Umdenken auf allen Ebenen
Auf zwei Arten kann man zum Sitz der Projektleitung für die "Revitalisierung des historischen Stadtviertels Darb Al-Ahmar" gelangen. Der eine Weg führt über den Al-Azhar-Park, der andere durch einige verwinkelte Gassen von Darb Al-Ahmar. Ich nehme den Weg über den Al-Azhar-Park, der 2005 eröffnet wurde.
Familien mit Kindern vergnügen sich dort, auch junge Liebespaare. Die jungen Mädchen können sich hier für kurze Momente der strengen Kontrolle durch ihre Familie und die konservative Gesellschaft entziehen.
Je näher man dem Gebäude kommt, desto auffälliger wird der Kontrast des Nebeneinanders von baufälligen und modernen, gut erhaltenen Wohnungen. Die Bevölkerung von Darb Al-Ahmar gehört der einkommensschwachen Schicht an, die Arbeitslosenquote im Viertel ist vergleichsweise sehr hoch. Der Baubestand ist heruntergekommen und die Infrastruktur schlecht.
Darb Al-Ahmar gehört zu den ältesten Stadtvierteln Kairos, allein 65 islamische historische Baudenkmäler befinden sich hier, so etwa die Zitadelle des Ayyubidenherrschers Salah Al-Din, der Khan-Al-Khalili-Basar und die Azhar-Universität.
Mit dem Ziel der Entwicklung des Viertels kooperieren der "Aga Khan Trust for Culture" mit der "Egyptian-Swiss Development Fund" (ESDF), der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), der "Ford Foundation" sowie der Bezirksregierung von Kairo.
Aus einer Müllhalde wird ein Park
Die Projektleitung für die "Revitalisierung des historischen Stadtviertels Darb Al-Ahmar" ist in einem Gebäude untergebracht, das an die Amerikanische Universität erinnert: gut erhalten, die Wände mit Bildern verziert, kunstvolle Holzschnitzereien an Tischen und Stühlen.
Jeder Mitarbeiter hat seinen Schreibtisch mit eigenem Computer, die meisten sprechen fließend englisch. An einer Magnettafel hängt der Jahresplan. Ein Ambiente wie im Westen. Immerhin stammen von dort Finanzierung und Richtlinien.
Projektleiter Ali Abdel-Aal erzählt, alle Kunstschnitzereien seien eigenhändig von den Bewohnern von Darb Al-Ahmar in projekteigenen Werkstätten gefertigt worden. Dabei war die Entwicklung des Viertels Darb Al-Ahmar gar nicht geplant.
Ursprünglich ging es nur um den Bau einer Parkanlage, zu dem sich Prinz Aga Khan IV., das Oberhaupt der Ismaeliten, im Jahr 1984 entschlossen hatte. Seiner Meinung nach benötigte Kairo dringend eine grüne Lunge, da Bevölkerungszahl und Luftverschmutzung in der Stadt ständig zunahmen.
Gemeinsam mit der ägyptischen Regierung und der Kairener Stadtverwaltung suchte die Aga-Khan-Stiftung einen geeigneten Platz für eine große Parkanlage. 1996 fiel die Wahl auf das größte unbebaute Areal im Herzen Kairos, ein Gebiet von 30 Hektar, das jahrhundertelang als Müllhalde gedient hatte.
Durch dieses Projekt gerieten auch die Probleme der Bewohner des an den Park angrenzenden Stadtviertels Darb Al-Ahmar ins Blickfeld der Stiftung. Im Jahr 2000 gab die Aga-Khan-Stiftung eine Untersuchung zur Lebenssituation der Menschen in diesem Stadtviertel in Auftrag.
Darlehen für Kleinunternehmer
30 Millionen Dollar stellte sie für dieses Entwicklungsprojekt bereit, an dessen Finanzierung sich auch andere Organisationen beteiligten. Dabei ging es nicht allein darum, die Lebensumstände der Bewohner von Darb Al-Ahmar zu verbessern, vielmehr wollte man ein Vorbild schaffen, an dem sich andere Organisationen, die sich für die Bewahrung historischer Kulturgüter engagieren, orientieren könnten.
Entwicklungsanreize wurden durch die Vergabe von Darlehen für kleinere Handwerksunternehmen gesetzt, in denen die Jugendlichen des Viertels Arbeit finden konnten. Außerdem baute man ein Gesundheitszentrum und begann mit der Restaurierung der islamischen Baudenkmäler.
Besonders wichtig findet es Projektleiter Ali Abdel-Aal zu zeigen, worauf sich auch die anderen Einrichtungen des ägyptischen Staates für Wiederaufbau und Restauration der Baudenkmäler konzentrieren sollten: auf die historischen Objekte, die in direktem Bezug zur ägyptischen Gesellschaft stehen, und nicht nur touristische Attraktionen darstellen.
Wohnungsrenovierungen und Recycling
Die Projektleitung bot 200 Einwohnern von Darb Al-Ahmar an, sie bei der Renovierung und Instandsetzung ihrer Wohnungen zu unterstützen. 70 Prozent der entstehenden Kosten werden vom Projekt getragen, für den Rest müssen die Bewohner selbst aufkommen. Sind sie hierzu nicht in der Lage, gewährt man ihnen einen Kredit über den fehlenden Betrag, den sie innerhalb von vier Jahren zurückzahlen müssen.
Die Projektleitung, so Abdel-Aal, konzentriere sich auf eine allgemeine Verbesserung des Problembewusstseins sowie darauf, die betroffenen Menschen und Einrichtungen miteinander in Kontakt zu bringen. So arbeite man beispielsweise an der Optimierung der Zusammenarbeit zwischen der Müllabfuhr von Darb Al-Ahmar, der Umweltschutzgruppe und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die einige Recycling-Projekte hervorbringt.
Beteiligung der Frauen
Außerdem sei man darauf bedacht, Frauen und Mädchen ins Projekt zu integrieren. Sie arbeiten vorzugsweise in der Bibliothek und im Bildungsbereich. Außerdem leisten sie Unterstützung bei Alphabetisierungsprogrammen und bei Diskussionsrunden mit Experten über Themen wie Pubertät, weibliche Genitalverstümmelung oder die Institution der Ehe.
Dass die Frauen sich zunächst nur zögerlich auf die Angebote der Projektleitung einließen, hält Abdel-Aal für normal. Man müsse sie schrittweise von einer Mitarbeit überzeugen:
"Zuerst laden wir Mütter und Töchter zu Veranstaltungen über allgemeine Gesundheitsbelange ein und später kann man dann mit ihnen über Tabus sprechen. Wir können keine Veranstaltung mit dem Titel 'Die Gefahren der weiblichen Genitalverstümmelung' ankündigen. Das Thema ist viel zu heikel, denn es geht dabei um in der Gesellschaft verwurzelte Werte und Traditionen, über die man nicht offen spricht. Aber viele Anzeichen deuten darauf hin, dass sich dieses Wertesystem verändert."
Und genau darum geht es dem Projektleiter: Um ein prinzipielles Umdenken, denn unhinterfragte Prinzipien bestimmten sowohl den Umgang der Gemeinschaft mit historischen Baudenkmälern wie auch der Menschen miteinander.
Die Mitarbeiter des Projekts zur Revitalisierung von Darb Al-Ahmar haben es sich zur Aufgabe gemacht, gegen eingefahrene Verhaltensweisen anzugehen, denn das größte Problem bestehe darin, über Themen zu sprechen, die einer Gesellschaft fremd und neuartig erscheinen. Das falle nicht nur den Bewohnern von Darb Al-Ahmar schwer, sondern auch den ägyptischen Behörden.
Nelly Youssef
Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell
© Qantara.de 2007
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www
Agha Khan Development Network (engl.)