Imame als islamische Avantgarde
Auf den ersten Blick scheint kein Thema so breitgetreten zu sein wie dieses: Imame in Deutschland. Von "Hasspredigern" haben auch Nichtinteressierte schon einmal gehört, und mit einem Hang zur Wiederholung heißt es in den Medien, Imame seien eine Scharnierstelle der Integration, gelten sie doch innerhalb ihrer Gemeinden als Vorbild.
Nicht das Thema ist also neu, das Rauf Ceylan in seinem aktuellen Buch bearbeitet, wohl aber der Ansatz: Rauf Ceylan hat sich als Erster die Mühe gemacht, jene, über die so viel gesprochen wird, einfach einmal selbst aufzusuchen.
Die Schatzkiste des Buchs besteht aus den gut 40 Interviews, die Ceylan geführt hat. Imame, so wird schnell klar, sind keine Religionsroboter, die seit frühester Kindheit nur ein frommes Leben im Sinn hätten. Der 43-jährige Ismail Z. etwa erinnert sich unter Seufzern, dass er schon Angebote von türkischen Erstligisten erhalten hatte, doch seine Träume einer Fußballerkarriere sausen lassen musste. Auf väterlichen Druck hin wurde er Imam.
Die vier Imam-Typen
Durch solche Geschichten trägt der Autor dazu bei, mit Klischees aufzuräumen. Ceylan belässt es aber nicht bei reinen Beschreibungen: "Sollte ich wie in der Schule eine durchschnittliche Gesamtnote für alle von mir erlebten Freitagspredigten geben, dann würde das Ergebnis 'mangelhaft' lauten: Zumeist bleibt dem Hörer nichts anderes übrig, als die Khutbas (Predigten) zähneknirschend über sich ergehen zu lassen."
Man spürt, dass dies die unverkrampften Ansichten eines Insiders sind. Ceylan, Anfang 30 und bereits Professor für Religionswissenschaften in Osnabrück, ist in Duisburg als Sohn kurdischer Eltern geboren, von denen er Türkisch lernte - sein Schlüssel zu den Moscheegemeinden, im Gepäck das intellektuelle Rüstzeug eines promovierten Sozialwissenschaftlers.
Ceylan zeichnet das Bild einer Gemeinschaft von Geistlichen, die meist mit Überforderung ringen. Ein Großteil von ihnen sind "Import-Imame" aus der Türkei, die für vier Jahre nach Deutschland kommen und oft genau diese Zeit brauchen, um sich hier einzuleben.
Zusätzlich erdrückt sie eine Aufgabenvielfalt, die sie aus der Türkei so nicht kennen. Anders als dort halten sie hier nicht nur die Freitagspredigt. Sie sind auch als Seelsorger, Ehestreitschlichter, Schuldenberater oder Unterstützer bei Behördengängen gefragt und stecken zudem im "Zangengriff" zwischen Gemeinde und Vorstand.
"Islamischer" Sozialstaat Deutschland
Mit diesen Nöten geht nicht jeder gleich um. Ceylan entwirft eine Typologie von vier Gruppen muslimischer Geistlicher.
Unter ihnen die "Preußen unter den Imamen", die Wertkonservativen, die nach Ceylans Schätzung drei Viertel aller Prediger ausmachen. Sie vertreten die alten Rollenbilder von Mann und Frau und sind auf Autoritäten fixiert. Andererseits jedoch seien extremistische Positionen von ihnen nicht zu erwarten. Denn zu ihren höchsten Werten zählt eine ausgewogene soziale Ordnung, die im Koran eingefordert werde: "Der deutsche Staat nennt es Sozialhilfe, aber im Prinzip realisieren sie ein islamisches Gebot", erklärt einer von ihnen.
Islam also einmal ganz anders: Als Sozialstaat ist Deutschland aus Sicht der "Preußen" sogar islamischer als die Türkei.
Scholastische Erstarrung
Auch die salafitischen Imame, die "Hassprediger", bilden eine typologische Gruppe. So erhellend und bedrückend es ist, wie Ceylan ihr Abgleiten ins religiöse Extrem nachzeichnet, ist dies doch der am wenigsten originelle Teil des Buches, und zwar ganz zwangsläufig. Mit fast schon religiösem Eifer haben lange vor Ceylan Horden von Journalisten versucht, Psychologie und Werdegang von "Hasspredigern" zu erspüren, und da lässt sich kaum Neues hinzufügen.
Ganz anders verhält es sich beim Typ der "intellektuell-offensiven Imame", die sich ein eigenständiges, rationales Bild vom Islam schaffen.
Ceylan beobachtet, wie sich diese Avantgarde unter den Imamen von den Gemeinden, die sie als zu altmodisch erleben, abwendet und neue, eigene Zirkel gründet - womit sie sich vom Gros der deutschen Muslime separieren; eine Erneuerungskraft, die auf diese Weise vielleicht nicht restlos verpufft, aber eben doch sehr eingeschränkt bleibt. "Der Nachwuchs wird's schon richten" ist hier ein schmerzlich falscher Satz.
Der einzige Ausweg: Der Westen müsse selbst Imame ausbilden. Nicht etwa, um wieder irgendwie an der Integration herumzuflicken. Ceylan geht es um das große Ganze: Der Islam müsse neu gedacht werden, Schlüssel hierzu seien die Imame. Selbst die Al-Azhar-Universität in Kairo sei schon lange "scholastisch erstarrt". Westliche Imam-Studiengänge, so Ceylans nicht unkühne Vision, könnten am Ende sogar "Impulse für die Theologie in islamischen Ländern liefern".
Thilo Guschas
© Qantara.de 2010
Rauf Ceylan: "Die Prediger des Islam". Herder Verlag, Freiburg 2010.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de
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