Wissen führt zu Toleranz
Seit acht Jahren veranstalten deutschlandweit islamische Gemeinden den "Tag der offenen Moschee", initiiert vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD). Führungen, Büchertische, Diskussionen bei Gebäck und Tee sollen zum besseren gegenseitigen Verständnis von Muslimen und Nichtmuslimen beitragen und Offenheit signalisieren.
"Muslime: Partner für Sicherheit" lautete diesmal das Motto, das auf die Angst vieler Menschen vor dem Islam anspielte. "Man hört so viel in den Medien zurzeit, über den 'Heiligen Krieg' und ähnliches", sagt eine Berlinerin über den Grund ihres Kommens. "Deshalb will ich mehr erfahren über den Islam. Je mehr man voneinander weiß, umso leichter fällt Toleranz. Außerdem will ich mit meinen Kindern darüber sprechen."
Verbundenheit mit der deutschen Bevölkerung
Der Tag der offenen Moschee findet stets am Tag der Deutschen Einheit, also am 3. Oktober, statt, um "das Selbstverständnis der Muslime als Teil der deutschen Einheit und ihre Verbundenheit mit der Gesamtbevölkerung zum Ausdruck zu bringen", so der Zentralrat.
Rund 200.000 Besucher seien in die rund 700 Moscheen gekommen, die sich dieses Jahr beteiligt hätten, sagte Mounir Azzaoui vom ZMD der Islamischen Zeitung, etwa ebenso viele wie im letzten Jahr. Auch mit der Presseresonanz ist der Zentralrat zufrieden.
In Berlin waren 16 Gotteshäuser der großen islamischen Dachverbände – darunter die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (Ditib), die Islamische Föderation (IFB) und der Verband islamischer Kulturzentren Berlin e.V. - geöffnet.
Osmanisch-arabisch-europäisch
Auf dem Hof der Neuköllner Sehitlik-Moschee tummeln sich zahlreiche Besucher, andere besichtigen den osmanischen Kuppelbau mit seinen arabischen und europäischen Elementen von innen. Die Schuhe haben sie am Eingang abgestellt, weitere Kleidervorschriften gibt es für die Gäste nicht.
Der fast abgeschlossene Bau der Sehitlik-Moschee, Baubeginn 1998, wurde finanziert aus Spenden der Gläubigen und Mitgliedsbeiträgen, insgesamt rund 1,5 Millionen Euro. Schlagzeilen verursachten die laut Bauverordnung zu hoch gebauten Minarette, eine Lösung wurde mittlerweile gefunden, erzählt Ender Cetin, der mit seiner Frau regelmäßig Führungen anbietet. Der Gebetsruf zu den vorgeschriebenen täglichen fünf Gebeten darf in Deutschland allerdings nicht vom Minarett herunter ertönen, sondern nur innerhalb der Moschee.
Kleiderordnung für Männer
Moscheen sind auch Begegnungsstätten und kulturelle Zentren, es gibt Bibliotheken, Beratungsangebote und Freizeiträume. Manchmal sei die Sehitlik-Moschee nicht groß genug, so Cetin, im Fastenmonat Ramadan stünden die Gläubigen, vor allem Türken, bis auf die Straße.
Auf der oberen Etage beten die Frauen, da Männer und Frauen getrennt beten müssen. "Wir Männer sind das schwache Geschlecht und sollen durch ihren Anblick nicht irritiert werden", erklärt Ender Cetin schmunzelnd. Das Publikum lacht. Das sei auch der Grund für die islamische Kleiderordnung für Frauen, die vorschreibe, Brust und Kopf zu bedecken.
Allerdings gibt es auch Regeln für Männer: Sie sollen keine engen Hosen tragen und ihren Oberkörper bedecken. Außerdem müssen sie angesichts fremder Frauen ihren Blick senken. Frau Cetin ergänzt, dass gläubige Muslime, Männer wie Frauen, nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht hätten, sich zu bilden.
Diese Pflicht stehe sogar über dem Gebot, sich als Frau zu verhüllen. Sie persönlich würde daher ihr Kopftuch abnehmen, falls dies nötig wäre, um ihr Studium zu vollenden, aber keinen Job ausüben wollen, bei dem ihr das Kopftuch verboten werde.
Streit über neue Moscheen
208.829 Mitglieder hatten die islamischen Gemeinden Berlins Ende 2002 nach Auskunft des Statistischen Landesamtes (2.500 mehr als ein Jahr zuvor). 106 Moscheen und Versammlungsräume wurden Ende 2001 gezählt, oft befinden sie sich in Hinterhöfen oder Fabriketagen. Träger der Moscheen sind Vereine, die sich meist einem Dachverband, z.B. Ditib, anschließen. Bundesweit gibt es etwa 2.200 Moscheen, schätzt der Zentralrat der Muslime.
Etwa zehn weitere Moscheen und Kulturzentren sind in der Hauptstadt derzeit geplant. Über einige dieser Projekte wird heftig debattiert: den Befürwortern der freien Religionsausübung stehen andere gegenüber, die sich vor der Einnistung islamistischer Strömungen und Vertreter fürchten.
Von den Debatten über neue Gotteshäuser oder fundamentalistischem Gedankengut war am Tag der offenen Moschee nichts zu spüren. Ehepaar Cetin, modern wie muslimisch, charmant und wortgewandt, dürfte an diesem Tag das Islambild einiger Berliner verändert haben.
Ingrid Scheffer
© Goethe-Institut, Online-Redaktion
Ingrid Scheffer ist freie Journalistin in Berlin
Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.
Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (Ditib/Türkisch)