"Unsere Gesellschaften brauchen Schutz"
Trotz der in UN-Berichten regelmäßig und zu Recht beklagten "Bildungskatastrophe" in der arabischen Welt, kann die Region viele renommierte Schriftsteller vorweisen, die im Westen und damit auch in Deutschland immer noch weitgehend unbekannt sind.
Von rund 120.000 auf Deutsch vorliegenden Belletristik-Titeln stammen gerade einmal 500 aus der arabischen Welt. Nur Autoren wie der ägyptische Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus oder der in Frankreich lebende Marokkaner Tahar Ben Jelloun sind hierzulande einem größeren Publikum bekannt.
Ändern soll sich dies durch die diesjährige Frankfurter Buchmesse, auf der in diesem Jahr die Arabische Liga zu Gast ist. Umgekehrt gibt es aber auch Bemühungen, deutsche Literatur in der arabischen Welt bekannt zu machen.
Kritik an den Organisatoren
In den letzten Monaten gab es viel Kritik an den Vorbereitungen der Arabischen Liga zum diesjährigen Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse. Die letzte scharfe Kritik kam vor wenigen Tagen vom marokkanischen Kulturminister und Dichter Muhammad al-Ashari.
Er findet es unverständlich, dass die Araber, die auf 22 sehr heterogene Staaten verteilt sind, als Ganzes eingeladen wurden. Marokko gehört neben Kuwait, Libyen, Algerien und Irak zu den Ländern, die nicht am offiziellen Programm der Arabischen Liga teilnehmen.
Weitere Kritikpunkte sind das Übergewicht ägyptischer Schriftsteller unter den eingeladenen Gästen, die Ausblendung nicht-islamischer und nicht-arabischer Kulturen sowie die mangelnde Einbindung von Exilautoren.
Bekannte und unbekannte Autoren
Das Programm, das die Arabische Liga auf ihrer Pressekonferenz Ende Juni in Frankfurt vorgelegt hat, ist sehr umfangreich: Lyrik und Prosalesungen, Musik, Kino und Folklore-Veranstaltungen, Diskussionsrunden über Globalisierung, Menschenrechte und Reformen in der arabischen Welt.
Ungefähr 150 Autoren sind eingeladen, darunter in Literaturkreisen prominente Namen wie die Lyriker Adonis und Mahmud Darwisch, die frankophonen Schriftsteller Assia Djebar und Amin Maalouf, aber auch in Deutschland weitgehend unbekannte Namen wie die saudi-arabischen Prosa-Autoren Raja Alim und Abduh Khal.
Im Vorfeld des Gastauftritts in Frankfurt gab es viele schöne Worte von den arabischen Organisatoren: Die arabische Welt will demnach in einen offenen Dialog mit dem Westen treten, und auch strittige Fragen sollen zur Diskussion kommen.
Dabei versuchen die Organisatoren allerdings, gravierenden Probleme wie etwa die Misere des arabischen Buchmarktes und Verlagswesens - herunterzuspielen oder gar nicht erst anzusprechen.
Zensur kein Thema auf der Messe
Ein weiteres signifikantes Beispiel ist die allgegenwärtige Zensur in der arabischen Welt. Warum Zensur überhaupt notwendig sei, hängt laut dem Direktor der Buchmesse von Maskat im Oman, Muhammad Ali Hassan, mit den Besonderheiten und Traditionen der arabischen Gesellschaften zusammen, die respektiert werden müssten: "Alles, was die arabischen Gesellschaften angreift oder für Unruhe sorgt, muss verboten werden. Unsere Gesellschaften brauchen noch Schutz."
Das ist die vorherrschende Meinung bei den Verantwortlichen arabischer Buchmessen. Aber das Thema Zensur, das zu den größten Problemen innerhalb der arabischen Welt gehört, kommt im offiziellen Teil des Frankfurter Buchmessen-Programms gar nicht vor.
Ibrahim al-Muallim, Präsident des arabischen Verlegerverbandes, behauptet sogar, arabische Verlage hätten große Fortschritte im Kampf gegen Zensur erzielt. Und Khalid Qubaia, libanesischer Verleger und Funktionär im arabischen Verlegerverband, spricht ganz offen aus, wie sein Verband mit der Zensur umgeht:
"In jedem arabischen Land herrschen andere Zensurmaßstäbe. Der arabische Verlegerverband ist mit zwei Zensurgründen einverstanden: wenn ein Buch die Sicherheit eines Staates verletzt - oder wenn es den Moralvorstellungen widerspricht."
Ganz anders sieht es Jabir Asfur. Im Feuilleton der arabischen Tagezeitung "al-Hayat" lobte der Direktor des ägyptischen Hohen Rates für Kultur in seiner Kolumne Mitte September die deutsche Orientalistik und deutsche Bemühungen für deren Übersetzungen von arabischer Literatur.
Späte Selbstkritik
Asfur übte aber auch Selbstkritik. Weder einzelne arabische Staaten noch die Arabische Liga oder der arabische Verlegerverband hätten jemals Initiativen ins Leben gerufen, die die Übersetzung arabischer Literatur in andere Sprachen unterstützten.
Diese Selbstkritik kommt reichlich spät. Einerseits fordern arabische Intellektuelle seit Jahren, einen arabischen Fond zu diesem Zweck zu gründen.
Andrerseits herrscht bis jetzt Unklarheit über eine Liste mit arabischen Büchern, die aus Anlass des arabischen Gastauftritts auf der Frankfurter Buchmesse ins Deutsche und Englische übersetzt werden sollen.
Eins ist sicher: Spannung und Diskussionsstoff sind auf der Buchmesse in Frankfurt garantiert.
Mona Naggar
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004