Der Anwalt und die Militärs
Gamal Eid hält sich in seinem Urteil über den Militärrat nicht zurück: "Der Militärrat ist noch brutaler als Mubarak", lautet seine persönliche Bilanz der Übergangsregierung der Generäle. Er sieht die Politik des Militärrats unter der Führung von General Hussein Tantawi als einen Versuch, das System Mubarak zu verlängern und sich mit unlauteren Mitteln Privilegien bei der Transformation Ägyptens zu sichern.
Der Anwalt und Leiter der 2004 gegründeten Initiative "Arabic Network for Human Rights Information" (ANHRI) hat große Probleme mit den Militärs, die derzeit noch die Fäden der ägyptischen Politik in der Hand halten.
Erst nach dem endgütigen Abschluss der Präsidentschaftswahlen wollen sie zum 30. Juni die Macht in zivile Hände übergeben. Ob sie das tatsächlich tun und ob diese Machtübergabe reibungslos verläuft, ist derzeit wohl die spannendste Frage am Nil.
Der Hauptgrund für Eids Einschätzung ist die stark gestiegene Anzahl von Strafverfahren vor den Militärgerichten. Während der 30jährigen Herrschaft Mubaraks habe es rund 1.200 Prozesse vor Militärgerichten gegeben, seit dem Sturz des Diktators am 11. Februar 2011 bis zum Januar 2012 landeten 14.000 Verfahren bei den Militärgerichten, der größte Anteil davon allerdings in den ersten Monaten nach dem Sturz des Diktators, in den letzten Monaten sei die Zahl der Verfahren leicht zurückgegangen.
Fadenscheinige Anklagen
Zwar wurden die politischen Gefangenen aus der Mubarakzeit frei gelassen und niemand komme mehr ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis. Aber das Militär geht brutal gegen Demonstranten vor, verhaftet sie und konstruiert dann fadenscheinige Anklagen wie den neu eingeführten Straftatbestand "rücksichtsloses Verhalten". Zuletzt bei einer Demonstration vor dem Verteidigungsministerium im Kairoer Stadtteil Abbasiya am 4. Mai, als auch rund 30 Journalisten festgenommen wurden.
Nach einem Bericht von "Human Rights Watch" gab es an jenem Tag mehr als 370 Verletzte und einen Toten. Ähnliche Vorfälle in jüngster Zeit wurden entgegen der Ankündigung der Militärs bisher nicht juristisch aufgearbeitet. "Wir kämpfen gegen 60 Jahre autoritären Staat", sagt Eid. Dieser Kampf wird einen langen Atem brauchen.
Gamal Eid, geboren 1964, ist ein Anwalt aus Leidenschaft. Er stammt aus bescheidenen Verhältnissen und studierte an der juristischen Fakultät der Ain Shams Universität in Kairo. Für ihn gibt es nichts Schöneres, als Unschuldige vor Strafe zu retten.
Unter Mubarak war er selbst viermal im Gefängnis. Als Gründungsmitglied der Bewegung "Kifaya" ("Genug") gehört er zu den säkularen Wegbereitern der ägyptischen Protestbewegung, er hat aber unter Mubarak auch verfolgte Muslimbrüder verteidigt. Ein Polizist, der ihn misshandelte, wurde bis heute nicht für seine Taten belangt. Dass solche Taten endlich geahndet werden, treibt ihn in seiner Arbeit an.
Menschenrechte im Fokus
Das "Arabic Network for Human Rights Information" hat sich in den acht Jahren seines Bestehens zu einer der wichtigsten nichtstaatlichen Organisationen für Menschenrechtsarbeit im Nahen Osten entwickelt. Das Netzwerk mit seinen 25 Mitarbeitern, darunter acht Anwälten, bietet Rechtshilfe für Aktivisten, setzt sich für Meinungsfreiheit ein und dokumentiert Verstöße gegen die Menschenrechte in der gesamten arabischen Welt, seine Website ist die am häufigsten besuchte Internetseite zum Thema Menschenrechte im Nahen Osten.
Das Netzwerk hat im Frühjahr eine Dokumentation über die Opfer der Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz veröffentlicht. Sie enthält die Namen der rund 850 Ägypter, die während der Proteste im Januar und Februar 2011 ums Leben gekommen sind und benennt die genauen Umstände und die Verantwortlichen für ihren Tod. Sie untersucht auch die Frage, warum die wenigen Gerichtsverfahren gegen Angehörige der Armee mit Straffreiheit endeten.
Inzwischen wurde in einem ersten Verfahren gegen Polizisten ein Urteil erlassen. Im Mai hat ein Richter in Kairo fünf Polizisten für ihr Vorgehen gegen Demonstranten zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt, zehn weitere wurden in dem Verfahren freigesprochen, zwei Polizisten für ein Jahr vom Dienst suspendiert.
Die Frage der strafrechtlichen Aufarbeitung der Opfer der Protestbewegung gehört zu den heikelsten politischen Themen in Ägypten. Sicherheitskräfte hatten damals in die Menschenmenge auf dem Tahrir gefeuert. Der Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung für Offiziere und Garantien für ihre wirtschaftlichen Privilegien gehören zu den zentralen Anliegen des Militärrats vor der Übergabe der Macht in zivile Hände.
Internationales Renommee
Die Medien berichten offen über solche kontroversen Fragen. Die Dokumentation des Netzwerks fand große Beachtung in unabhängigen Tageszeitungen wie Al-Masry al-Youm oder Al-Shourouk, selbst das staatliche Fernsehen berichtete.
Gamal Eid wurde bereits mehrfach zu Interviews eingeladen. Der Anwalt, der für seine scharfe Zunge bekannt ist, ist dazu aber nur dann bereit, wenn das Gespräch auch live ausgestrahlt wird und daher nicht manipulierbar ist. "Revolutionen werden nicht von höflichen Menschen angeführt", lautet seine Devise.
Die mediale Präsenz bietet einen gewissen Schutz für ihn, genauso wie die internationale Aufmerksamkeit. 2011 erhielt das Netzwerk den mit 500.000 Euro dotierten Preis der Roland-Bergerstiftung. Die drei Prozesse, die derzeit gegen die Menschenrechtler geführt werden, bringen den Anwalt deshalb nicht weiter aus der Fassung.
Zu den prominenten Aktivisten, die Gamal Eid verteidigt, gehört die Bloggerin Asmaa Mahfouz. Mahfouz, die im Jahr 2011 den Sacharow-Preis des Europäischen Parlaments erhalten hat, war als Mitglied der "Jugendbewegung 6. April" eine der Initiatorinnen der Proteste auf dem Tahrir-Platz. Sie hat seither immer wieder den Militärrat und führende Politiker kritisiert.
Anfang Mai wurde sie von einem Kairoer Gericht vom Vorwurf der Verunglimpfung auf Twitter freigesprochen. Es war das erste Mal, dass in Ägypten eine Meinungsäußerung via Twitter Gegenstand eines Gerichtsverfahrens war. Der Vorsitzende der Partei der Ägyptischen Revolution, Tarek Zidan, hatte sie wegen eines kritischen Tweets verklagt.
Mahfouz hat aber noch weitere Klagen am Hals. Sie soll angeblich während einer Demonstration einen Mann geschlagen haben und wurde deshalb in Abwesenheit zu einem Jahr Haft verurteilt, ein Urteil, das auch in der Berufung bestätigt wurde. Solche politisch motivierten Verfahren gegen Blogger, Journalisten und Demonstranten dienen in erster Linie dazu, Kritiker einzuschüchtern.
Notwendige Reformen für mehr Demokratie
Wenn Ägypten wirklich den Weg in Richtung Demokratie gehen soll, dann müssen Polizei- und Justizwesen grundlegend umgebaut werden. Nur so könne eines Tages Rechtssicherheit herrschen. "Der Innenminister muss sich für Folter und Mord entschuldigen", fordert Eid. Doch das ist nur der erste Schritt.
Das Innenministerium und sein aufgeblähter Polizei- und Sicherheitsapparat mit ihren rund 1,25 Millionen Beamten müssen grundlegend umgestaltet und abgespeckt werden. Jeder Polizist sollte anhand eines Namensschildes identifizierbar sein und ein Call Center für Beschwerden eingerichtet werden.
Alle Kandidaten für die Ausbildung sollten wenigstens lesen und schreiben können. Das Auswahlverfahren für die Militärakademie soll transparent werden, damit nicht die Kinder hochrangiger Offiziere bevorzugt werden und das System sich selbst genügt. Was etwa bei den Spezial- und Sicherheitskräften vor sich geht, müsse endlich für die Öffentlichkeit transparent werden.
Trotz seiner grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem Militär geht Eid jedoch davon aus, dass sich die Generäle nicht dauerhaft an die Macht klammern werden. Der ägyptische Militärrat ist keine lateinamerikanische Junta, er wird sich seine herausgehobene Stellung in der ägyptischen Gesellschaft sichern wollen, dann aber zur Seite treten.
Immer wieder kursieren Gerüchte über Absprachen zwischen Militärs und den Muslimbrüdern, die das Parlament dominieren. "Es könnte allerdings der Druck der Straße erforderlich sein", ist der Anwalt überzeugt. Das Netzwerk hat sich gegen den angekündigten Versuch des Militärrats ausgesprochen, mit einer Verfassungserklärung vor der Machtübergabe die Kompetenzen des zukünftigen Präsidenten Positionen einzugrenzen.
Trotz aller Schwierigkeiten ist Gamal Eid vorsichtig optimistisch. Er glaubt, dass sich Ägypten nach dem Vorbild Indonesiens entwickeln könnte. In dem Land regierten nach dem Ende der Diktatur zunächst die Islamisten, dann waren sie entzaubert und eine Entwicklung in Richtung Demokratie konnte beginnen.
Claudia Mende
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Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de