Wirtschaftslage im Iran zu ergreifen, für eine gesellschaftspolitische Öffnung zu sorgen und eine Einigung im Nuklearstreit zu erreichen – mit Letzterem würde einhergehen, das internationale Sanktionsregime zu "brechen", wie Rohani zu sagen pflegte.
Was die Ökonomie des Landes betrifft, so kann die Regierung inzwischen tatsächlich einige Erfolge vorweisen: Die Inflationsrate konnte um die Hälfte von 40 Prozent auf etwa 20 Prozent reduziert werden. Der Wert des iranischen Rial hat sich wesentlich verbessert und auch das Preisniveau für Basisgüter und Lebensmittel hat sich heute stabilisiert. Die Automobilindustrie erlebt derzeit ebenso einen wirtschaftlichen Aufschwung wie die Petrochemieproduktion. Auch die Zunahme des Tourismus im Iran trägt positiv zur ökonomischen Entwicklung bei.
Doch um die größten Löcher im Staatshaushalt zu stopfen, wurden die Energiepreise um 30 Prozent und die Benzinpreise gar um bis zu 75 Prozent erhöht. Bemerkenswert hierbei ist, dass ein öffentlicher Aufschrei oder Proteste bislang ausgeblieben sind, genau wie Angriffe aus dem politischen Lager gegen die Wirtschaftspolitik Rohanis.
Doch es bleibt dabei: Irans Weg zu einem spürbaren Wirtschaftswachstum ist noch sehr weit. Die Regierung Rohanis wird noch beweisen müssen, dass sie imstande ist, die zahlreichen verbleibenden Aufgaben zu meistern. Um ausländische Direktinvestitionen anzuziehen, muss sich die Wirtschaft erst noch wirklich stabilisieren, auch wenn der Internationale Währungsfond (IWF) dem Land bescheinigt, auf einem guten Weg zu sein.
Ein Schritt vor, zwei zurück
Die bisherigen Ansätze der Rohani-Regierung, die Omnipräsenz des Sicherheitsapparates an den Hochschulen, in den Medien und im öffentlichen Leben einzuschränken, stoßen zunehmend auf Widerstand bei einflussreichen konservativen Akteuren undislamistischen Hardlinern. Einerseits sind zwar zaghafte Reformen zu beobachten, andererseits bleiben gewisse Rückschläge nicht aus. Beizeiten wirkt dies wie ein "Ein Schritt vor, zwei zurück"-Szenario.
Augenscheinlich manifestiert sich gegenwärtig der Widerstand der Regierungsgegner im Bildungsbereich: So droht Hochschulminister Reza Faradschi-Dana die Amtsenthebung durch das Parlament. Er wird unter anderem dafür kritisiert, Studierende und Dozenten, die aufgrund ihrer moderaten politischen Haltung von der Universität verbannt wurden, wieder zugelassen zu haben.
Und auch Kulturminister Ali Dschannati wurde wiederholt vorgeworfen, die Medien- und Kulturlandschaft der Islamischen Republik deregulieren zu wollen. Dschannati hatte sich auch dafür ausgesprochen, Facebook und andere soziale Netzwerke nicht länger zensieren zu wollen. Selbst als Sohn von Ajatollah Ahmad Dschannati, dem Vorsitzenden des mächtigen Wächterrats, ist er bislang nicht imstande, eine substanzielle Öffnung im Mediensektor zu erzielen.
Während die Vielfalt in der öffentlichen politischen Debatte deutlich zugenommen hat, zeigen die anhaltenden Festnahmen von Journalisten und Schließungen verschiedener Medien, dass der Kampf um die Diskurshoheit im öffentlichen Raum nach wie vor mit harten Bandagen geführt wird.
Der als Hardliner bekannte iranische Justizchef Sadegh Laridschani wurde erst kürzlich für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt. Seinen gewaltigen Einflussbereich wird die Regierung Rohani kaum brechen können. Und das macht es für den Präsidenten besonders schwer, im soziokulturellen und politischen Kontext seine Wahlversprechen einzuhalten.
Dass die massiven Widerstände konservativer Kräfte zugenommen haben, wirft jedoch ein Schlaglicht auf die tatsächlichen Bemühungen der Regierung, einen politischen Wandel herbeizuführen.
Keine Tabus bei den Atomverhandlungen
Das am 24. November 2013 verabschiedete Interimsabkommen zwischen dem Iran und der 5+1-Gruppe aus den UN-Vetomächten und Deutschland war ein bedeutender Durchbruch. Mittlerweile haben mehrere bilaterale Gespräche auf hoher Regierungsebene zwischen den USA und dem Iran stattgefunden – zuletzt am 7. August in Genf. Direkte Gespräche zwischen den Außenministern beider Länder sind inzwischen kein Tabu mehr.
Doch die Zeit läuft langsam aus, um eine abschließende Einigung zu erzielen. Am 18. Juli verkündeten die Verhandlungsparteien, die Frist nun um weitere vier Monate auf den 24. November verlegen. Doch es bleiben substanzielle Differenzen. Während der Iran darauf besteht, das Misstrauen der 5+1-Gruppe gegenüber seinem Nuklearprogramm durch eine gesteigerte Transparenz abzubauen, fordern die westlichen Staaten deutliche Einschnitte hinsichtlich der Kapazität des Nuklearprogramms. Fest steht: Der politische Wille allein wird nicht ausreichen, um die vielen technischen Details in diesem Konflikt zu lösen.
Die Gespräche vom 2. bis 18. Juli 2014 zeichneten sich erstmalig dadurch aus, dass – entgegen der Vereinbarung, Gesprächsinhalte vertraulich zu halten – sowohl iranische als auch amerikanische Offizielle mit einigen Details der jeweiligen Positionen an die Öffentlichkeit gingen. Diese öffentlichen Darstellungen belasteten die ohnehin komplizierten Gespräche, da auf diese Weise letztlich wenig Verhandlungsspielraum blieb.
Es ist durchaus denkbar, dass die Verhandlungsführer auf beiden Seiten diesmal auf die zunehmend kritischen Stimmen im eigenen Land eingehen mussten. Schließlich sehen sich beide Regierungen einem entschlossenen politischen Lager gegenüber, das eine abschließende Einigung im Nuklearstreit unter allen Umständen verhindern will.
Es sollte jedoch nicht weiter überraschen, dass nach 35 Jahren der gegenseitigen Dämonisierung kritische und skeptische Stimmen laut werden, sobald sich eine vorsichtige Annäherung abzeichnet. Rohani und Obama müssen sich beide mit ihren innenpolitischen Gegnern arrangieren – schließlich ist es an ihnen, eine mögliche Einigung zu ratifizieren.
Zur Hölle mit den Ängstlichen
Der zuletzt zunehmende Widerstand an seinem politischen Kurs scheint mittlerweile Hassan Rohani zuzusetzen. Zuletzt teilte er verbal gegen diejenigen aus, die ständig die Nuklearverhandlungen in Frage stellen: "Einige sind feige und haben kein Selbstbewusstsein. Wann immer die Verhandlungen beginnen, würden sie zittern, sagen sie. Dann fahrt doch zur Hölle und sucht Euch dort ein warmes Plätzchen!", kritisierte ungewöhnlich scharf Präsident Rohani seine Gegner.
Sein in Schärfe und Ton beispielloser Angriff sorgte im Iran für einigen Aufruhr. Am nachfolgenden Tag titelte das ultrakonservative Blatt Kayhan – bekannt für seine erbitterten Angriffe auf Moderate und Reformer: "Rohani offenbart seinen Moderationsdiskurs, indem er seine Kritiker zur Hölle schickt!"
In der Tat haben seine Wortwahl und die zwangsläufig damit einhergehende Kontroverse wenig mit dem versöhnlichen Ansatz zu tun, für den Rohani eigentlich steht. Unter Experten und Beobachtern wird zudem diskutiert, ob dieser rhetorische Ausbruch taktisch wirklich klug war. Ist es womöglich in einem System wie der Islamischen Republik gelegentlich nicht sogar notwendig, Kritiker auf diese Weise in die Schranken zu weisen?
Es ist an dieser Stelle wichtig zu unterscheiden zwischen Kritik, mit der sich ernsthaft auseinanderzusetzen ist und Kritik, welche unter Umständen nur abgewiesen, nicht aber beschwichtigt werden kann.
Divergierende Denkschulen
Eine Kritik, die faktenbasiert ist, muss auch faktenbasiert ausgestaltet sein. Bei Bedenken zu Maßnahmen in der Wirtschaftspolitik etwa muss die Regierung selbstverständlich ebenso angemessen reagieren wie bei Fragen zu technischen Details bei den Nuklearverhandlungen. Ohne Frage werden hierbei gerne aus parteipolitischer Erwägung heraus manche Tatsachen betont, während andere unterschlagen werden. Doch hier sollte die Kraft des faktischen Arguments obsiegen.
Eine Kritik, die ideologisch begründet ist, ist hingegen nur schwer beizukommen. Ihre Vertreter stammen zumeist aus erzkonservativen Kreisen im iranischen Parlament sowie aus rechtslastigen Teilen der politischen Elite und besonders konservativen Geistlichen. Sie nehmen stets interne und externe Dynamiken als Bedrohung und Unterwanderung des Wertesystems der Islamischen Republik wahr. Eine Liberalisierung des öffentlichen Raums stellt für sie ein Affront dar. Ihrer Ansicht nach ist ein regulatives und kontrollierendes System nach innen und eine auf Widerstand setzende Politik nach außen der effektivste Weg, die Werte der Islamischen Republik zu schützen.
Diese Denkschule suggeriert, dass Irans Stärke in einer ausgeprägten Autarkie zum Ausdruck kommt, während die sogenannten Zentristen wie Hassan Rohani Iran als starken Akteur wahrnehmen, wenn er sich als Kooperationspartner anbietet. Diese divergierenden Sichtweisen zusammenzuführen, scheint nach wie vor nur schwer möglich.
Adnan Tabatabai
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de