Keine Gnade für US-Verbündete mehr

Der britische Anwalt Karim Khan ist seit Februar 2021 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag
Der britische Anwalt Karim Khan ist seit Februar 2021 Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag. (Foto: Chepa Beltran/LongVisual via ZUMA Press/picture alliance)

Die beantragten Haftbefehle gegen Ministerpräsident Netanjahu und Verteidigungsminister Gallant sowie drei Hamas-Anführer ist zweifellos ein historischer Schritt. Erstmals soll sich ein Staatschef eines US-Verbündeten vor dem Gericht verantworten müssen.

Kommentar von Shady Lewis Botros

"Europa muss anerkennen, dass die Vereinigten Staaten eine globale Verantwortung tragen und dadurch in einer singulären Lage sind: Durch unsere globale Präsenz und die sich daraus ergebenden Ressentiments sind wir anfälliger für einen Missbrauch des Internationalen Strafgerichtshofs gegen uns."

Und weiter: "Meiner Meinung nach sollten sich die Vereinigten Staaten deshalb zwar nicht aus dem Internationalen Strafgerichtshof zurückziehen. Wir haben allerdings legitime Bedenken, mit denen die Welt sich auseinandersetzen muss und es ist nur fair, um Sensibilität für diese Bedenken zu bitten, sind diese doch darin begründet, dass die Vereinigten Staaten auf allen Kontinenten weltweit aktiv sind.“

So sagte es die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton im Wahlkampf um die Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2005. Demnach ist die historische "Bürde des weißen Mannes" zu einer "amerikanischen Bürde" geworden und die Vereinigten Staaten sehen sich in globaler Verantwortung als Weltpolizist. Diese Bürde ist untrennbar verbunden mit ihrer "weißen Fragilität".

Über dem Gesetz

Denn die globale Präsenz der US-Truppen, so Clinton, mache ihr Land zur Zielscheibe von Wut, und damit anfälliger für Missbrauch der internationalen Justiz. Deshalb solle die Welt die spezielle Sensibilität der USA berücksichtigen und einen fairen Umgang mit ihr finden und nicht umgekehrt.

Das Thema Internationaler Strafgerichtshof und die Möglichkeit, dass US-Soldaten sich gemäß Römischem Statut vor diesem verantworten müssten, ist ein Dauerbrenner in US-Wahlkämpfen. Das Clinton-Zitat spiegelt exakt das Souveränitätsdenken in der politischen Philosophie, auf internationaler oder besser gesagt auf imperialistischer Ebene. 

Denn der Souverän als Ursprung und Vollstrecker des Rechts muss über dem Gesetz stehen und dieses überschreiten. Nach dieser Vorstellung stehen die USA und ihre Armee über der internationalen Justiz, da sie diejenigen sind, die entschieden auf dessen Anwendung auf andere hinarbeiten. 

Gegründet für "Afrika und Schläger vom Typ Putins"

Im Englischen bezeichnet der Ausdruck "Kangaroo Court" auf ironische Weise irreguläre, willkürliche Gerichtsverfahren. Wahrscheinlich geht er auf das 18. Jahrhundert in Großbritannien zurück, als Tausende in fadenscheinigen Schnellverfahren zur Deportation in die australischen Strafkolonien verurteilt wurden.

Im Juni 2020 belegte US-Präsident Donald Trump den Internationalen Strafgerichtshof und dessen damalige Chefanklägerin Fatou Bensouda mit Sanktionen. Hintergrund waren die erwarteten Ermittlungen gegen US-Soldaten aufgrund von Kriegsverbrechen in Afghanistan. Trumps Außenminister Mike Pompeo bezeichnete den Gerichtshof in diesem Zusammenhang als "Kangaroo Court".

Die Position der Vereinigten Staaten gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof war im Laufe der Zeit situationsabhängig und selektiv. Einerseits begrüßte Washington enthusiastisch die Entscheidungen des Gerichtshofs zum Völkermord in Darfur und später den Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg.

Gleichzeitig verwahrte sich die US-Administration jedoch stets entschieden gegen eine mögliche Vorladung von US-Bürgern vor das Gericht. Zu diesem Zweck wurde eine Reihe von außenpolitischen Maßnahmen ergriffen, unter anderem wurden die Regierungen anderer Staaten zur Unterzeichnung von Klauseln gezwungen, die die Auslieferung von US-Bürgern an den Gerichtshof unterbinden. Wer sich dem verweigerte, wurde mit der Kürzung von US-Hilfen oder anderen Sanktionen bestraft.

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Offene Drohungen gegen Khan

Bevor der derzeitige Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Khan, seinen Antrag auf einen Haftbefehl gegen den israelischen Premierminister und dessen Verteidigungsminister bekannt machte, erhielten er und einige Richter des Gerichts Drohungen, teils öffentlich von Mitgliedern des US-Kongresses, teils über inoffizielle Kanäle.

In einem Interview mit CNN erklärte Khan, eine hochrangige Person habe ihm in diesem Kontext gesagt, das Gericht sei "für Afrika und Schläger wie Putin“ gegründet worden, nicht für den Westen und seine Verbündeten“.

Nun sehen wir also eine neue Episode in der Serie der Konfrontationen zwischen US-Imperium und internationaler Justiz. Zweifellos ist das Vorgehen gegen israelische Politiker und erstmals einen Staatschef eines US-Verbündeten ein historischer Schritt, wenn auch ein symbolischer. Das US-Imperium mit Washington im Zentrum sieht dieses Gericht lediglich als ein "Kangaroo Court", das es allein gegen seine Gegner instrumentalisiert.

Shady Botros

© Qantara.de 2024

Aus dem Arabischen übersetzt von Daniel Falk