Spielball der Nationalisten
Kurz vor Sonnenuntergang. Aus allen Winkeln der ausgedehnten Palastanlage von Persepolis strömen die Besucher dem Ausgang zu, hinter ihnen die hohen Säulen, die Reliefs von Stieren, Löwen und Königen, die breite Freitreppe mit dem Fries, der die Abgesandten von 23 tributpflichtigen Völkern mit Gaben für Darius den Großen, den König der Könige, zeigt - Kamele und Schafe, Krüge, Schwerter, Pferde, Schmuck und Gewänder.
In die grau-rosa Bergwand über der enormen Terrasse sind - für Sterbliche unzugänglich - die Felsengräber von Artaxerxes II und III eingegraben, über den Reliefbildern der Achämeniden-Könige schwebt Ahura Mazda, der "weise Herr", die zarathustrische Gottheit.
In Persepolis, so wird angenommen, feierten die Völker des antiken persischen Großreichs, das um 500 v. Chr. vom Indus bis nach Libyen und dem Schwarzen Meer reichte, mit ihrem Herrscher das persische Neujahrsfest. Seit jüngster Zeit versammeln sich auch moderne iranische Familien hier, um am Frühlingsanfang Nowrooz zu feiern. Kilometerweit kampieren sie dann neben der Straße. Rund 100000 Menschen kommen im Jahr, vor zwanzig Jahren waren es um die 8000.
Erfindung der Menschenrechte?
Eine regelrechte Wallfahrt, nur was ist das Ziel der Reise? Die Selbstversicherung, den Nachfahren eines einst mächtigen, kultivierten, überlegenen Volkes anzugehören, das weite Teile der damals bekannten Welt beherrschte? Die Linderung der Kränkung, unter den bedeutenden Nationen der Welt heute keinen Platz mehr zu finden? Ein Ausdruck des Stolzes auf die königlichen Ahnen, die, und dies wird Besuchern immer wieder gern erzählt, schließlich die Menschenrechte "erfunden" hätten?
"Mein Sohn", heißt es im Testament des Darius, "bete immer zu Gott, aber zwinge niemanden, Deiner Religion zu folgen. Habe immer in Gedanken, dass alle Menschen frei sein müssen und jeder seiner eigenen Religion und Überzeugung folgen darf."
Auf jeden Fall scheint der Besuch bei den alten Königen eine demonstrative Geste zu sein und Persepolis, wie in jüngster Zeit die Auseinandersetzung zwischen orthodoxem Klerus und der Regierung von Mahmud Ahmadinedschad zeigt, immer erneut ein Kristallisationspunkt kontroverser Haltungen.
Die islamische Republik Iran im 32. Jahr ihrer Existenz. Überall im Land wird am Rande großer und kleiner Städte gebaut, neue preiswerte Wohnungen sollen die kräftigen Subventionskürzungen für Brot, Elektrizität und Benzin ausgleichen und jungen Paaren die Familiengründung ermöglichen. Die hohe Arbeitslosigkeit - offiziell 15 Prozent, Experten halten diese Zahl jedoch für viel zu niedrig - bleibt ein drückendes Problem. Noch im März hatte die Regierung Ahmadinedschad erklärt, dass sie 2,5 Millionen neuer Jobs geschaffen hätte, vor dem Parlament musste der Arbeitsminister nun zugeben, "dass diese Absicht existiere, es jedoch einige Probleme gebe".
Lähmender Stellungskampf statt Tabubrüche
Doch bedeutsamer als die schlechte Wirtschaftslage ist der Mangel an neuen, mitreißenden Ideen, die Unfähigkeit der geistlichen Nomenklatura, neue Zielvorstellungen zu entwickeln, die eines Opfers und jeglicher Geduld für wert befunden würden. Stattdessen führt die Orthodoxie einen lähmenden Stellungskampf zum Erhalt des einmal Erreichten.
Wie gefährlich diese geistige Ödnis für das Regime werden kann, hat ein Mann gemerkt, der zu einer von den Konservativen gefürchteten und gehassten Figur aufgestiegen ist: Esfandiar Rahim Maschaei, der Freund und Stabschef von Präsident Ahmadinedschad. Denn darf ausgerechnet ein Gottesstaat sich nur auf die Macht des Faktischen, in diesem Fall auf die bewaffneten Truppen und den Geheimdienst stützen und ohne Zukunftsvorstellungen und Spiritualität auskommen? Die Träume einer besseren Zukunft werden derzeit bei der Grünen Bewegung geparkt und die Spiritualität bei den Sufis, die ebenfalls von der Orthodoxie bekämpft werden.
Tastend versucht Maschaei, die ideelle Leerstelle mit einer Mischung aus Rationalität und Re-Ideologisierung zu füllen. Er erklärt den politischen Islam für überholt und dessen wichtigstes Symbol, den Hedjab, also die Verhüllung des weiblichen Körpers, für eine freiwillige Entscheidung der Frau. Ein Tabubruch. Der zweite Tabubruch: Er verkündet, dass er und die iranische Bevölkerung Freunde des amerikanischen und israelischen Volkes seien.
Persepolis und seine Pilger
Ganz neu ist das alles nicht, ähnliche Gedanken hat Ahmadinedschad immer mal wieder en passant geäußert. Mal erklärte er, die Regierung habe Wichtigeres zu tun, als sich um den korrekten Sitz von Kopftüchern zu kümmern, ein anderes Mal wollte er das Verbot für Frauen, Fußballspiele im Stadion anzusehen, aufheben.
Doch der geballte Zorn der orthodoxen Geistlichkeit und eine deutliche Weisung des obersten geistigen Führers, Ali Khamenei, zwangen ihn, ins Glied zurückzutreten. Und natürlich sind seine ellenlangen Briefe an George W. Bush und Angela Merkel als Versuch zu werten, die Isolation seines Landes zu überwinden.
Doch Maschaei wagt sich weiter vor. Er stellt nationale Themen in den Vordergrund und versucht, patriotische Gefühle zu entfachen. Dabei spielt, wie zu erwarten, die prä-islamische Vergangenheit Irans eine große Rolle und damit selbstverständlich Persepolis. Versucht Maschaei die nationalen Gefühle der Iraner zu nutzen und die wachsende Gruppe der Persepolis-Pilger für die Regierung einzufangen? Und lässt sich die Stellung der alten Achämeniden als führende Weltmacht propagandistisch für heutige Großmachtambitionen nutzen?
Gebratene Pfauenzungen zum Jubiläum
Das hatte schon der Schah in den siebziger Jahren versucht: In einem Wäldchen, dem Eingang zu Persepolis gegenüber, rostet das Gestänge der Zelte vor sich hin, die der Schah 1971 für die tausend Gäste seiner Jubelfeier zum 2500-jährigen Bestehen des Persischen Reichs aufstellen ließ. Mohammed Reza sah sich selbst in einer Linie mit den Achämeniden-Königen, deren Weltreich 331 v. Chr. im Kampf mit dem griechischen Emporkömmling Alexander zu Grunde gegangen war.
Vor dem Eingang zum bescheidenen Totenhaus des Kyros in Pasargadae, nicht weit von Persepolis, salutierte der Schah und rief in den leeren Grabraum hinein: "Schlaf' ruhig Kyros, ich wache". Währenddessen goss sein Erzfeind, Ajatollah Khomeini, Hohn und Spott über den Herrscher aus, der den Staatschefs und Monarchen der Welt gebratene Pfauenzungen vorsetzen ließ, während sein Volk in Armut lebte.
Um das Maß voll zu machen, führte der Schah 1976 den Sonnenkalender ein, der nicht mehr die Hedschra von Mohammed von Mekka nach Medina zum Ausgangspunkt der neuen Zeitrechnung wählte, sondern die Krönung von Kyros dem Großen. Drei Jahre später fegte die Revolution ihn hinweg.
Persepolis und die glorreiche vorislamische Vergangenheit versetzen seit den Ausgrabungsarbeiten Mitte des 20. Jahrhunderts die iranische Gesellschaft in Schwingungen. 1979, kurz vor der Revolution, erklärte die Unesco die Ruinenstadt zum Kulturerbe der Menschheit.
Für die national eingestellten Bürger wirkt die Achämeniden-Herrlichkeit wie ein Aufputschmittel, für die Frommen und Religiösen hingegen ist die Stätte unter dem Zeichen von Zarathustra eher eine Wohnstatt des Bösen. So plante nach der Revolution der sogenannte Blutrichter Ajatollah Khalkhali, Persepolis in die Luft zu jagen, um das Land von allem prä-islamischen Teufelszeug zu befreien. Doch der Widerstand der Bewohner der nahe gelegenen Stadt Shiraz, die auf die Einnahmen durch den Tourismus nicht verzichten wollten, zusammen mit moderaten Geistlichen haben dies verhindert.
Noch in den neunziger Jahren lag Persepolis verlassen da. Außer einigen seltenen ausländischen Touristengruppen, die mit verrutschten Kopftüchern und seltsamen Verhüllungen durch die Ruinenlandschaft wanderten, kam niemand auf die Idee, Persepolis zu besuchen.
Der Direktor saß in seinem Büro, hinter sich ein Foto des Revolutionsführers Khomeini, die Wände tapeziert mit Koransuren und der Hand der Fatima zur Abwehr des bösen Blicks, und wünschte sich weit fort von diesem unerquicklichen Ort. Immerhin gingen die Maßnahmen zum Erhalt des archäologischen Wunders, die in der Schah-Zeit begonnen wurden, ohne Emphase und Eile weiter.
Touristenparcour und Achämeniden-Kitsch
Während der Ära des liberalen Präsidenten Khatami (1979 - 2004) begann der Tourismus wieder Fahrt aufzunehmen. Die Reisenden bewunderten die Schönheit der vor-islamischen Paläste, beziehungsweise das, was nach dem von Alexanders Leuten 331 v.Chr. gelegten Brand übrig geblieben war, genauso wie die Herrlichkeit der Moscheen von Isfahan. Die Nomenklatura schien ihren Frieden mit den alten Ruinen gemacht zu haben, ein ausgeklügelter Touristenparcours wurde angelegt und ein Sonnendach zum Schutz der Reliefs aufgebaut. In Teheran werden immer mehr Restaurants mit den Löwen-, Stier- und Wächter-Figuren aus Persepolis dekoriert, Achämeniden-Kitsch hat Konjunktur, aber auch Plakate mit dem "Testament des Darius" als erste Formulierung der Menschenrechte sind im Verkauf. Und nun, plötzlich, sieht es so aus, als würde das Thema Persepolis erneut politisiert.
Persepolis - Magnetnadel zum Neuausrichten
Ginge es nach Maschaei, würden Nationalgefühl und Patriotismus den Ausweg bieten aus dem stumpf und glanzlos gewordenen politischen Islam. Der Chefideologe versucht sogar, der Religion eine nationale Note zu geben:
"Der Islam der Iraner ist anders und erleuchtet und wird die Zukunft formen", mit dem Satz wird er zitiert. Die Begründung dafür: Als der Islam Mitte des siebten Jahrhunderts durch das arabische Heer nach Iran gebracht wurde, traf er auf eine hochkultivierte und gebildete Zivilisation. Deshalb unterscheidet sich auch das Amalgam von Gesellschaft und Religion diesseits und jenseits des Golfs, der von den Iranern persisch, von den Arabern arabisch genannt wird.
Der Machtkampf zwischen den Hütern des universell gültigen Islam und den Propagandisten eines partikularistischen Nationalismus entlädt sich im selben konservativen Lager.
Doch es sieht so aus, als wollten Ahmadinedschad und seine Getreuen die Geistlichen aus der Politik verdrängen. Diese wehren sich, indem sie vor allem Maschaei angreifen.
"Eine sehr gefährliche Person, die einen neuen Kult installieren will" schreibt eine Hardliner-Zeitung und ruft dazu auf, den "Abweichler" zu verhaften. Männer aus der nächsten Umgebung des Präsidenten befinden sich bereits im Gefängnis. Persepolis, das große Erbe, wirkt da wie eine Magnetnadel, an der sich die unterschiedlichen gegnerischen Positionen immer neu ausrichten.
Elisabeth Kiderlen
© Qantara.de 2011
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de