Weniger Bomben, nicht mehr!
Leider ist Deutschlands Syrieneinsatz in Wahrheit kein Einsatz für Syrien, sondern eine politische Geste. Nach dem Terror von Paris hat Bündnispartner Frankreich um Hilfe gebeten, und um das klapprige Europa zu retten, eilen wir Deutsche herbei. Ohne zu fragen, was den Menschen in Syrien eigentlich helfen würde, beschließen wir Militäreinsätze, von denen wir genau wissen, dass sie nichts bringen. Denn veraltete Tornados aus dem Kalten Krieg sind beim asymmetrischen Kampf gegen nicht-staatliche Terrorgruppen kaum zu gebrauchen.
Der bevorstehende Einsatz ist nicht nur sinnlos, sondern auch kontraproduktiv. Angesichts unserer Kriegsrhetorik fühlt sich der selbst ernannte Islamische Staat (IS) in seinem Kampf gegen den gottlosen Rest der Welt ernst genommen, jede Supermacht mehr lässt ihn gefährlicher und attraktiver erscheinen.
Dass sich Deutschland mit der mächtigsten Frau der Welt an der Spitze – jener Angela Merkel, die dem IS mit ihren Flüchtlings-Selfies die Syrer weglockt – anschließt, kommt dem IS sehr gelegen. Schließlich will er die Menschen davon überzeugen, dass nicht "Angie" die Syrer beschützt, sondern Kalif Abu Bakr al-Baghdadi.
Warten auf die Invasoren aus dem Westen
In freudiger Erregung wartet der IS auf die Invasoren aus dem Westen. Er weiß, dass ihm in Syrien jede Bombe mehr Anhänger verschafft. Denn seit Jahren rekrutiert Präsident Baschar al-Assad dem IS zuverlässig Kämpfer, indem er die von der Opposition kontrollierten Gebiete aus der Luft angreift.
Nach Angaben des "Syrischen Netzwerks für Menschenrechte" (SNHR) zielten Assads Raketen im Oktober auf 14 medizinische Einrichtungen, sechs Marktplätze und zehn Schulen, 1.438 Fassbomben fielen willkürlich auf Wohngebiete. Ungestraft überzieht Assad das Land mit einem Terror, der die Menschen entweder in die Flucht oder in die Arme des IS treibt. Je nachdem was überwiegt – die Verzweiflung oder die Wut über die Ignoranz der Welt, die Gott zum einzigen Beistand macht und den IS als letzten Ausweg erscheinen lässt.
Jetzt also noch mehr Bomben. Zwar sind die Raketen der Amerikaner und Franzosen präziser und richten sich gegen militärische Ziele des IS, aber davon gibt es nicht viele. Längst fahren die IS-Kämpfer nicht mehr in Wagenkolonnen durch die Wüste und haben ihre Waffenschmieden in Wohngebieten versteckt.
Der Tod von Zivilisten ist deshalb unvermeidbar – erst recht, wenn Luftangriffe nicht mit verbündeten Kämpfern vor Ort abgesprochen sind. Selbst bei der Zerstörung von Tanklastern, Raffinerien oder Ölfeldern trifft es oft die Falschen. Denn dort arbeiten Syrer, die sich mit dem IS arrangiert haben, um zu überleben, und keine überzeugten Dschihadisten.
Assads systematischer Bombenterror
Im Vergleich zu Assads Massenmord und den Opferzahlen der russischen Bombardements erscheinen die Toten der Anti-IS-Koalition freilich gering. Laut SNHR hat das syrische Regime in diesem Jahr bis einschließlich November 11.371 Zivilisten getötet, der IS 1.382 und die US-geführte Allianz 160. Durch russische Luftangriffe starben im Oktober und November 522 syrische Zivilisten, während die USA und Frankreich im gleichen Zeitraum für den Tod von 14 Menschen verantwortlich sind.
Um nicht missverstanden zu werden: Jeder einzelne getötete Unschuldige ist einer zu viel, aber das gilt eben nicht nur für die Opfer von Paris, sondern auch für Syrer. Deshalb ist das einzige militärische Engagement, das in Syrien Sinn macht, der Schutz von Zivilisten. Seit Jahren fordern zivilgesellschaftliche Gruppen genau das – Flugverbotszonen oder Schutzzonen, in denen die Menschen vor Bombenangriffen sicher wären und Oppositionelle eine alternative Ordnung aufbauen könnten.
Die russische Intervention hat diese Überlegungen torpediert. Putin sichert Assads Überleben, indem er Kampfjets gegen Rebellen im Nordwesten und in Zentralsyrien schickt und sie von einer hochmodernen russischen Flugabwehr schützen lässt. Genau dort müsste eine Flugverbotszone greifen, die normalerweise mit der Ausschaltung der feindlichen Flugabwehr beginnt – eine offene Konfrontation mit Russland wäre vorprogrammiert.
Auch für Schutzzonen fehlt die Bereitschaft, werden sie doch in der Regel von Bodentruppen vor Ort durchgesetzt. Zwar sieht der in den Verhandlungen von Wien beschlossene Fahrplan eine UN-Einsatztruppe vor, die den geforderten Waffenstillstand in Syrien überwachen soll, aber noch deutet nichts auf eine baldige Blauhelmmission hin.
Strategie der militärischen Nadelstiche
Bleibt eine dritte, sehr einfache Möglichkeit, um Zivilisten zu schützen: eine "No-Bombing-Zone" oder Bombenverbotszone. Der Westen einigt sich mit Russland auf gemeinsam zu bekämpfende Terrorziele des IS und verhängt über den Rest des Landes ein Luftangriffsverbot. Das bedeutet dort, wo der IS nicht ist, darf zwar geflogen, aber nicht bombardiert werden.
Wer sich nicht daran hält, wird militärisch abgestraft, und zwar nicht durch Kampfjets (die ins Visier der Luftabwehr geraten könnten), sondern von Kriegsschiffen im Mittelmeer aus. Sollte Assad also weiterhin Helikopter mit Fassbomben nach Aleppo schicken, würden diese abgeschossen, wahlweise könnte der Militärflughafen angegriffen werden, von dem aus sie gestartet sind. Ziel ist es, jeden Luftangriff auf Zivilisten spürbar zu sanktionieren, damit diese ausbleiben. Nicht mehr und nicht weniger.
Eine solche Strategie der militärischen Nadelstiche würde viererlei bewirken. Erstens wären die Menschen in den verwüsteten Provinzen Idlib, Latakia, Aleppo, Hama, Homs, den Vororten von Damaskus und Daraa besser geschützt und müssten nicht mehr fliehen. Zweitens bliebe eine militärische Konfrontation mit Russland aus, da es sich in Absprache mit Franzosen und Amerikanern auf den Anti-IS-Kampf konzentrieren würde und seine Angriffe auf Märkte, Krankenhäuser und Brotfabriken nicht mehr rechtfertigen könnte. Drittens käme Assad unter wachsenden Druck und sähe sich gezwungen, politisch zu verhandeln und einer schrittweisen Machtübergabe zuzustimmen. Dadurch könnten sich viertens syrische Rebellengruppen mehr und mehr auf den Kampf gegen den IS konzentrieren und neben den Kurden als dringend benötigte Bodentruppen mit der internationalen Anti-IS-Koalition zusammenarbeiten.
Erst wenn wir den Krieg in Syrien, mindestens aber die Luftangriffe Assads, beendet haben, können wir mit den Syrern als Partner im Kampf gegen den IS rechnen. Und erst dann machen westliche Luftschläge Sinn. Angesichts unserer Flüchtlingszahlen hat Deutschland von allen das größte Interesse an einem Schutz der Syrer in ihrer Heimat. Doch statt mit Bombenverbotszonen Fluchtursachen zu bekämpfen schicken wir 1.200 BundeswehrsoldatInnen – ohne klares Ziel, ohne Strategie, ohne Plan.
Wie die Syrer das finden? Zynisch. Zum Schutz von Zivilisten war ein deutscher Militäreinsatz in Syrien jahrelang "undenkbar", aber aus Solidarität zu Frankreich stellen wir innerhalb von drei Wochen sechs Tornados und eine Fregatte bereit. 134 Millionen Euro kostet das – anders eingesetzt könnten wir mit diesem Geld Hunderttausenden Syrern eine Flucht nach Deutschland ersparen.
Kristin Helberg
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