Moderate Muslime und der Irakkrieg
In Südostasien haben gemäßigte Muslime auf den von den USA angeführten "Krieg gegen den Terror" und die militärische Invasion des Irak reagiert: Die innenpolitischen Machtverhältnisse haben sich inzwischen in vielen Ländern verändert. Von Amri Baharuddin Shamsul
Noch nie zuvor in der Geschichte des Islam haben die Handlungen einer Weltmacht der Glaubensgemeinschaft soviel Leid zugefügt. Es ist sehr schwer, das aggressive Verhalten der USA zu ertragen.
Die meisten Muslime in Südostasien sind sich einig, dass der Islam alle Terrorakte als Gräueltaten beurteilt, und dass darunter sowohl die Verbrechen des 11. September als auch die Gewaltakte Saddam Husseins fallen. Aber sie hatten erwartet, dass die Reaktionen zivilisierter ausfallen würden anstatt terroristische Brutalität nachzuahmen.
Es entsprach der allgemeinen Stimmung unter malaiischen Muslimen, dass die indonesische Präsidentin Megawati und Malaysias Premierminister Mahathir Mohamed den Irakkrieg verurteilten und den unschuldigen Opfern ihr Beileid aussprachen.
Solche Äußerungen reflektieren die innenpolitische Situation, die allerdings in den beiden Ländern ziemlich unterschiedlich ist. Während Megawati eher aus einer bedrängten Position heraus reagierte, nutzte Mahathir die Gelegenheit, um die Macht seiner UMNO-Partei ("United Malays National Organisation") zu festigen.
Indonesiens Regierung unter Druck
Präsidentin Megawati unterstützte zunächst die US-Regierung. Nach einem Besuch im Weißen Haus hatte sie sich für einen Krieg gegen den Terrorismus ausgesprochen – inklusive Irak-Invasion.
Ihre Position war teils das Ergebnis des "Mit uns oder gegen uns"-Ultimatums, das die USA allen muslimischen Ländern gestellt hatten, und teils Konsequenz aus der Abhängigkeit Indonesiens von den USA als der dominanten Nation in Weltbank und Internationalem Währungsfonds.
Aber bei ihrer Rückkehr nach Jakarta wurde Megawati mit massiven Protesten empfangen. Die Motive der Demonstranten waren unterschiedlich: Einige Muslime, die grundsätzlich für einen Krieg gegen den Terrorismus waren, protestierten gegen die Entscheidung, den Irak zu bombardieren.
Andere vertraten radikalere Positionen, wie etwa die Mitglieder der militanten Laskar Jihad (wörtlich: Jihad-Armee). Sie waren ganz gegen die USA, die sie als "Land des Teufels" betrachten, das in Afghanistan und Irak einen Kreuzzug führt. Diese Gruppe erklärte den USA sogar den "Heiligen Krieg". Schließlich waren da noch die Menschenrechtsgruppen, die aus humanistischen Bedenken protestierten.
Alle schienen sich einig, dass Megawati ihre verhüllte Unterstützung des US-Kriegs gegen den Irak aufgeben sollte. Als die Demonstrationen gewalttätiger wurden, hatten Militär und die Polizei alle Hände voll zu tun, die Kritik zu unterdrücken.
In drei demonstrationsreichen Wochen gab es mehrere Tote und einige hundert Verletzte. Die Präsidentin gab nach und erklärte öffentlich Indonesiens Protest gegen den Irakkrieg. Wieder einmal wirkte ihre politische Führung schwach und unentschlossen.
Malaysias "islamischer Staat" als Erfolgsmodell
Als malaysischer Regierungschef ging Premierminister Mahathir wesentlich eleganter mit diesen Fragen um. Obwohl er ein offener Globalisierungskritiker ist und zu verschiedenen Gelegenheiten in der Vergangenheit auf Konfrontationskurs zu Washington gegangen ist, machte er sich die Supermacht nicht erneut zum Gegner.
Stattdessen erhöhte er das Ansehen des Landes in den USA, indem er Malaysia als moderaten, ökonomisch erfolgreichen und politisch stabilen "islamischen Staat" darstellte.
Mahathir nutzte dazu politisch Artikel 3 der malaysischen Verfassung, der besagt: "Islam ist die Religion der Föderation; aber andere Religionen können in Frieden und Harmonie in jedem Teil der Föderation praktiziert werden".
Dieser Satz war bisher nicht groß beachtet worden. Seine Hauptfolge war die Einhaltung islamischer Rituale und Konventionen bei offiziellen Staatsanlässen. Beispielsweise werden während eines Staatsbanketts nur erlaubte "Halal"-Speisen und nicht-alkoholische Getränke serviert.
Davon abgesehen gab es immer eine große Toleranz gegenüber anderen Religionen. Kein Regierungschef wäre vor dem 11. September 2001 auf die Idee gekommen, die Bezeichnung "islamischer Staat" zu betonen – unter anderem, weil eine solche Aussage die Gefühle religiöser Minderheiten hätte verletzen können und dem offiziellen Motto widersprochen hätten, dass Einheit nicht Uniformität bedeutet.
Strategien gegen Islamisten
Innenpolitisch diente Mahathir die Betonung des "islamischen Staates" dazu, die Versuche von Teilen der mailaiisch-muslimischen Gemeinschaft zu vereiteln, die von den USA angeführten Angriffe auf Afghanistan und Irak als Kreuzzug gegen den Islam darzustellen.
Tatsächlich hinterfragt die besonders auf dem Land starke und zunehmend einflussreichere islamische Partei ("Parti Islam") Mahathirs Definition eines "islamischen Staates". Bei Demonstrationen gegen die USA waren T-Shirts mit Saddam Husseins Porträt zu sehen. "Parti Islam" ist bei Wahlen Gegner der "United Malay National Organisation" (UMNO).
Mahathirs Verurteilung eines Kriegs gegen den Irak bedeutete, dass die "Parti Islam" der Regierung nicht vorwerfen konnte, sie unterwerfe sich Washington. Protest gegen den Krieg wurden nicht automatisch zu Protest gegen Mahathir.
Tatsächlich appellierten verschiedene Gruppen der malaysischen Gesellschaft – auch Nicht-Muslime – öffentlich an die USA, den Irakkrieg zu beenden, weil er unschuldige Frauen und Kinder treffe. Sie argumentierten, dass Tausende von Irakern zu Flüchtlingen gemacht würden und aus menschlichen Lebensbedingungen unmenschliche.
Eine der deutlichsten Auswirkungen der Ereignisse des 11. September und des Irakkriegs auf Malaysia hängt mit dem Schicksal des entlassenen Vize-Premiers Anwar Ibrahim zusammen, der sich wegen Korruption und angeblicher homosexueller Kontakte vor Gericht verantworten muss. In den Augen der Weltmedien hatte die Anwar-Affäre Mahathir als Diktator gebrandmarkt.
Anwar versucht immer noch, auf sein Schicksal aufmerksam zu machen. In der International Herald Tribune veröffentlichte er einen Artikel mit dem Titel "Wer hat den Islam entführt?". Aber die Ansichten, die er zum 11. September und zum Irakkrieg vertritt, waren denen der malaysischen Regierung sehr ähnlich.
Das internationale Interesse an Anwar ist geschwunden. Mahathirs Ansehen dagegen hat sich entscheidend verbessert. Es ist indessen noch zu früh, um zu beurteilen, ob Malaysias neuer Premierminister Abdullah Badawi Außenpolitik ähnlich geschickt nutzen kann.
Nation des Mittelwegs
International steht Malaysia als "islamischer Staat des Mittelwegs" da, der zwischen den Extremen vermitteln könnte. Die Tatsache, dass die (schiitische) iranische politische Führung vorschlug, das (sunnitisch geprägte) Malaysia könne eine solche Rolle übernehmen, hat das diplomatische Ansehen Malaysias erhöht.
Indonesien dagegen kann nicht so auftreten wie Malaysia. Die verzweifelte Wirtschaftslage und die durch interne Uneinigkeit geschwächte politische Position haben die wichtige Rolle eingeschränkt, die Indonesien einst innerhalb der Gemeinschaft der islamischen Länder gespielt hat. Die gegenwärtige Lage Indonesiens, das einmal der führende Vertreter der blockfreien Staaten war, ist in der Tat traurig.
Die jüngste globale Politik hat jedem Moslem in Malaysia und Indonesien seine Religionszugehörigkeit bewusster gemacht – aber aus den falschen Gründen. Sie werden als potentielle Terroristen oder Sympathisanten Saddam Husseins eingestuft.
Das erinnert an ähnliche Klassifikationen aus der Vergangenheit. Beispielsweise ließ Australien bis 1970 nur Weiße zur Einwanderung zu. Obwohl diese Politik offiziell aufgegeben wurde, wird sie informell von der gegenwärtigen Regierung in Canberra wieder praktiziert. Wie zuvor beunruhigt diese Politik viele Asiaten, die gerne aus ökonomischen Gründen nach Australien ziehen würden.
Die neuen Einwanderungsrichtlinien der USA haben ähnliche Auswirkungen. Sie sehen vor, dass Moslems im Alter von 18 bis 45 Jahren ein "Terroristen-Screening" bestehen müssen, bevor sie in die USA einreisen dürfen. Das wird mit Sicherheit Auswirkungen darauf haben, was es bedeutet "Muslim zu sein".
Diese Politik nährt Ressentiments – besonders, wenn sie von anderen westlichen Nationen nachgeahmt wird. Eine solche sorgfältig ausgearbeitete, internationale Konstruktion könnte dazu beitragen, dass der bisher nur imaginierte "Zusammenstoß der Zivilisationen" Wirklichkeit wird.
Amri Baharuddin Shamsul
© Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit 3/2004
Prof. Dr. Amri Baharuddin Shamsul lehrt Sozialanthropologie. Er ist Leiter des Instituts für die Malaysische Welt und Zivilisation ("Institute of the Malay World and Civilisation/ATMA") und des vor kurzem eingerichteten Instituts für Studien der Westlichen Welt ("Occidental Studies/IKON") der Nationalen Universität von Malaysia.