Vergessenes Belutschistan

Seit der kolonialen Grenzziehung in Zentralasien nahm das Schicksal der Belutschen seinen Lauf. Seit Jahrzehnten werden sie vom pakistanischen Staat unterdrückt und drangsaliert – im Schatten der Weltöffentlichkeit. Informationen von Emran Feroz

Von Emran Feroz

Nachdem die pakistanische Menschenrechtsaktivistin Sabeen Mehmud im vergangenen Monat mitten in Karatschi ermordet wurde, war das mediale Echo groß. Mehmud war weltbekannt für ihre Arbeit, vor allem in Sachen Frauenrechte und Netzaktivismus. Die Tatsache, dass sich die Aktivistin in den letzten Monaten ihres Lebens speziell mit dem Konflikt in der südwestlichen Provinz Belutschistan beschäftigte, geriet dabei eher in den Hintergrund. Wenige Stunden vor ihrer Ermordung hatte Mahmud gemeinsam mit ihrer Organisation "The Second Floor" eine Diskussion zur Menschenrechtslage in Belutschistan organisiert.

Seit Jahrzehnten ist die Provinz ein Unruheherd. De facto existiert der Belutschistan-Konflikt seit der Entstehung des pakistanischen Staates. Damals wurden die kolonialen Grenzen, die einst mit Gewalt und Willkür gezogen wurden und ganze Völker voneinander getrennt haben, gefestigt.

Eine besondere Rolle spielt hierbei die sogenannte Durand-Linie, benannt nach Mortimer Durand, einem britischen Diplomaten. 1893 zogen die Briten diese unheilbringende Grenze, um ihr Kolonialgebiet vom Herrschaftsgebiet des damaligen afghanischen Emirs, Abdur Rahman Khan, abzutrennen. Da der Emir mit Hilfe der Briten an die Macht kam – er stürzte seinen Vetter in Kabul – unterzeichnete er im Gegenzug bereitwillig den Grenzvertrag.

Das weiterhin bestehende Grenzproblem umfasst nicht nur die Gebiete der Paschtunen, sondern auch der Belutschen. Obwohl der Vertrag von Durand lediglich eine 100-jährige Gültigkeit besitzt und demnach im Jahr 1993 abgelaufen ist, will die pakistanische Regierung nichts davon wissen. Ihre Begründung: Zum damaligen Zeitpunkt gab es noch gar kein Pakistan. Demnach ist auch der Vertrag ungültig. Umso strenger werden jedoch die damals festgelegten Grenzen gesichert.

21.000 Menschen sind verschwunden

Sarg der verstorbenen Frauenrechtsaktivistin Sabeen Mehmud wird nach dem Anschlag im April in Karatschi zu Grabe getragen; Foto: DW/ R. Saeed
Die Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Sabeen Mehmud ist im April Opfer eines tödlichen Mordanschlags geworden. Kurz vor der Tat hatte sie in einem Restaurant eine Diskussion organisiert, dass das gewaltsame Verschwinden von Menschen in Belutschistan thematisierte.

In den letzten Jahrzehnten kam es in Belutschistan zu mehreren großen Aufständen, die allesamt von der Regierung in Islamabad brutal zerschlagen wurden. Obwohl die Region reich an Bodenschätzen ist, gehört die Bevölkerung zu den ärmsten Pakistans. Eine stabile Infrastruktur ist kaum vorhanden, genauso wenig wie Stromzufuhr und sauberes Trinkwasser. Achtundachtzig Prozent der Belutschen leben unterhalb der Armutsgrenze. Während die Bodenschätze ausgebeutet werden, wird anderweitig kaum investiert. Lediglich der Sicherheitssektor boomt.

In den letzten Jahren schossen in der Region Militärgarnisonen regelrecht aus dem Boden, genauso wie zahlreiche Polizeistationen, die sich allein im Jahr 2009 in der Provinz um zweiundsechzig Prozent erhöht hatten. Abgesehen davon agieren paramilitärische Gruppierungen, die im Interesse Islamabads handeln und Jagd auf belutschische Aktivisten und Politiker machen. Berichten zufolge gelten ganze 21.000 Menschen als vermisst.

Und immer wieder tauchen die Leichen einiger Verschwundener auf, meist übersät mit grausamen Folterspuren. Obwohl Islamabad den Mord an Sabeen Mehmud verurteilt und eine Untersuchung angekündigt hat, gehen Beobachter davon aus, dass auch ihre Ermordung auf das Konto von Gruppierungen geht, die der Regierung oder dem pakistanischen Geheimdienst – kurz gesagt, dem sogenannten Establishment -  nahestehen.

Durch dieses Klima der Angst sowie durch die permanente Unterdrückung öffnete sich ein Vakuum für militante Gruppierungen. Mittlerweile greifen immer mehr junge Belutschen zu den Waffen. Friedliche und demokratische Mittel betrachten sie als gescheitert. In den letzten Jahren machten separatistische Gruppen wie die "Balochistan Liberation Army" (BLA) oder die "Baloch Liberation Front" (BLF) mit Bombenattentaten und brutalen Anschlagsserien auf sich aufmerksam. Getötet wurden dabei auch zahlreiche Zivilisten.

Im Gegensatz zu anderen militanten Gruppierungen in Pakistan, etwa den pakistanischen Taliban (TTP), sind die BLF, die BLA und andere Belutschen-Gruppen nicht religiös, sondern nationalistisch und säkular, teils auch marxistisch, eingestellt. Dies könnte auch der Grund dafür sein, warum sie in den westlichen Medien keine Schlagzeilen machen.

Einflussnahme regionaler Akteure

Eine pakistanische Familie bei Protesten in Balochistan. Foto: DW/ A. Ghani Kakar
21.000 Menschen. unter ihnen Politiker und Aktivisten, gelten in der Region Belutschistan als vermisst. Leichen wurden mehrfach mit Folterspuren aufgefunden. Viele Belutschen vermuten regierungsnahe Gruppierungen hinter den Entführungen.

Regionale Akteure, denen Pakistan ein Dorn im Auge ist, versuchen seit Langem, aus dem Konflikt Profit zu ziehen und ihn zu beeinflussen. In den 1980er Jahren wurden die Belutschen aufgrund der amerikanisch-pakistanischen Zusammenarbeit im Laufe der sowjetischen Besatzung Afghanistans von der UdSSR gefördert. Gegenwärtig gehört Indien, der ewige Erzfeind Pakistans, zu den größten Gönnern einer belutschischen Unabhängigkeit. Der pakistanische Geheimdienst ISI (Inter-Services Intelligence) beschuldigt die indische Regierung schon seit geraumer Zeit, die militanten Belutschen-Gruppen aktiv zu unterstützen und in Trainingslagern auszubilden.

Der gleiche Vorwurf wird auch von der ISI gegen Afghanistan erhoben. Vor allem Ex-Präsident Hamid Karzai soll den Belutschen gegenüber freundlich gesinnt gewesen sein. Abgesehen davon ist es kein Geheimnis, dass Belutschen-Führer in den letzten Jahrzehnten in Kabul immer wieder einen sicheren Unterschlupf fanden. Die historische Verbundenheit Afghanistans, das die Durand-Linie bis heute nicht anerkennt und Belutschistan immer noch als illegal besetztes Land betrachtet, spielt diesbezüglich sicherlich eine große Rolle. Abgesehen davon machen sowohl Indien als auch Afghanistan Pakistan für die meisten Missstände im Land – insbesondere den Terrorismus – verantwortlich und haben starkes Interesse an einer Destabilisierung.

Auch China spielt in Belutschistan eine bedeutende Rolle. Die chinesische Regierung hat es vor allem auf die Ressourcen der Provinz, etwa Gold und Kupfer, abgesehen und sich zahlreiche Ausbeutungsrechte gesichert. Des Weiteren ist die Hafenstadt Gwadar am Arabischen Meer von enormer strategischer Bedeutung und soll für die Energieversorgung Chinas in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Allein in den Bau des Hafens hat Peking rund 200 Millionen Dollar investiert.

Weitere Investitionen in Milliardenhöhe wurden bereits vereinbart. Des Weiteren soll die Errichtung eines chinesischen Marinestützpunktes in Planung sein. Belutschische Politiker und Aktivisten sprechen mittlerweile von einer chinesischen Kolonialisierung, von der nicht die bitterarme Provinz, sondern das pakistanische Establishment profitieren wird. Aufgrund des zunehmenden Einflusses wurden chinesische Firmen in Belutschistan immer wieder zum Ziel von Anschlägen.

Der Unabhängigkeitskampf der Belutschen tobt jedoch auch anderswo. Im Iran, wo rund 1,5 Millionen Belutschen leben, herrscht eine ähnliche Situation. Auch in der dortigen Belutschen-Provinz (Sistan und Belutschistan) haben sich militante Gruppen organisiert, um die Regierung in Teheran zu bekämpfen. Was hinzu kommt, ist die Tatsache, dass der Konflikt im Iran auch sektiererisch aufgeladen ist. Die Belutschen werden nämlich nicht nur als ethnische Minderheit betrachtet, sondern auch als ein Teil der sunnitischen Minderheit, die sich der schiitischen Herrschaft unterwerfen muss.

Unterstützung seitens CIA und Mossad

Goldmine in Belutschistan, Pakistan. Foto: DW/ G. Kakar
In dem Jahrzehnte-andauernden Konflikt geht es auch um Ressourcen. Auch China spricht hier mit. Indem es die mangelnde Infrastruktur des Landes ausbaut, so zum Beispiel in der Hafenstadt Gwadar am arabischen Meer, sichert es sich gleichzeitig "Ausbeutungsrechte", stellt Emran Feroz dar.

Auch im Iran wird der Konflikt geopolitisch ausgenutzt. Hier spielen allerdings ganz andere Akteure eine Rolle. So wurde vor einiger Zeit bekannt, dass "Jundallah", eine militant-salafistische Gruppierung, die vorgibt, alle Sunniten im Iran zu repräsentieren und hauptsächlich vom iranischen Belutschistan aus operiert, nicht nur von Saudi-Arabien, sondern auch vom israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad sowie von der CIA unterstützt wurde. Gleichzeitig wird die Gruppierung von den USA als Terrororganisation, die Verbindungen zu Al-Qaida pflegen soll, angeführt.

Diese Erkenntnis hat vor einigen Monaten für Furore gesorgt. Dies lag allerdings vor allem daran, dass einige Journalisten "Jundallah" mit einer gleichnamigen pakistanischen Gruppierung, die dem IS die Treue geschworen haben soll, verwechselten.

Die Rolle Pakistans macht dabei ein weiteres Mal deutlich, wie paradox Geopolitik sein kann. Während man zu Zeiten des Schah-Regimes gemeinsam gegen die Belutschen in Pakistan und im Iran vorging, wurden in den letzten Monate die Vorwürfe lauter, dass Pakistan "Jundallah" in einem gewissen Maße unterstütze, um Teheran vor Probleme zu stellen. Währenddessen verschwinden in Beluschistan und anderswo weiterhin Menschen – oder werden auf offener Straße ermordet wie Sabeen Mehmud.

Emran Feroz

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