Feuer der Wut

In Afghanistan eskalieren die gewaltsamen Proteste gegen die Koran-Verbrennung eines radikalen US-Pastors. Die ISAF entschuldigte sich am Sonntag für den Tod eines Zivilisten. Einzelheiten von Tobias Matern

Aufgebrachte Afghanen verbrennen eine Obama-Puppe in Jalalabad, Afghanistan; Foto: AP
Bei den Auseinandersetzungen während der Proteste zu den Koranverbrennungen in Masar-i-Scharif attackierten bewaffnete Männer das UN-Gebäude. Hunderte Demonstranten drangen auf das Gelände vor.

​​Es war bereits der dritte Tag in Folge. Auch am Sonntag demonstrierten Hunderte aufgebrachte Männer in der südafghanischen Provinz Kandahar gegen die vor bereits zwei Wochen in den USA erfolgte Verbrennung des Koran. Erneut kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen mindestens ein Mensch starb und 16 weitere verletzt wurden, wie der Nachrichtensender al-Dschasira berichtete. Proteste von Studenten in der östlichen Stadt Jalalabad blieben hingegen friedlich.

Schon am Samstag waren in Kandahar bei ähnlichen Protesten mindestens zehn Menschen gestorben und 80 verletzt worden. Erschüttert reagierte die westliche Gemeinschaft am Wochenende auf die Attacke auf das Gebäude der UN-Mission (Unama) in der nördlichen Stadt Masar-i-Scharif vom Freitag. Dabei waren sieben Mitarbeiter der Vereinten Nationen ums Leben gekommen, auch fünf Angreifer starben.

In Masar-i-Scharif hat die Bundeswehr ihren größten Stützpunkt in Afghanistan. In der Stadt sollen vom Sommer an die afghanischen Sicherheitskräfte das Kommando übernehmen, damit geht sie als eine der ersten Regionen diesen wichtigen Schritt.

Die örtliche Polizei hatte dem Mob am Freitag jedoch wenig entgegenzusetzen. Nach dem Gebet waren zunächst etwa 3000 Menschen auf die Straßen gegangen. Sie hatten ihrer Wut über die Koran-Verbrennung in den USA Luft gemacht, die offenbar in der Freitagspredigt erwähnt worden war. An der Aktion in Florida hatte auch der islamfeindliche Pastor Terry Jones teilgenommen. Unter die Protestierenden in Masar-i-Scharif mischten sich bewaffnete Männer, die das UN-Gebäude attackierten. Hunderte Demonstranten drangen auf das Gelände vor.

Taliban: Verursacher der Gewalt?

US-Präsident Barack Obama verurteilte die Ausschreitungen in Afghanistan am Wochenende scharf. Zwar sei es extrem intolerant gewesen, den Koran zu verbrennen, erklärte er am Samstag. "Dennoch ist es abscheulich, deshalb unschuldige Menschen anzugreifen und zu töten", sagte der amerikanische Präsident.

Brennendes UN-Gebäude in Masar-i-Scharif; Foto: dapd
Der Chef der UN-Mission in Afghanistan, Staffan de Mistura, kritisierte bei einem Besuch des weitgehend zerstörten Büros in Masar-i-Scharif den amerikanischen Pastor, der den Koran verbrannt hatte.

​​Der Chef der UN-Mission in Afghanistan, Staffan de Mistura, kritisierte bei einem Besuch des weitgehend zerstörten Büros in Masar-i-Scharif den amerikanischen Pastor, der den Koran verbrannt hatte. "Wir sollten keinem Afghanen die Schuld zuweisen, wir sollten der Person die Schuld zuweisen, der für diese Nachricht verantwortlich ist und den Koran verbrannt hat."

Das Recht auf freie Meinungsäußerung habe seine Grenze, wenn es "Kultur, Religion und Traditionen beleidigt", sagte de Mistura.

Behördenvertreter in Masar-i-Scharif beschuldigten die Taliban, die Gewalt gegen die UN angezettelt zu haben. Die Aufständischen ließen diese Anschuldigung über einen Sprecher zurückweisen, verurteilten die Koran-Verbrennung aber allgemein als "unislamischen Akt".

Entschuldigung für den Tod eines Zivilisten

Trotz des Todes ihrer Mitarbeiter machten Vertreter der UN deutlich, die Mission werde fortgesetzt. "Wir haben keinerlei Absicht, unsere Mitarbeiter zu evakuieren", sagte UN-Sprecher Kieran Dwyer. Aber der Vorfall in Masar-i-Scharif habe gezeigt, dass die Sicherheitslage deutlich verbessert werden müsse und hier vor allem die afghanische Polizei gefordert sei.

Die UN schlossen ihr Büro in der nördlichen Stadt zunächst, kündigten aber an, dass es sich nur um einen vorübergehenden Schritt handele, bis die Sicherheitsvorkehrungen verbessert worden seien. Die überlebenden UN-Mitarbeiter aus Masar-i-Scharif wurden zur Betreuung nach Kabul geflogen.

Afghanen treten US-Fahne mit den Füßen; Foto: AP
Bislang richten sich die Proteste in Afghanistan gegen die Koran-Verbrennung. Vertreter der westlichen Gemeinschaft gehen aber davon aus, dass sich die Wut der Demonstranten auch noch gegen US-Soldaten richten könnte.

​​Die Nato-Mission in Afghanistan (Isaf) entschuldigte sich am Sonntag für den Tod eines Zivilisten. Er war bei einer gemeinsamen Operation der Isaf und der afghanischen Armee gegen Aufständische ums Leben gekommen, teilte das Bündnis mit.

Sorge bereiten der westlichen Allianz nicht nur die Demonstrationen gegen die Koran-Verbrennung, sondern auch Fotos, die das Nachrichtenmagazin Der Spiegel veröffentlicht hatte. Darauf zu sehen sind amerikanische Soldaten, die stolz vor zuvor grausam ermordeten afghanischen Zivilisten posieren. Ihnen wird in den USA der Prozess gemacht, ein Militärgericht hat einen Soldaten zu einer Haftstrafe von 24 Jahren verurteilt.

Bislang richten sich die Proteste in Afghanistan gegen die Koran-Verbrennung. Vertreter der westlichen Gemeinschaft gehen aber davon aus, dass sich die Wut der Demonstranten auch noch gegen die Morde der US-Soldaten, die auf den Fotos dokumentiert sind, richten könnte.

Tobias Matern

© Süddeutsche Zeitung 2011

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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