Auszeichnung für die Stimmen des Friedens
Mit dem Erich-Maria-Remarque- Friedenspreis werden belletristische, journalistische oder wissenschaftliche Arbeiten gewürdigt, die sich mit den Themen "Innerer und äußerer Frieden" beschäftigen. Samir Grees berichtet über die Gewinner aus dem Jahr 2003
"In diesem Jahr hat die Jury entschieden, den israelischen Wissenschaftler Prof. Dr. Dan Bar-On und den palästinensischen Dichter Mahmud Darwisch gleichrangig mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis auszuzeichnen. Beide haben sich in ihren Werken auf eindrucksvolle Weise mit den humanitären Folgen von Unterdrückung und Gewalt auseinandergesetzt und die Auswirkungen andauernder Konflikte auf die Menschen auf je verschiedene Weise öffentlich gemacht."
So lautete die Begründung der Jury durch ihren Vorsitzenden Prof. Dr. Rainer Künzel. Die Jury würdigte damit einen Dichter und einen Wissenschaftler, die beide aus direkter oder indirekter persönlicher Erfahrung ganz genau wissen, was Vertreibung und Ungerechtigkeit bedeuten, und wie schwierig es ist, Frieden in einem Klima von Hass und Unterdrückung zu schaffen.
Die Geschichte des Anderen anerkennen
Dan Bar-On wurde zehn Jahre vor der Gründung des Staats Israel 1938 in Haifa geboren. Seine deutsch-jüdischen Eltern waren dorthin immigriert, nachdem sie nur knapp dem Holocaust entkommen waren. Nach dem Studium der Psychologie spezialisierte er sich auf die Therapie von Holocaust-Überlebenden. Bar-On wurde bekannt, als er 1992 in Wuppertal die Nachkommen von Nazi-Tätern und Holocaust-Opfern im Gespräch zusammenbrachte. Dadurch erfuhr er, wie ähnlich die aus Verdrängung und Verschweigen resultierenden Leiden der Beteiligten sind. Aus dieser Erfahrung entwickelte er ein Modell der Identitätsbildung durch Anerkennung der Geschichte des Anderen - auch und gerade des "Feindes". Dan Bar-On hat dieses Modell der Konfliktbewältigung auf verschiedene Mitglieder unterschiedlicher Konfliktparteien angewendet, nicht zuletzt auf Juden und Araber im Nahen Osten. Durch den Dialog, durch das Aussprechen und Zuhören werden der persönliche Hass und die Leugnung des Anderen überwunden. In Ost-Jerusalem betreut Prof Bar-On ein Projekt mit jüdischen und palästinensischen Schülern:
"Wir arbeiten seit zwei Jahren mit einer Gruppe von sechs israelischen Lehrern und sechs palästinensischen Lehrern. Und wir entwickeln für jedes Ereignis - zum Beispiel die Balfour-Deklaration - ein israelisches Narrativ und ein palästinensisches Narrativ. Die Lehrer haben dann die beiden Narrative für ein Buch zusammengesetzt. Die Texte wurden ins Arabische und Hebräische übersetzt, und die Lehrer lehren ihre Schüler jetzt beide Texte, den israelischen und den palästinensischen."
Dan Bar-On macht sich dabei keine Illusionen. Er glaubt nicht, dass beide Seiten innerhalb der nächsten Jahre eine gemeinsame Sicht der historischen Ereignisse entwickeln. Aber er hofft, dass in der Zukunft zwei Staaten nebeneinander in Frieden leben können. Dann ist es sehr wichtig, dass jede Seite weiß, wie die andere Seite die Ereignisse sieht und begründet. Dadurch erkennt jede Seite die andere an und empfindet Respekt für sie.
Illegal zurück nach Israel
Mahmud Darwisch wurde 1941 im heute nicht mehr existierenden galiläischen Dorf al-Barwa östlich der Hafenstadt Akka geboren. Im Jahr der Gründung des Staates Israels, 1948, musste er mit seiner Familie in den Libanon flüchten, kehrte dann - nach israelischem Gesetz illegal - in ein Dorf bei Akka zurück. 1964 erschien sein Band "Olivenblätter", der ihm allgemeine Anerkennung als Dichter der Palästinenser eintrug. Wegen seiner schriftstellerischen Tätigkeit wurde Darwisch mehrfach verhaftet und zu Hausarrest verurteilt. Aufgrund der zunehmenden Repressalien verließ er Israel 1970. Er lebte in Moskau und Kairo, bis er sich in Beirut niederließ. Doch mit der Belagerung der Stadt durch die israelische Armee 1982 wurden die Palästinenser, und mit ihnen Darwisch, zum Auszug gezwungen. Seit 1995 lebt er zwischen Amman, Jordanien, und Ramallah in der Westbank.
Heute gilt der Dichter Darwisch als "einer der größten unter den großen, nicht nur in der arabischen Welt", wie Johano Strasser, Präsident des PEN-Zentrums Deutschland in seinem Laudatio sagt:
"Er ist zugleich ein Medium, durch das alle Sehnsüchte, Ängste, Träume, alle erhebenden und traumatischen Erinnerungen seines Volkes zum Ausdruck gelangen. ‚Man darf ihn’, hat Stefan Weidner kürzlich über ihn geschrieben, ‚zu der aussterbenden Spezies von Dichtern zählen, die im Laufe ihrer Karriere zu einem Mythos geworden sind, vergleichbar einem Lorca, Majakowski, Aragon, Neruda oder Hikmet.’"
Bewunderung für den Dichter
Auch bei israelischen Kollegen, so Strasser, der im Frühjahr in Tel Aviv mit israelischen Schriftstellern zusammentraf, gäbe es allen politischen Differenzen zum Trotz nur Bewunderung für den Dichter Mahmud Darwisch. Vielleicht sei auch das "ein kleines Zeichen der Hoffnung in einer Zeit, die sonst wenig Anlass zu kühnen Hoffnungen gebe".
Mahmud Darwisch war es aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich, der Preisverleihung persönlich beizuwohnen. In seiner Rede, die von Abdallah Frangi, dem Leiter der Palästinensischen Generaldelegation in Deutschland, verlesen wurde, fragt der Dichter: "Gibt es ein Volk, das in friedlicher Koexistenz mit seiner Besatzungsmacht zusammenleben kann?" Die jetzige Lage stimmt ihn pessimistisch, denn sein Volk leidet nach wie vor unter Unterdrückung und Unrecht. Kann es Frieden geben unter solchen Umständen? Der Dichter antwortet mit einem Bild:
"Die Rede über einen Frieden, der weder Gerechtigkeit noch Freiheit als Grundlage hat, ist zu vergleichen mit dem Spiel auf einer Gitarre ohne Saiten."
Darwisch betrachtete die Preisverleihung auch an Professor Bar-On als Würdigung für alle israelischen Friedenskräfte und als Ermutigung, sich weiterhin für einen Frieden und ein Zusammenleben mit dem palästinensischen Volk einzusetzen.
Samir Grees
© 2003, Deutsche Welle