Von der Kunst, die Angst zu besiegen
„Ich kann mir nicht den Luxus leisten, Angst zu haben“, sagt Reem Maged, zuckt mit den Schultern und schüttelt fast verständnislos den Kopf. Angst sei der Grund für den gegenwärtigen Zustand Ägyptens, fügt sie erklärend hinzu.
Die Fernsehmoderatorin hat die Präsenz einer Kleopatra. Mit schulterlangem, lockigem Haar sitzt sie aufrecht in ihrem tiefen Sessel und blickt den interessierten Journalisten im Pressegespräch auf dem Global Media Forum der Deutschen Welle herausfordernd entgegen. Ihr Gesichtsausdruck ist genauso kühn, wie sie in Ägypten Fernsehjournalismus macht.
Ungewöhnliche Einblicke in den ägyptischen Alltag
Reem Maged ist eine der bekanntesten Frauen Ägyptens, die mit ihrer Arbeit als Journalistin einen Einblick in die Lebensumstände der ägyptischen Bevölkerung gewährt.
Maged moderiert die 30-minütige Doku-Serie „Gamei' Moannas Sallem“ (Englisch: „Women at a Turning Point“), die von der Deutschen Welle und dem ägyptischen Fernsehsender ONTV produziert wird. In jeder Sendung berichtet eine ägyptische Frau im Gespräch mit Maged von ihrem Leben, ihren Erlebnissen und Erfahrungen.
Was die verschiedenen Gäste der Sendung eint, sind ihre für die ägyptische Gesellschaft ungewöhnlichen Berufe. So kommen zum Beispiel eine Taxifahrerin, eine Sängerin und eine Kriegsfotografin zu Wort.
Den ägyptischen Frauen sei gar nicht richtig bewusst, welchen wirtschaftlichen Beitrag sie für die ägyptische Gesellschaft leisten würden, sagt Maged über die Sendereihe. Sie ist fest überzeugt: „Wir können nicht weiter über und für sie reden. Sie müssen ihre eigenen Heldinnen sein.“
Vor diesem Hintergrund ist es kaum verwunderlich, dass die Frauen in der Sendung im Mittelpunkt stehen. Maged hält sich im Gespräch sehr zurück, spricht wenig und stellt nur ab und zu eine dezente Frage. Ihre Fragen sind meist unspektakulär, alltäglich, und dennoch beispiellos: Keiner hat sie bislang öffentlich gestellt.
Öffentliche Plattform für private Erlebnisse
Es scheint, als seien Reem Maged und ihre Doku-Serie als öffentliche Plattform notwendig, damit sich die Zuschauerinnen ihrer gesellschaftlichen Relevanz bewusst werden können. Die Sendung wirkt wie ein öffentlicher Anstoß, damit ägyptische Frauen wirklich ihre „eigenen“ Heldinnen werden können.
Trotzdem behauptet die Journalistin, sie habe keine Vision. „Ich weiß es nicht, ich kann nicht für eine ganze Gesellschaft sprechen“, sagt sie. Ihre Aussage ist unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen sicherlich verständlich. Dass ihre Sendung dennoch ein klares Statement für den Wert der Arbeit ist, die Frauen in Ägypten tagtäglich leisten, ist offensichtlich.
Viele ihrer Karriereentscheidungen habe sie per Zufall getroffen, erzählt Maged über ihren Werdegang als Fernsehjournalistin. Tatsächlich scheint ihr Weg ins ägyptische Fernsehen zunächst eher unaufgeregt gewesen zu sein. Nach ihrem Studium der Medienwissenschaften an der Universität Kairo ging sie 1995 zum ägyptischen Fernsehsender Nile-TV. Dort arbeitete sie zwölf Jahre als Redakteurin und Redaktionsleiterin, bevor sie 2007 zum Privatsender ONTV wechselte.
Doch die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in Ägypten seit Beginn des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 haben Mageds Karriereentscheidungen reflektierter werden lassen. So gehörte sie in der Post-Mubarak-Ära auf einmal zu denjenigen Journalisten, die amtsführende Politiker, aber auch Aktivisten und Oppositionelle höchst kritisch hinterfragte.
Hitzige Debatte mit außergewöhnlichen Folgen
In ihrem Polit-Talk „Baladna bel Masry“ am 2. März 2011 lieferten sich der noch von Mubarak eingestellte Premierminister Ahmed Shafiq, der regierungskritische Schriftsteller Alaa al-Aswany und der ehemalige Fernsehsprecher Hamdi Kandil eine hitzige Debatte. Einen Tag später erfolgte der Rücktritt Shafiqs.
Ihr Polit-Talk wurde damals zu einer der bekanntesten Sendungen des Landes und markierte einen Meilenstein der ägyptischen Pressefreiheit. Denn ein politisches und gesellschaftliches Klima, das solche öffentlichen Auseinandersetzungen duldete, war bis dato eher ungewöhnlich. Maged selbst versteht ihre Show allerdings nicht als Ursache für den Rücktritt des Politikers. Vielmehr sei die Sendung der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe.
Im Jahr 2013, nach dem Militärputsch gegen Mohammed Mursi, den ersten demokratisch gewählten Präsidenten in Ägypten, zog Maged sich aus der ägyptischen Öffentlichkeit zurück. Während des Ramadans, erinnerte sie sich 2014 im Interview mit „Mada Breakfast“, hätte sie die Medientrends in ihrem Land vor dem Fernseher verfolgt und sei daraufhin nicht wieder auf den Bildschirm zurückgekehrt.
Viele ihrer Kollegen seien davon überzeugt gewesen, regierungsnah zu berichten, um Ägypten zu retten. Aber es sei nicht die Aufgabe von Journalisten, Ägypten zu retten. Ihre Aufgabe sei es, ihren Job zu machen – und der solle nicht prinzipiell regierungsnah ausgeübt werden, erläuterte Maged damals ihren Rückzug. „Kein ägyptisches Regime“, sagt sie mittlerweile, „verschenkt die Freiheit an seine Bürger.“
Kein Platz für kritische Sendungen
Nach nur zwei Ausstrahlungen im ägyptischen Sender ONTV wurde „Women at a Turning Point“ schon wieder abgesetzt. Am 22. Juli ist Reem Maged infolge Uneinigkeiten mit ONTVs neuem Management zurückgetreten. Damit ist das Format erstmal auf Eis gelegt. „Es gibt eben einen großen Unterschied zwischen staatlich geführtem Fernsehen und Sendern, die den Menschen gehören. Arabisches Fernsehen ist entweder im Besitz von Geschäftsmännern oder in dem des Staates“, fügt die Moderatorin noch hinzu.
Reem Maged gibt sich pessimistisch und kämpferisch zugleich. „Ich bin nicht sehr zuversichtlich, dass die Show einen großen Einfluss auf unsere Gesellschaft hat“, sagt sie. Die Menschen würden alte Filme und türkische Seifenopern zuhause schauen. Sie hätten das Interesse verloren – und das könne sie gut verstehen.
Vielen guten Journalisten sei außerdem das Risiko zu groß geworden, sich mit dem Regime auseinander zu setzen. Sie hätten sich ins Privatleben zurück gezogen, um nicht Teil der gegenwärtigen Ordnung werden zu müssen, beschreibt Maged die Stimmung in den ägyptischen Medienunternehmen. Sie sieht sich gerade aus diesem Grund in der Verantwortung für die jüngeren Generationen und möchte ihr ethisches Selbstverständnis als Journalistin weitergeben. „Das ist alles, was wir im Moment tun können, wir haben ihnen nicht viel mehr zu bieten.“
Julis Koch
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