Der schöne Schein vom Frieden

Auch Genf III verheißt kein Ende der Gewalt in Syrien. Das Assad-Regime kann der Konferenz gelassen entgegensehen, weil schon jetzt klar ist, dass es nichts zu fürchten hat. Ein Kommentar von Bente Scheller

Von Bente Scheller

Die Türkei fordert, die kurdische PYD solle nicht eingeladen werden. Die Russen bestehen darauf. Die Opposition ist zwar angereist, will die Verhandlungen aber boykottieren, solange das Regime seine Hungerblockaden aufrechterhält. Die USA beharren darauf, es sollten keinerlei Vorbedingungen gestellt werden. Nur eine Seite scheint zu Beginn von Genf III wunschlos glücklich: das syrische Regime.

Das sagt eigentlich schon alles über die Aussicht auf einen Erfolg der Verhandlungen.

Die Staaten, die Assads Abtreten gefordert haben, sind nach wie vor nicht bereit, dieser Forderung auch Nachdruck zu verleihen. Und auch seine Verbündeten, Russland und Iran, engagieren sich nicht nur diplomatisch, sondern auch militärisch umso unverhohlener, dass er im Amt bleibt.

Assad setzt auf eine Verzögerungsstrategie. Kreuzbrav bekundet er seinen Verhandlungswillen. Doch während international der Wien-Prozess und die Konferenz in Riad, bei der sich die wichtigsten Oppositionsvertreter und Rebellengruppen auf eine politische Lösung des Konfliktes verständigt hatten, als Schritte in Richtung einer diplomatischen Lösung betrachtet wurden, versucht Damaskus, den Prozess mit Gewalt zu sabotieren.

Kaum war die Koalition ins Leben gerufen, verhaftete das syrische Regime, wenn auch nur kurzfristig, zwei Mitglieder auf dem Weg nach Saudi-Arabien und rühmte sich, Zahran Alloush, Anführer der wichtigsten Rebellengruppe im Umland von Damaskus, mit einem Luftangriff getötet zu haben.

Hungerblockaden als Waffen im Krieg

Die belagerte syrische Stadt Madaya; Foto: Reuters/O. Sanadiki
Verhungern hinter den Frontlinien: In der belagerten syrischen Stadt Madaja sterben weiter Menschen an den Folgen von Mangelernährung. Trotz der vor knapp drei Wochen gelieferten Nothilfe für Tausende Hungernde seien seit Mitte Januar mindestens 18 Menschen ums Leben gekommen, teilte jüngst die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Laut aktuellen UN-Schätzungen sind 400.000 Menschen in insgesamt 15 belagerten Städten dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Insgesamt gehen die UN von 7,6 Millionen syrischen Kindern aus, die humanitäre Unterstützung benötigen, darunter in Madaya, Kafraya und Foah.

Die syrische und russische Luftwaffe setzten unvermindert ihre Bombardements fort – Angriffe, die sich selten gegen ISIS, als vielmehr gegen andere Rebellengruppen richten und gezielt zivile Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser treffen. Auch die Belagerung Dutzender Ortschaften ist wieder in den Fokus gerückt – eine Strategie, die schon 2013 im Vorfeld von Genf II angewendet wurde. Damals standen der Damaszener Vorort Mouadhamiya sowie Arbin und Yarmouk im Visier. Heute ist es unter anderem Madaya, in der das Regime die humanitäre Lage jenseits aller Vorstellungskraft verschärft hat.

Auch Rebellen belagern Ortschaften, doch niemand tut es so gnadenlos wie das syrische Regime. Angesichts der verheerenden Lage mahnte kürzlich UN-Generalsekretär Ban Ki Moon: "Aushungern als Waffe einzusetzen, ist ein Kriegsverbrechen."

Um die Tagesordnung der Genfer Verhandlungen zu ändern, tötet und gefährdet der syrische Staat Zivilisten, zu deren Schutz er völkerrechtlich eigentlich verpflichtet wäre. Damit erhöht er sozusagen die Anzahl der Verhandlungsgegenstände, um Konzessionen machen zu können, ohne von seinen genuinen Interessen etwas preisgeben zu müssen.

Die Vereinten Nationen spielen dieses zynische Spiel mit. Erst letzte Woche veröffentlichte das Medienunternehmen Buzzfeed, welche Redigaturen Damaskus am jüngsten "Humanitarian Response Plan" der Vereinten Nationen vorgenommen hat. Konsequent haben Vertreter des Regimes die Formulierung "belagerte Gebiete" gestrichen und durch harmlosere Formulierungen ersetzt, Minenräumung und andere dem Regime unliebsame Themen ausgeblendet und die dramatische Lage heruntergespielt.

Für 91 Hilfslieferungen suchte die UN im vergangenen Jahr die Zustimmung der Regierung in Damaskus. Noch nicht einmal einem Drittel davon stimmte das Regime prinzipiell zu, und letztlich wurden lediglich 13 tatsächlich umgesetzt.

Der humanitäre Zugang zu allen Gebieten, die Freilassung von politischen Gefangenen, ein Ende des Bombardements ziviler Einrichtungen, des Einsatzes von Fassbomben und Chlorgas – auf all dies haben sich die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates inklusive Russland in einer Reihe von Resolutionen verständigt. Es ist jedoch noch nicht einmal ein Bemühen erkennbar, diese Forderungen auch durchzusetzen.

Aktivisten protestieren gegen die Syriengespräche in Genf; Foto: Reuters/D. Balibouse
Genfer Syrien-Verhandlungen als Possenspiel: "Es geht eher um die Simulation eines Prozesses als darum, wirklich eine Einigung zu erzielen. Die Konferenzen sind öffentlichkeitswirksamer Ersatz dafür, tatsächlich etwas zu tun", moniert Bente Scheller.

Insofern mutet es grotesk an, wenn die internationale Gemeinschaft nun der Opposition vorhält, sie würde "Vorbedingungen" stellen, wenn sie lediglich die gleichen Forderungen aufstellt, die der Sicherheitsrat längst von selbst hätte in Angriff nehmen sollen. Die Hungerblockaden aufzuheben, die humanitäre Versorgung zu gewähren und die Luftangriffe auf Zivilisten einzustellen, stellt eine humanitäre Notwendigkeit dar, nicht etwas, um das geschachert werden sollte.

Auf Worte Taten folgen lassen

Für einen Friedensprozess in Syrien unter der Ägide der UN – wie in Wien vorgesehen – braucht es eine starke und glaubhafte UN. Höchste Zeit also, dass ihre mächtigsten Mitglieder ihren Worten endlich Taten folgen lassen. Auch wenn in diesen Fragen, in denen sie sich einigen konnten, kein Vorstoß gemacht wird: Wie soll die UN eine entscheidende Rolle bei der weitaus heikleren Frage einer Machtübergabe in Syrien spielen?

Schon Genf I im Jahr 2012 hatte einen konkreten Plan für eine Machtübergabe gefordert. Drei Jahre sind seitdem verstrichen, ohne dass Russland und der Rest der Welt sich darüber einig geworden sind, ob, wann und wie Assad abtreten soll. Neu an der jetzigen Konstellation ist also nur, dass Assads Verbündeter Wladimir Putin noch deutlicher zeigt, wie weit er zu gehen bereit ist, um seine eigenen Interessen zu verteidigen. Hier und in der Ukraine hat sich gezeigt, dass er mit wenig internationalem Widerstand rechnen muss.

Die UN kann nur so stark sein, wie ihre Mitgliedsstaaten es zulassen. Bei Syrien ist hier also nicht viel zu erwarten. Wenn der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura also trotz dieser ungünstigen Konstellation darauf drängt, die Verhandlungen stattfinden zu lassen, ohne dass feststeht, dass es zu maßgeblichen Veränderungen kommen wird, heißt das: Es geht eher um die Simulation eines Prozesses als darum, wirklich eine Einigung zu erzielen. Die Konferenzen sind öffentlichkeitswirksamer Ersatz dafür, tatsächlich etwas zu tun.

Assad und seine Verbündeten werden bestärkt darin, statt einer politischen Lösung an einer militärischen Auslöschung der Opposition fortzufahren. Wann immer die internationale Gemeinschaft die Erfahrung gemacht hat, dass sie bei Assad auf taube Ohren stößt, hat sie zum Umkehrschluss gegriffen und stattdessen von der Opposition verlangt, bescheidener in ihren Forderungen zu werden.

Die größte Gefahr also ist, dass Assads Gegner durch die anstehenden Verhandlungen weiter geschwächt werden, da nicht erkennbar ist, warum sie überhaupt an den Verhandlungstisch kommen sollten.

Bente Scheller

© Qantara.de 2016

Bente Scheller übernahm 2012 das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut. Zuvor leitete sie das Büro in Afghanistan. 2013 erschien ihr Buch "The Wisdom of Syria's Waiting Game: Foreign Policy Under the Assads".