Frauenpower am Tigris
Es ist, als ob man sich Gemälde in einer Galerie anschaut. Die Gesichter der Frauen sind an diesem Abend wie Kunstwerke gestaltet. Das "Forum für Irakische Journalistinnen“ hat zu einer Gala ins teuerste Hotel der Stadt eingeladen, um sich und andere Journalistinnen aus der arabischen Welt zu feiern. Dafür haben die Irakerinnen ihre schönsten Kleider aus dem Schrank geholt und sich wohl stundenlang vor den Spiegel gestellt. Weiblichkeit ist hier auch im Journalismus gefragt.
Zum Fest sind zwar auch Männer geladen, aber Frauen dominieren an diesem Abend. Und es ist auch eine Frau, die als Miniaturbronze zur Trophäe für die ausgezeichneten Journalistinnen wird: Atwar Bahjat war eine irakische Journalistin und Reporterin für den in Dubai ansässigen Fernsehsender Al-Arabiya.
Während ihrer Berichterstattung über den Al Qaida-Anschlag auf die Goldene Moschee der Schiiten in Samarra 2006 ist sie entführt und ermordet worden. Der Anschlag provozierte den blutigen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten, von dem die Hauptstadt Bagdad besonders betroffen war und von dem sie sich jetzt erst langsam erholt.
Der Atwar Bahjat Preis wird jährlich zum Internationalen Frauentag an Journalistinnen aus arabischen Ländern wie Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien, dem Jemen und natürlich Irak verliehen, die mutig und unerschrocken ihre Arbeit tun.
"Als wir vor 13 Jahren mit dem Forum als einem Netzwerk für Journalistinnen begannen, waren wir zehn oder zwölf“, erzählt die Vorsitzende, Nibras Al Mamory, die selbst 32 Jahre lang als Journalistin für Fernsehen und Printmedien tätig war. Die Deutsche Botschaft finanzierte Workshops und Ausbildung, zuletzt 2020, die US-Organisation Komitee zum Schutz von Journalisten gab Beistand. Heute ist das Forum ein Teil von UN Women und hat über 400 registrierte weibliche Mitglieder im ganzen Land, die aktiv im irakischen Journalismus arbeiten.
Kampagnen zu Themen wie Gewalt gegen Frauen, Kinderehen und Meinungsfreiheit im Irak gehören mittlerweile zum festen Bestandteil der Aktivitäten. Außerdem gibt das Netzwerk ein regelmäßig erscheinendes Magazin mit dem Titel Sawtuha, ihre Stimme, heraus.
Der einzige männliche Redner an diesem Abend, Mujahed Aboalhail, Vorstandsmitglied der staatlichen Kommission für Medien und Kommunikation, preist denn auch den Einsatz des Forums und lobt, wie weit die Frauen im Irak gekommen seien.
Es sei heute selbstverständlich, ein weibliches Gesicht im Fernsehen zu sehen oder eine weibliche Stimme im Radio zu hören. Allerdings, so Aboalhail kritisch, suche der Journalismus generell im Irak noch seinen Platz. Unabhängige Medien gibt es so gut wie keine. Entweder sind sie an eine politische Partei oder an eine religiöse Gruppe gebunden. Hier geht es Journalistinnen nicht anders als den männlichen Kollegen.
Nibras Al Mamory, die Vorsitzende des Journalistinnen-Netzwerks, nennt als Ziel ihrer Bemühungen zunächst die Gleichstellung zwischen Mann und Frau in den Medien. Sie sei noch lange nicht erreicht. "Frauen stehen erheblich mehr unter Druck als Männer, sie müssen mehr kämpfen." Auf die Nähe des irakischen Journalismus zu Politik oder religiösen Gruppen angesprochen, sagt sie, über diese Abhängigkeit der irakischen Medien werde momentan noch nicht diskutiert.
Anita Arshagian kann sich nicht vorstellen, als Journalistin zu arbeiten. Sie hat in den Workshops des Forums aus dem Englischen ins Arabische übersetzt, wenn etwa sie ausländische Trainerinnen und Trainer hatten. "Durch die sozialen Medien sind Journalisten ständiger Kritik ausgesetzt“, sagt die Irakerin mit armenischen Wurzeln. Vor allem an Frauen werde ständig herumkritisiert.
Auch Rawan Al Zaidi findet den Druck, dem Journalistinnen ausgesetzt sind, extrem und wollte sich ihm nicht auf Dauer aussetzen. Nach ihrem Studium hatte die 26-Jährige einen Job bei einem irakischen Fernsehsender bekommen. "Doch als Frau im Journalismus stehst du ständig von allen Seiten in der Kritik“, kommentiert sie die Situation in ihrem Land. Das habe sie nicht ausgehalten – und auch nicht aushalten wollen. Rawan wurde Unternehmerin.
Es lebe das Stereotyp
Das Stereotyp von der "unterdrückten arabischen Frau" verfestigt sich weiter in den öffentlichen Debatten hierzulande. Dieses verzerrte Bild verstellt nicht nur den Blick auf sich wandelnde Familien- und Rollenbilder in der arabischen Welt. Es ist auch ein Ausdruck unserer eigenen kulturellen Verunsicherung. Von Claudia Mende
Engagiert und erfolgreich
Sie gründete eine Firma, die im vom Klimawandel schwer betroffenen Land zwischen Euphrat und Tigris mit Dattelpalmen zur Wiederaufforstung beiträgt. Traditionell ist der Irak bekannt für seine Palmen. Den Baum findet man in vielen Wappen, auf Geschäftskarten, Firmenlogos oder Fahnen.
Die besten Datteln der Welt kamen einst aus Mesopotamien. Doch das ist lange her. Heute säumen abgestorbene Palmenwälder die Straßen. Das will Rawan ändern. 2018 hatte sie die Geschäftsidee, in ihrem Land wieder Millionen von Palmen pflanzen zu lassen, die dann CO2 absorbieren sollen.
Mit einem Bankkredit ging es los. "Mir war wichtig, die gesamte Kette anzubieten, vom Setzling bis zur Ernte und dem Verbraucher“, sagt sie. Kenntnisse über die Beschaffenheit der Böden an unterschiedlichen Orten im Land, über den Wasserbedarf und die richtige Bewässerung seien Voraussetzung für ein gutes Wachstum der Palmen.
"Wir kümmern uns von A bis Z um die Palmen.“ Al Nakhla – die Palme – wie Rawan ihre Firma nennt, hat inzwischen 50 Mitarbeitende und ist vom Süden des Irak, in Diwanija und Kut, bis nach Mossul im Norden aktiv. Mossul sei früher eine kalte Stadt gewesen, erzählt sie. Der Klimawandel habe die Stadt wärmer werden lassen.
"Jetzt können wir auch dort Dattelpalmen pflanzen.“ Für ihr nachhaltiges Engagement im Klimaschutz wurde die im Bagdader Stadtviertel Karrada geboren junge Frau 2022 mit dem "Austria Energy Globe Award“ ausgezeichnet, dem wichtigsten Umweltpreis Österreichs.
Die US-Invasion: Rückschritt für Frauen
Iraks Frauen haben in den letzten zwanzig Jahren eine Achterbahn hinter sich. Die Diktatur unter Saddam Hussein richtete sich nicht gegen das weibliche Geschlecht, sondern gegen alle, die seine Macht in Frage stellten. Diese ließ er gnadenlos verfolgen. Auch Frauen. Trotzdem sagen viele, dass es unter dem Gewaltherrscher besser um Frauenrechte in der Gesellschaft bestellt war als seither.
Als nach der US-Invasion 2003 die religiösen Hardliner die Wahlen gewannen, ins Parlament und in die Regierung einzogen und das Machtvakuum füllten, hatten vor allem die Frauen unter den Folgen zu leiden.
Exiliraker, die aus dem Iran zurückkamen und die Sitten der schiitischen Mullahs einführten, machten aus der Südmetropole Basra eine Stadt der “Pinguine”: Frauen trugen draußen den schwarzen Umhang (Abaja) und einen schwarzen Schleier mit weißem Stirnband. Auch die Christinnen gaben dem Druck nach und verhüllten sich plötzlich ganz in schwarz.
Al Qaida, die sunnitischen Extremisten, verschärfte die Regelungen für Frauen weiter. Autofahren war nicht mehr erlaubt, das Zeigen nackter Haut wurde zum absoluten Tabu. So wurde selbst Inana, die Göttin der antiken Sumerer vor 5000 Jahren, die nackt dargestellt wird, verhüllt oder aus der Öffentlichkeit, etwa aus Museen oder dem Foyer des Kulturministeriums, verbannt.
IS-Terror und häusliche Gewalt
Bücher und Publikationen wurden auf religiöse Inhalte und Bebilderungen überprüft und nicht selten vom Markt genommen. Manche Frauen waren durch diese neue Situation so eingeschüchtert, dass sie monatelang das Haus nicht mehr verließen. Dann kam die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die die Iraker "Al Qaida 2.0" nennen. Wiederum verschärfte sich die Situation für alle.
Doch die Frauen hatten nicht nur unter der Gewalt der islamischen Extremisten zu leiden. Auch die häusliche Gewalt nahm in diesen Jahren zu. Die Befreiung vom IS im Jahre 2017 war dann für die Frauen eine ganz besondere Erleichterung. Eine Gegenbewegung setzte ein.
Der Einfluss der Religiösen schwindet seitdem kontinuierlich, die Scheidungsraten steigen rasant und Frauen drängen auf Unabhängigkeit. Immer mehr sind berufstätig, immer mehr entscheiden sich gegen den Schleier, wollen allein leben, stellen Autoritäten in Frage. Wenn auch die Protestbewegung, die 2019 und 2020 auch im Irak Massen von jungen Irakerinnen und Irakern auf die Straßen trieb, vorerst gescheitert ist, geht doch die Revolution innerhalb der Gesellschaft weiter. Rawan ist nur ein Beispiel von vielen.
Von alten Männern hofiert
Es sind Frauen wie Alaa, eine Modedesignerin, die ihr eigenes Label entwickelt hat, eine Werkstatt und ein Atelier ihr Eigen nennt und mittlerweile fünf Angestellte hat. Oder Ghada, die den größten Medienkonzern Iraks leitet und zum Vorbild für viele Frauen geworden ist.
Heidi, mit ihren 24 Jahren Iraks derzeit gefragteste Sologeigerin, steht nicht nur bei Konzerten im Rampenlicht, sondern präsentiert sich auch offensiv in den sozialen Medien. Und da ist nicht zuletzt Suhad, die mit ihrem Kulturzentrum im südirakischen Basra Dämme gebrochen hat, weil sie sich dem Dialog zwischen den Geschlechtern verschrieben hat.
Diese Beispiele für Frauenpower könnte man noch um viele weitere fortsetzen. Frau und jung zu sein, ist im Irak derzeit cool. Erfolgreiche Frauen werden hofiert, von alten Politikern und Würdenträgern dekoriert, von jungen Irakern bejubelt und als Ikonen gefeiert. Organisationen von vorgestern erneuern sich mit Frauenkomitees, Chat-Gruppen für Frauen entstehen genauso wie Frauentreffs für fast jede Berufsgruppe.
Frauenrechtlerinnen wie die vor 100 Jahren in Bagdad geborene Schriftstellerin Nazik Al Malaika (1923-2007) erleben eine Renaissance. Zu ihrem Gedenkabend in Bagdad kommen alle, die im Irak derzeit Rang und Namen haben, auch wenn sie sich jahrelang zuvor als Unterdrücker der Frauen hervorgetan haben.
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