Populist gegen Autokrat
„Grüßt mit zwei Fingern“, brüllt der Moderator auf der Bühne vor dem Sultanspalast von Yogyakarta. Unter ihm wogt eine bunte Menschenmasse – darunter Rikschafahrer, Drachentänzer, Palastangestellte, Frauengruppen, die nun alle die Hände zum Siegeszeichen in die Luft strecken und singen: „Vergesst nicht Jokowi zu wählen!“
So lautet der Refrain der Hymne „Grüßt mit zwei Fingern für Präsidentschaftskandidat Jokowi“, die Indonesiens bekannteste Rockband, Slank, mit befreundeten Musikern und Schauspielern im volkstümlichen Dangdut-Stil aufgenommen hat. Sie werben damit für den Präsidentschaftskandidaten Joko Widodo alias Jokowi, der bei den Wahlen am 9. Juli 2014 mit der Nummer 2 antritt.
Für ihn finden momentan im ganzen Land freiwillige Solidaritätskundgebungen statt, bei denen die Teilnehmer – anders als sonst bei Wahlveranstaltungen in Indonesien üblich – nicht bezahlt werden. So herrscht auch in der zentraljavanischen Kulturmetropole Yogyakarta zwei Wochen vor der Wahl Volksfeststimmung, als Hiphopper Marzuki Mohamad alias Kill The DJ seinen Song mit dem Titel „Vereint Euch, um die Nummer 2 zu wählen“ anstimmt: „Was braucht Indonesien? Ehrlich, einfach, fleißig: Unterstützt Jokowi, er ist zwar dünn und kommt vom Dorf, doch er ist aufrichtig und gibt uns Hoffnung. Jokowi ist einer von uns.“
Hoffnungskandidat des kleinen Mannes
Bei keiner Wahl seit der Demokratisierung des Landes 1998 hat sich die intellektuelle Elite Indonesiens so sehr politisch engagiert wie bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen. Der Grund dafür ist der 53-jährige Forstwissenschaftler und Möbelhändler, der sich als Bürgermeister der zentraljavanischen Stadt Surakarta und seit 2012 als Gouverneur der Hauptstadt Jakarta einen Namen als Politiker der kleinen Leute gemacht hat.
Mit seinen unangemeldeten Besuchen in ärmeren Wohnvierteln, auf traditionellen Märkten oder Volksfesten hat sich Jokowi die Herzen vieler einfacher Indonesier erobert. Er gilt er als harter Arbeiter und vor allem als nicht korrupt: Er wäre der erste Präsident Indonesiens, der keinerlei berufliche oder familiäre Beziehungen zum autoritären Regime des ehemaligen Diktators Suharto hätte. Politische Analysten sprechen daher von einem Wendepunkt in Indonesiens Demokratie. Jokowi und seine Anhänger wiederum sprechen von einer „mentalen Revolution“, die mehr Toleranz und eine transparente Regierung in dem von Korruption und Rechtsunsicherheit geplagten Land schaffen soll.
Für die Demokratische Partei des Kampfes Indonesiens (PDI-P) kandidiert der meist im einfachen Karohemd auftretende Javaner nun als künftiges Landesoberhaupt, unterstützt von den nationalistischen Parteien Nasdem und Hanura sowie der moderat-islamischen Partei des Volkserwachens (PKB). An seiner Seite der ehemalige Vize-Präsident Jusuf Kalla, ein erfahrener Staatsmann und einflussreicher Funktionär in diversen Organisationen, unter anderem in der Nahdlatul Ulama, der größten muslimischen Organisation des Landes, die für einen moderaten Islam steht.
Bangen um die Stimmen
Bei seiner Nominierung als Präsidentschaftskandidat im März dieses Jahres schien Jokowi noch ein Erdrutschsieg sicher zu sein. Nur vier Monate später sieht das Szenario allerdings ganz anders aus und der einst so populäre Sozialdemokrat muss um die Mehrheit bangen. Der Hauptgrund dafür sind massive Schmierkampagnen seiner Gegner: Als Mitglied der säkularen PDI-P habe er sowohl in Surakarta als auch in Jakarta bewusst nur mit christlichen Stellvertretern zusammengearbeitet und hauptsächlich nicht-muslimische Minderheiten gefördert. Demzufolge sei er kein guter Muslim und nicht dazu geeignet, das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt zu regieren. Einige Medien brachten sogar das Gerücht in Umlauf, der Javaner sei in Wirklichkeit chinesischer Abstammung, eine bei vielen Indonesiern verhasste Minderheit. Dass Jokowi bereits fünf Mal nach Mekka gereist ist, wird dagegen kaum erwähnt.
Die Gerüchteküche fing erst richtig an zu brodeln, als sich Jokowi weigerte, einigen islamischen Parteien sowie der ehemaligen Suharto-Partei Golkar in Hinsicht auf eine mögliche Koalition bereits im Voraus Ministerposten zu versprechen. Einen eigenen Kandidaten konnten die islamischen Parteien PAN, PBB, PKS und PPP aufgrund zu schlechter Ergebnisse bei den Parlamentswahlen im April nicht ernennen.
Stattdessen stellten sie sich daraufhin zusammen mit Golkar, der zweitgrößten Fraktion im Parlament nach Jokowis PDI-P, hinter den einzigen erfolgversprechenden Gegenkandidaten: Prabowo Subianto, Ex-Schwiegersohn Suhartos und Ex-Generalleutnant der indonesischen Armee, dem die Verantwortung für brutale Menschenrechtsverletzungen gegen Regimegegner während der Umbruch-Ära Ende der 1990er Jahre vorgeworfen wird. Seltsamerweise stören sich seine religiösen Verbündeten weder an diesen Vorwürfen, noch an der Tatsache, dass Prabowos Mutter Christin war.
Mit seiner eigenen Partei Gerindra („Bewegung Groß-Indonesien“), die von indonesischen Medien gern als „religiös-nationalistisch“ bezeichnet wird, verspricht Prabowo Subianto den Indonesiern eine bessere Zukunft unter der Führung seiner starken Hand. In zahlreichen Äußerungen machte er klar, dass er das momentane demokratische System in Indonesien zu lasch finde und straffere Strukturen einführen wolle. Auch wolle er den ausländischen Einfluss auf die indonesische Politik und Wirtschaft reduzieren.
Bei Wahlkampfveranstaltungen tritt er gern in militaristischer bis martialischer Manier auf, immer im strahlend weißen Hemd - mal reitet er auf einem Pferd, mal fliegt er im Hubschrauber ein. Bei Kundgebungen wie auf Wahlplakaten inszeniert er sich im Stil Soekarnos, des ikonisierten Republikgründers, der wie Prabowo einen Vize namens Hatta an seiner Seite hatte.
Auch zu seiner Unterstützung wurde ein Musikvideo produziert: Zu Queens „We will rock you“ singen vier Popstars „Prabowo-Hatta, Indonesien erwache, wer sonst sollte das Land auferstehen lassen aus seinem Elend?“ während sie den Wappenvogel Garuda in die Luft halten. Sänger Ahmad Dhani, Jury-Mitglied bei „Indonesian Idol“, stampft dabei mit Sonnenbrille in einer Imitation von Heinrich Himmlers SS-Uniform herum. Nachdem das Video einen internationalen Entrüstungssturm auslöste, distanzierte sich Prabowos Wahlkampfteam davon.
Pöbeleien im Vorfeld der Wahlen
„Ich finde es cool. Das Video drückt genau aus, was ich denke“, erklärt dagegen Fauzi Aminuddin, ein ehemaliger Unternehmer, der seit dem Bankrott seiner Firma als Taxi-Fahrer in Jakarta arbeitet. Trotz des wirtschaftlichen Aufstiegs seines Landes sieht er schwarz für die Zukunft: Zu marode sei die Infrastruktur, zu schlecht das Bildungssystem. „Indonesien braucht einen starken Mann an der Spitze – und das kann nur jemand mit militärischem Hintergrund sein. Jokowi ist viel zu schwach und unerfahren, um das Chaos im Land zu ordnen.“
Für noch mehr Chaos sorgen derweil Prabowo-Anhänger in Yogyakarta, zeitgleich zur Pro-Jokowi-Veranstaltung vor dem Sultanspalast: Schwarz vermummte Mitglieder der militant-islamischen Vereinigten Entwicklungspartei (PPP) schwenken grüne Fahnen mit der Kaaba, während sie in Motorradkonvois durch die Stadt dröhnen. Am Abend zerstören sie einen Posten der PDI-P und liefern sich eine Straßenschlacht mit der ebenfalls hitzköpfigen Jugend der „roten“ Partei. Mit Beginn des Fastenmonats Ramadan werden solche Auseinandersetzungen erst einmal ausgesetzt. Prabowos Gerindra-Partei hat allerdings bereits angekündigt, dass sie die Kampagne in den Moscheen fortsetzen wolle – trotz der ausdrücklichen Warnung der Wahlüberwachungsbehörde, dass Wahlwerbung in religiösen Stätten verboten sei. Sollte das Rennen so knapp ausgehen, wie es die Umfragen eine Woche vor der Wahl vorhersagen, erwarten viele Indonesier unruhige Zeiten.
„Prabowo und seine Verbündeten haben viel Geld, mit dem sie Stimmen kaufen können. Wenn er gewinnt, kehren wir wieder zurück zum Suharto-Regime“, kommentiert Butet Kartaredjasa, Indonesiens wohl bekanntester Komiker. „Wenn Prabowo einmal an der Macht ist, wird er sie nicht einfach wieder abgeben. Jokowi dagegen ist ehrlich. Er hört dem Volk zu. Er steht für Demokratie. Jetzt ist unsere Chance: So ein Kandidat kommt nicht noch einmal!“
Christina Schott
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Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de