Polarisierung als Dauerzustand

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Der Zusammenbruch der Regierung unter Saad Hariri macht deutlich, dass die tiefe politische Spaltung des Libanon noch nicht überwunden ist. Unabhängige Kräfte haben im gegenwärtigen Konflikt nach wie vor keine Chance, sich Gehör zu verschaffen.

Von Mona Naggar
Saad Hariri vor dem Bild seines ermordeten Vaters Rafiq Hariri; Foto: dpa
Saad Hariris Regierung war mit dem Rückzug aller Hisbollah-Minister und deren Verbündeten zusammengebrochen. Die Hisbollah protestierte mit dem Schritt gegen ein UN-Tribunal, das den Mord an dem ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri im Jahr 2005 aufklären soll; Foto: dpa

​​Dalal Al-Bizri wählt drastische Worte, wenn sie die gegenwärtige Lage im Libanon beschreibt: "Es geht um Leben oder Tod, es geht um Krieg und um die Übernahme der Macht mit Waffengewalt!"

In der heutigen Zeit sei es nicht leicht, neutral zu bleiben, sagt sie. Sogar unter den Intellektuellen komme keine objektive Diskussion zustande, "weil es um schicksalhafte Entscheidungen geht."

Die temperamentvolle Soziologin und Journalistin gibt die Stimmung wider, die seit vielen Monaten im Libanon herrscht. Die Auseinandersetzung um das UNO-Sondertribunal, das den Mord an den ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri untersuchen soll, prägt das politische und öffentliche Leben im Zedernstaat.

Zwischentöne unerwünscht

In den Medien tobt eine erbitterte Schlacht: Auf der einen Seite "der Block des 14. März" um Ministerpräsident Saad al-Hariri. Er hält das Motto "Gerechtigkeit und Wahrheit" hoch, auf der anderen Seite "die Allianz des 8. März", bestehend aus der Hisbollah und seinem christlichen Verbündeten, dem ehemaligen General Aoun. Ihre Losung: der "westlichen Verschwörung" Einhalt zu gebieten. Eine sachliche Diskussion gibt es nicht. Zwischentöne sind kaum zu vernehmen.

​​Dalal Al-Bizri macht aus ihrer Gegnerschaft zur Hisbollah keinen Hehl. Sie sei zwar keine Parteigängerin "des Blocks des 14. März", aber die Politik der Hisbollah führe zwangsläufig zu einem neuen Krieg gegen Israel - und das möchte sie verhindern.

Auf der anderen Seite glauben viele Anhänger "der Allianz des 8. März", dass nicht die Aufklärung des Mordes an Rafik Hariri das Ziel des Tribunals sei, sondern die Schwächung des Widerstandes gegen Israel und die Entwaffnung der "Partei Gottes".

Die Umfragen, die das Meinungsforschungsinstitut Information International regelmäßig durchführt, bestätigen die starke Polarisierung der libanesischen Bevölkerung. Bei der letzten Umfrage vor einigen Wochen hat sich die Mehrheit der Schiiten gegen das Tribunal ausgesprochen.

Sunniten und Maroniten haben mehrheitlich dafür gestimmt. Das Ergebnis reflektiert die Positionen der beiden politischen Blöcke. Die Befragung förderte auch zutage, dass 13 Prozent der Libanesen bereit sind, für ihre politische Überzeugung - und nicht zur Selbstverteidigung - zur Waffe zu greifen.

Jawad Adra, Direktor von "Information International" erklärt, dass diejenigen, die eine radikale Meinung für oder gegen das Tribunal vertreten, eher bereit seien, Gewalt anzuwenden. Diese Gruppe, so hat Adra herausgefunden, besteht aus Sunniten, Schiiten und Maroniten: "Dass auch Christen dabei sind, hat mich in der Tat überrascht. Das hätte ich nach ihrer politischen Marginalisierung in den letzten Jahren nicht vermutet."

Keine Chance für moderate Kräfte

Jawad Adra überrascht es nicht, dass trotz der relativen Freiheit im Zedernstaat, keine öffentliche Meinung existiert, die sich mit Problemen tiefergehend auseinandersetzt. Denn die Diskussionen laufen ausschließlich nach den Wünschen der politischen Führer ab.

"Etwas überspitzt formuliert: Ich meine mit Loyalität zum politischen Führer allerdings keine Hörigkeit, wie im Falle von Hitler oder Mussolini. Die Libanesen denken pragmatisch. Ihr persönliches und materielles Wohlergehen ist von den Zuwendungen der Politiker abhängig."

Sechs Jahre nach dem Mord an Rafik Hariri, befindet sich der Libanon immer noch im Bann dieses Attentates. Die politische Spaltung, die sich damals zwischen den Blöcken 14. und 8. März herauskristallisierte, bestimmt bis heute das Geschehen.

Unabhängige Kräfte haben bislang keine Chance, sich Gehör zu verschaffen. Der Journalist Kassim Qassir beoachtet seit vielen Jahren die Entwicklung der politischen Landschaft unter den Schiiten im Libanon. Vielversprechende Stimmen außerhalb der Hisbollah existieren zwar, aber sie seien in den letzten Jahren verstummt: "Diese Stimmen sind stark geschwächt. Die Polarisierung ist einfach zu stark!"

Mona Naggar

© Deutsche Welle 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de