Sanktionspolitik in der Sackgasse

Der Westen behauptet, ohne ein UN-Mandat nicht nennenswert handeln zu können. Aber die Wahrheit ist, dass die Regierungen in Washington, London, Paris und anderswo auch ohne Resolution des Sicherheitsrates viel mehr tun könnten, meint Itamar Rabinovich in seinem Essay.

Von Itamar Rabinovich

Die Krise in Syrien dauert nun schon ein Jahr an. Sie hat bisher etwa 10.000 Todesopfer gekostet, darunter überwiegend Zivilisten, und es ist kein Ende in Sicht. Das Land befindet sich in einer Pattsituation: Die Opposition ist nicht in der Lage, das Regime von Präsident Baschar al-Assad zu stürzen, und Assads Truppen schaffen es nicht, den Widerstand zu ersticken.

Beide Seiten bleiben hartnäckig: Die Opposition ist entschlossen, ein Regime zu Fall zu bringen, das sie als unrechtmäßig, sektiererisch, korrupt, tyrannisch und blutverschmiert ansieht, während die Hardliner der Regierung glauben, durch Standhaftigkeit die Opposition letztlich unter Kontrolle bringen zu können und durch Zugeständnisse nur ihre eigene Existenz zu gefährden. Sie sind der Meinung, dass der Untergang des Systems für seine Führer und einen großen Teil der alawitischen Gemeinschaft, aus der sie stammen, Enteignung und Tod bedeuten würde.

Assad und seine Riege fühlen sich dadurch bestärkt, dass die Welt nicht in der Lage war, effektiv auf die brutale Unterdrückung der Revolten von Homs zu reagieren, und haben zur Abschreckung drakonische Strafen über die Überlebenden verhängt. Ein Teil der syrischen Zivilbevölkerung wird sich dadurch kurzfristig abschrecken lassen, langfristig werden solche Maßnahmen aber nur den öffentlichen Zorn verstärken und damit die Wahrscheinlichkeit einer blutigen Abrechnung mit Assad und seinen Freunden erhöhen.

Syriens Präsident Baschar al-Assad (rechts) und der UN-Gesandte Kofi Annan in Damaskus im März 2012; Foto: REUTERS/SANA/Handout
Gut gemeint aber wirkungslos: Trotz den Anstrengungen des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan (links) sind die Bemühungen der UN für einen Ausweg aus dem blutigen Konflikt bislang gescheitert.

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Politische Pattsituation

Die momentane brutale Pattsituation wird wohl noch eine Weile andauern. Ebenso, wie frühere Bemühungen der internationalen Gemeinschaft und der Arabischen Liga, den Konflikt beizulegen oder eine politische Lösung herbeizuführen, gescheitert sind, scheinen auch die diplomatischen und humanitären Missionen unter dem ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, und der gegenwärtigen UN-Untergeneralsekretärin für humanitäre Angelegenheiten, Valerie Amos, keinen Erfolg zu haben.

Sicher hat das Regime einige Überläufer zu beklagen – die meisten nach dem Höhepunkt der Gewalt in Homs, als der stellvertretende Energieminister sein Amt niederlegte und sich der Opposition anschloss. Aber obwohl auch Angehörige des Offizierskorps desertierten, hat das Regime seinen inneren Zusammenhalt nicht verloren.

Die Armee, der Sicherheitsapparat und die alawitische Gemeinschaft bieten immer noch volle Unterstützung. Ein Großteil der syrischen Bevölkerung – die Mittelklasse in Damaskus und Aleppo, die Christen und andere Minderheiten – verhalten sich passiv, können sich nicht entscheiden. Oder sie befürchten, die Alternative zum status quo könnte Chaos, Bürgerkrieg und eine mögliche Übernahme durch radikale Islamisten bedeuten. Und Russland und China bieten weiterhin diplomatische Rückendeckung und der Iran materielle Unterstützung. Trotz zunehmender Verknappung scheint das Leben in Damaskus fast seinen gewohnten Gang zu gehen.

Beobachter der Arabischen Liga bei einem Besuch von Verwundeten in einem staatlichen Krankenhaus in Daraa, im Süden des Landes im Dezember 2011; Foto:EPA/SANA Handout
Itamar Rabinovich, ehemaliger Botschafter Israels in der Vereinigten Staaten, beschreibt die Beobachtermission der Arabischen Liga als "Farce" und meint, dass die Bemühungen der Türkei, der USA und Europas das Assad-Regime bisher nicht zum politischen Einlenken bewegt haben.

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Gescheiterter internationaler Druck

Die Regimegegner auf der anderen Seite scheinen sich von den Morden nicht beeindrucken zu lassen und veranstalten weiter Proteste in ganz Syrien. Der bewaffnete Widerstand wächst, wenn auch langsam. Die westlichen Staaten, die Türkei und der größte Teil der arabischen Welt sind über die brutalen Tötungen aufgebracht, und die Rufe nach Interventionen und Verschärfung der internationalen Sanktionen werden lauter.

Aber der regionale und internationale Druck auf Assad hat sein Ziel nicht erreicht. Zwar zeigte die Arabische Liga im letzten November Tatkraft durch den Ausschluss Syrien, aber die in das Land entsandten Militärbeobachter erwiesen sich als Farce. Die türkischen Initiativen haben an Momentum verloren, und die USA und ihre europäischen Verbündeten tun lediglich so, als wären sie diplomatisch aktiv. Tatsächlich haben ihre Handlungen keine echten Auswirkungen auf das Regime.

Amerika und der Westen behaupten, ohne ein UN-Mandat nicht nennenswert handeln zu können, was Russland und China durch ihr Veto gegen antisyrische Resolutionen im Sicherheitsrat verhindern. Aber die Wahrheit ist, dass die Regierungen in Washington, London, Paris und anderswo auch ohne Resolution des Sicherheitsrates viel mehr tun könnten.

Am meisten fällt auf, dass abgesehen von der Schließung einiger Botschaften in Damaskus (angeblich aus Sicherheitsgründen) kein systematischer Abbruch diplomatischer Beziehungen mit Syrien stattgefunden hat. Auch fanden keine Einschränkungen des Flugverkehrs oder andere Maßnahmen statt, die die Bevölkerung von Damaskus und Aleppo gegen das Regime aufbringen und die Krise beenden könnten.

Zwei Kämpfer der Freien Syrischen Armee in der Provinz Homs; Foto: AP/dapd
Spirale der Gewalt: Auch die Protestbewegung in Syrien hat sich in jüngster Zeit zunehmend radikalisiert und militarisiert. In dem blutigen Konflikt der inzwischen teilweise bewaffneten Regimegegner mit dem Sicherheitsapparat sollen bereits etwa 10.000 Menschen getötet worden sein.

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Ambivalente Haltung des Westens

Diese Ambivalenz liegt größtenteils daran, dass der Westen und die Araber über die Schwäche und Undurchsichtigkeit der politischen Führung der Opposition besorgt sind. Es besteht eine dramatische Diskrepanz zwischen dem Mut und der Zähigkeit der Demonstrierenden und der Kämpfer in Homs, Idlib und Deraa einerseits und der Syrischen Nationalen Front andererseits, deren Führer und Fraktionen es versäumt haben, ein sinnvolles politisches Programm aufzustellen, eine Identität zu entwickeln und erkennbare Namen und Gesichter zu präsentieren.

Politiker aus dem Westen und den Golfstaaten fragen sich, wie Syrien nach dem Sturz von Assad aussehen könnte. Dies kam deutlich in der zweiten Märzwoche zum Ausdruck, als Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums in mehreren Pressemitteilungen ihre Unzufriedenheit mit der syrischen Opposition ausdrückten.

Das Regime hat erfolgreich die Angst vor einem ägyptischen Szenario ausgenutzt, in dem die Schwäche weltlicher Aktivisten zu einer Übernahme durch Muslimbrüder und Gotteskrieger führt. Tatsächlich ist es schwer, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden. Sollte die Opposition wie in Libyen als rechtmäßige Regierung von Syrien anerkannt werden, gäbe dies den Gegnern Assads Auftrieb, aber bis jetzt fehlt diesen die für einen solchen Schritt erforderliche Stärke.

Die Opposition muss sich selbst zu einer vertrauenswürdigen und attraktiven Alternative zum Assad-Regime entwickeln, und die regionalen und internationalen Kritiker des Regimes müssen ihr dabei helfen. Die Regierung Assads ist dem Untergang geweiht. Sie hat keine Legitimität und wird gestürzt werden. Aber dies könnte eine lange Zeit dauern – und einen hohen Preis kosten. Die Alternative besteht in einer effektiven Opposition, die die Unterstützung der führenden regionalen und internationalen Mächte besitzt.

Itamar Rabinovich

© Project Syndicate 2012

Itamar Rabinovich war von 1993 bis 1996 Botschafter Israels in den Vereinigten Staaten. Gegenwärtig ist er tätig an den Universitäten Tel Aviv und New York sowie an der Brookings Institution.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de