Bröckelnde Tabus

Auf den ersten Blick wirkt die politische Lage in Jordanien stabil. Doch unter der Oberfläche rumort es auch im haschemitischen Königreich gewaltig. Mit der Ernennung eines neuen Premierministers reagiert König Abdullah zwar auf den Druck der Straße, doch auf echte Reformen wartet das Land noch immer. Von Claudia Mende

Von Claudia Mende

In Jordaniens Hauptstadt Amman protestieren jeden Freitag in den engen Straßen der Innenstadt rund um die Husseiny-Moschee etwa 4.000 Demonstranten. Sie fordern Woche für Woche eine grundlegende Reform des Systems, mehr Bürgerrechte und ein Ende der grassierenden Korruption.

Doch im Gegensatz zum Nachbarland Syrien verlaufen solche Demonstrationen in Jordanien meist friedlich. Im Juli gab es bei Zusammenstößen mit der Polizei Verletzte, auch unter den anwesenden Journalisten. Doch seitdem halten sich Polizei und Geheimdienst zurück, beobachten allerdings wachsam, wer hier demonstriert.

Dominiert werden die Proteste in der Hauptstadt von den jordanischen Muslimbrüdern, die eine konstitutionelle Monarchie wollen. Neu ist die ebenfalls vor allem transjordanisch geprägte urbane Gruppierung "Jugendliche des 24. März" (Shabab 24. März). Auch außerhalb Ammans, vor allem in Kerak, Maan und Tafile im Süden des Landes, flammen immer wieder Proteste auf.

Kosmetische Reformen

Die jordanische Monarchie wirkt auch nach fast einem Jahr im Arabischen Frühling stabil. Auf Forderungen nach mehr Partizipation der Bürger hat König Abdullah mit einer kontrollierten Verfassungsreform reagiert. Einige Passagen der Verfassung wurden im August 2011 geändert, zum Beispiel sollen die Kompetenzen der Sicherheitsgerichte eingeschränkt werden. Bisher wurde das allerdings noch nicht umgesetzt.

König Abdulah II. von Jordanien; Foto: dpa
Vage Versprechen, ausbleibende Reformen: König Abdullah II. gerät angesichts grassierender wirtschaftlicher und politischer Missstände in Jordanien bei der Zivilbevölkerung zunehmend in Erklärungsnot.

​​Außerdem gab der Monarch ein vages Versprechen, wonach der Ministerpräsident irgendwann in Zukunft gewählt und nicht wie bisher von ihm eingesetzt werden soll. Doch insgesamt handelt es sich um eher kosmetische Änderungen. Unter der ruhigen Oberfläche gibt es daher auch in Jordanien eine starke Strömung der Unzufriedenheit, die sich auf Dauer nicht mit minimalen Zugeständnissen zufrieden geben wird.

Jordanien kämpft mit den gleichen Problemen wie die Nachbarn Syrien und Ägypten, auch wenn die Jordanier stolz darauf sind, dass in ihrer Heimat Demonstranten nicht von der Polizei niedergeschossen werden wie in Syrien. Das Land besitzt keine Erdölvorräte, leidet unter massivem Wassermangel und hängt am Tropf ausländischer Hilfe vor allem aus den USA und aus Saudi-Arabien.

Der Tourismus ist seit Ausbruch des Arabischen Frühlings um bis zu 60 Prozent eingebrochen. Die Arbeitslosenquote liegt real um die 30 Prozent, viele junge Menschen sind gut ausgebildet und dennoch chancenlos auf dem Arbeitsmarkt, die Preise für Mieten und Benzin explodieren. Korruption ist weit verbreitet und wird von Jordaniern offen als großes Problem angesprochen.

Das Parlament kann seine Kontroll- und Gesetzgebungsfunktion nicht ernsthaft ausfüllen. Es dient eher dem Ausgleich unterschiedlicher Interessen in einem System von Patronage als der demokratischen Entscheidungsfindung. Die Parlamentarier selbst haben kein Interesse an einer Ausweitung ihrer Rechte.

Neuer Hoffnungsträger König Abdullahs

Gerade hat König Abdullah zum zweiten Mal in diesem Jahr den Premierminister ausgetauscht. Der 61-jährige neue Premier Awn Khasawneh genießt international einen guten Ruf. Seine Ernennung ist daher ein Signal an die Protestbewegung und an die Geldgeber in Westen.

Jordanischer Premierminister Awn Khasawneh; Foto: dpa
Der neue jordanische Premierminister Khasawneh hat angekündigt, das Königreich werde nie wieder eine Wahl erleben, die "durch Manipulation beschädigt" worden sei wie die Wahlen vom November 2010.

​​Der Jurist war seit 2000 Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und wird bis jetzt nicht mit Korruption in Verbindung gebracht. Khasawneh hat angekündigt, das Königreich werde nie wieder eine Wahl erleben, die "durch Manipulation beschädigt" worden sei wie die Wahlen vom November 2010. Bisher konnten unpopuläre Regierungschefs viel vom Unmut der Bürger auf sich ziehen, so dass der Monarch selber außen vor blieb. Kritik am Königshaus war in Jordanien lange Zeit tabu, doch das Tabu beginnt zu bröckeln.

Dabei macht sich die tiefe Spaltung des Landes in die ursprünglichen Jordanier und die 60-prozentige Mehrheit der Palästinenser immer wieder bemerkbar.

Die haschemitische Monarchie hat ihre Machtbasis vor allem bei den traditionellen jordanischen Stämmen. Sie dominieren auch Verwaltung und Sicherheitskräfte, während die Palästinenser die freie Wirtschaft prägen und oftmals besser ausgebildet sind. Sie profitieren vom Wirtschaftsboom in Amman und Aqaba, während bei den traditionellen Stämmen in den ländlichen Gebieten kaum etwas davon ankommt.

"Die Proteste sind primär transjordanisch geprägt", sagt André Bank vom Institute of Middle East Studies beim German Institut of Global and Area Studies in Hamburg. "Das ist für das Regime viel problematischer als frühere Proteste von vorwiegend palästinensisch geprägten Gruppen."

Im Februar haben Vertreter jordanischer Stämme sich in einem Brandbrief an den König beschwert, ein einmaliger Vorgang im Königreich. "Noch vor Stabilität und ausreichenden Lebensmitteln will das jordanische Volk Freiheit, Würde, Demokratie und Gerechtigkeit, Menschenrechte und ein Ende der Korruption", schrieben 36 Vertreter führender transjordanischer Familien.

Königin Rania von Jordanien auf dem Weltwirtschaftsforum Nahost in Jordanien; Foto: World Economic Forum
In der Kritik: Jordaniens Königin Rania wird vorgeworfen, öffentliche Gelder verschwendet zu haben.

​​Sie kritisierten offen die aus einer palästinensischen Familie stammende Königin Rania wegen der Verschwendung von öffentlichen Mitteln und den ausschweifenden Feierlichkeiten aus Anlass ihres 40. Geburtstags. Das wäre noch vor ein paar Jahren undenkbar gewesen.

Auch die jordanische Medienlandschaft wird selbstbewußter. Medien wie die unabhängige Tageszeitung Al Ghad greifen Korruptionsfälle auf. Über Proteste der Bevölkerung gegen Großprojekte wie dem geplanten Atomkraftwerk in Mafraq nördlich von Amman wird offen in englisch- und arabischsprachigen Medien berichtet, obwohl sich der König auf Atomenergie festgelegt hat.

Kritische Blogs wie www.Black-Iris.com des jungen Journalisten Naseem Tarawnah aus Amman sprechen offen an, dass auch in Jordanien seit Beginn des Arabischen Frühlings rote Linien nicht mehr wie früher selbstverständlich gelten. Interessant dabei ist, dass Tarawneh aus einer einflussreichen transjordanischen Familie in Kerak stammt.

"Vor zwei Jahren wäre das nicht möglich gewesen", analysiert André Bank die Entwicklung. "Die Angst vor Repressionen ist zwar nicht völlig weg, aber es lassen sich nicht mehr so viele von ihr einschüchtern."

Immer noch wollen die meisten Jordanier die Monarchie reformieren, anstatt sie abzuschaffen. Doch ihr Unmut steigt und sie wollen Ergebnisse sehen.

Claudia Mende

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de