Entscheidender Test für türkische Justiz
In Istanbul begann der Prozess gegen 18 Personen, denen die Beteiligung am Mord des türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink zur Last gelegt wird. Dorian Jones berichtet.
Der Mord an dem prominenten türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink im vergangenen Januar sorgte in der Türkei wie auch international für große Empörung. Der Prozess gegen den Mörder und seine Hintermänner wird nun auch als entscheidender Test für die türkische Justiz angesehen - aber auch dafür, wie es das Land mit der Meinungsfreiheit hält.
Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen begann Anfang Juli in Istanbul der Prozess gegen 18 Personen, die an dem Mordanschlag auf Hrant Dink beteiligt gewesen sein sollen.
Dink war im Januar auf der Straße, vor der Redaktion der von ihm herausgegebenen Zeitung Agos, erschossen worden.
Hrant Dink war ein vehementer Vertreter der Menschenrechtsbewegung, und der Mord an ihm löste im ganzen Land eine Welle des Zorns und der Trauer aus. Mehr als 100.000 Menschen hatten an seiner Beerdigung teilgenommen, die zu einer machtvollen Demonstration der Solidarität wurde.
Der 17-jährige Arbeitslose Ogün Samast wird angeklagt, Dink erschossen zu haben. Die Verhandlung selbst findet in Abwesenheit der Presse statt, da Samast noch nicht volljährig ist.
"Wir alle sind Dink!"
Am Eröffnungstag der Anhörungen kamen etwa 1000 Menschen vor dem Gerichtsgebäude zusammen, die gegen den Mord an Dink protestierten. Einige riefen "Wir sind alle Armenier!, Wir alle sind Dink!", während andere dabei standen und still ihre Solidarität bekundeten.
Eine Frau erklärte: "Wir sind gekommen, um an den Verlust von Hrant Dink zu erinnern und daran, dass wir ihn nicht vergessen werden. Wir tragen noch immer schwarz, weil wir noch immer trauern."
Eine andere sagte, dass sie sehen möchte, wie die für die Tat Verantwortlichen dafür zur Rechenschaft gezogen und bestraft werden, und dass man nicht ruhen werde, bis genau dies geschehen ist.
Die Staatsanwaltschaft beruft sich darauf, dass Samast nach der Festnahme durch die Polizei bereits gestanden habe. Angeblich hatte er Beziehungen zu einer ultra-nationalistischen Gruppe, in deren Augen Dink ein Verräter war.
Der getötete Journalist klagte die Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches des Völkermordes an den Armeniern an. Die Türkei bestreitet bis heute, dass es sich bei den 90 Jahre zurückliegenden Taten um einen Genozid gehandelt habe, und erklärt, dass alles im Rahmen eines blutigen Bürgerkriegs geschah.
Kritik an Untersuchung des Mordes
In den Monaten vor seiner Erschießung hatte Dink zahlreiche Morddrohungen radikaler nationalistischer Gruppen erhalten. 17 Personen sind nun gemeinsam mit Samast der Mordverschwörung gegen Dink angeklagt.
Von den meisten ist bekannt, dass sie Kontakte zu extremen Organisationen unterhalten, die ihrerseits mit vorangegangenen Morden in Verbindung gebracht werden.
Zwei von ihnen, Yasin Hayal und Erhan Tuncel, werden beschuldigt, eine radikale Gruppe anzuführen und den Mord befohlen zu haben. Die Beschuldigten müssen mit einer Strafe zwischen siebeneinhalb und lebenslanger Haft rechnen.
Seit Dink getötet wurde und seit der öffentlichen Empörung darüber stehen die Sicherheitsbehörden des Landes unter großem Druck, alle Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Denn auch wenn nun 18 Personen vor Gericht stehen, behaupten Kritiker, dass die Untersuchungen nicht weit genug gingen.
Und tatsächlich gibt es Hinweise auf Beziehungen zwischen den Beschuldigten und Teilen der Sicherheitsbehörden.
Leidenschaftliche Rede der Witwe
Nach dem Mord an Dink waren Videoaufnahmen aufgetaucht, die Samast zeigen, wie er mit mehreren Polizisten vor einer türkischen Fahne posiert. Eine Zeitung behauptete, Samast sei wie ein Held behandelt worden.
Bereits vor der Verhandlung beklagte Fethiye Cetin, eine Anwältin der Familie Dink, dass etwa ein namentlich nicht genannter Sicherheitsbeamter nicht mit auf der Anklagebank sitze, obwohl inzwischen bekannt sei, dass es Beziehungen zu den Angeklagten gab, dass man sich Pflichtverletzungen zuschulde kommen und Beweismittel verschwinden ließ und dass der Mord sogar als gerechtfertigt angesehen wurde.
Rakel Dink, Witwe des ermordeten Journalisten, hielt vor Gericht eine leidenschaftliche Rede, in der sie von den Schwierigkeiten sprach, mit denen sie beide als Armenier in der Türkei zu kämpfen hatten und von ihrem Kampf, die Vorurteile zu überwinden.
Sie attackierte das, was sie "dunkle Mächte" nennt, Netzwerke, die in der Türkei bisher frei schalten und walten könnten und die man nicht vor Gericht bringen könne.
Alles deutet darauf hin, dass die Justiz diese Kreise nicht belangen kann und will, weil weitergehende Untersuchungen schon bald die eigenen Verstrickungen offenbaren würden.
Human Rights Watch erklärte in einer Stellungnahme: "Die türkische Justizgewalt muss dafür Sorge tragen, dass alle diejenigen Teile der Sicherheitsbehörden zur Verantwortung gezogen werden, die sich der Pflichtverletzung oder gar einer geheimen Absprache schuldig gemacht haben."
Der Prozess wird sowohl in der Türkei selbst wie international aufmerksam verfolgt werden und natürlich sieht man ihn als kritischen Test für die Aufrichtigkeit des Landes bei der Sicherstellung der Meinungsfreiheit. Schon nach dem ersten Tag wurden die Verhandlungen bis zum 1. Oktober vertagt.
Dorian Jones
Aus dem Englischen von Daniel Kiecol
© Qantara.de 2007
Qantara.de
Türkische Medien zum Mord an Hrant Dink
Täter als Vaterlandsverräter
Obwohl die wenigsten türkischen Medienvertreter Hrant Dinks politische Überzeugungen teilten, waren sie sich zumindest in der Verurteilung des Mordes an dem renommierten Journalisten einig. Antje Bauer fasst die verschiedenen Pressestimmen der letzten Tage zusammen.
Intellektuelle in der Türkei
Im Fadenkreuz der Nationalisten
Nach dem Mord an dem armenischen Journalisten Hrant Dink wird die anhaltende ultra-nationalistische Stimmung in der Türkei für viele Intellektuelle immer unerträglicher und gefährlicher, wie Gunnar Köhne aus Istanbul berichtet.
Hrant Dinks letzte Kolumne
"Die taubenhafte Furcht meines inneren Geistes"
Hrant Dinks letzter Artikel in der armenisch-türkischen Zeitung "Agos" vom 10. Januar 2007 dokumentiert detailliert das zweifelhafte Gebaren der türkischen Justizbehörden in seinem Fall.