Sehnsucht nach unmöglicher Normalität
"Ana mish politi!" (ich bin nicht politisch), singt der junge palästinensische Rapper von einer improvisierten Bühne auf den Trümmern eines von israelischen Bulldozern plattgewalzten Hauses, das für das geplante "Museum des Zusammenlebens" Platz machen sollte. Im Ganzen aber ist "Junction 48" ein politischer Film, der sich nicht mit den üblichen Anschuldigungen begnügt.
Udi Aloni: Kareems Ausruf ist der Ausdruck eines unerfüllbaren Wunsches, nicht politisch zu sein. "Ich will nicht politisch sein, aber das Haus meines Freundes wurde zerstört, nur weil er ein Araber ist. Ich bin nicht politisch, aber die konservative Familie meiner Freundin will nicht, dass wir uns sehen." Der Ausruf ist eine Sehnsucht nach der unmöglichen Normalität, die zugleich diesen Film so universell macht.
Sie treten bekanntlich für den sogenannten "Binationalismus" als eine Alternative zu dem anhaltenden Patt zwischen der seit einiger Zeit angestrebten Zwei-Staaten-Lösung und der Ein-Staat-Realität ein. Ist die binationale Lösung realistisch?
Aloni: Eigentlich würde ich jede Lösung befürworten, welche den gegenwärtigen Grausamkeiten ein Ende setzt. Gäbe es einen konkreten, aussichtsreichen Ansatz für die Zwei-Staaten-Lösung, würde auch ich diesen unterstützen. Doch im Moment ist genau diese Lösung wohl der unrealistischere Traum.
Der Binationalismus ist für mich in erster Linie eine kulturelle Vorstellung. Es bedeutet, die Besonderheiten zu bewahren – ob jüdisch oder palästinensisch. Mein Freund und Lehrer, der palästinensische Dichter Mahmud Darwisch, fand einen treffenden Ausdruck für diese Idee. Er schrieb: "Lasst uns zusammen zwei getrennte Wege gehen. / Lasst uns zusammen gehen / und lasst uns freundlich sein."
Die Europäer sollen damit aufhören, die Zwei-Staaten-Fiktion anzukurbeln und verstehen, wie eng wir, die Israelis und die Palästinenser, miteinander verflochten sind. Meine Empfehlung: Seht zunächst ein, wie die Lage ist: was heißt es zum Beispiel, ein Palästinenser und zugleich ein Bürger Israels zu sein. Meiner Meinung nach ist Binationalität die einzige Möglichkeit zu überleben. Die Kehrseite ist Netanjahus Paranoia, die zu einer immer engeren Einzäunung führt. Gaza ist bereits das größte Ghetto im Nahen Osten. Bald könnte Israel selbst ein noch größeres Ghetto werden. In Israel unterstreicht man oft, dass wir eine einzige Demokratie im Nahen Osten sind. Es mag tatsächlich so sein, aber nur für die Juden.
Wie sehen Sie Ihre politische Rolle als Filmemacher?
Aloni: Kunst ist eine Möglichkeit, neue Möglichkeiten zu schaffen. Leider – oder vielleicht glücklicherweise – wird die Welt durch die Kunst nicht verändert. Sie erlaubt uns aber, die Sachen auch anders zu sehen. Die Aussagekraft des Films liegt im Performativen, womit für Tamer, mich und die gesamte Besatzung – eine Mischung aus israelischen Juden und palästinensischen Arabern – vor allem die Gelegenheit gemeint ist, zusammen arbeiten zu können.
Im gewissen Sinne haben wir eine Arche Noah geschaffen. Irgendwann wird die Flut in der Region zu Ende sein: sowohl die Verrücktheit der israelischen Regierung mit ihrer Hyper-Überheblichkeit, als auch der religiöse Fundamentalismus à la "Islamischer Staat", der im vom Kolonialismus hinterlassenen Vakuum gedeiht. Wenn das zu Ende ist, habe ich die Hoffnung, eine Gemeinschaft zu werden, die unserer Arche ähnelt.
Die jetzige Situation kann durch bekannte Zeilen aus dem Kommunistischen Manifest umschrieben werden: Ein Gespenst geht um im Nahen Osten – das Gespenst des Binationalismus. Und alle Mächte der Welt haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dieses Gespenst verbündet.
Das Erfrischendste an Ihrem Film ist vielleicht, dass ihm politische Korrektheit völlig egal ist…
Aloni: Stimmt. Auch in unserer Truppe reißen wir die rassistischsten Witze über einander. Was könnte denn mehr Spaß machen? Schließlich wissen wir, dass es aus unserer Universalität kommt — aus unserem gemeinsamen Kampf sowohl gegen die israelische Besatzung, als auch gegen die Ehrenmorde von palästinensischen Frauen durch ihre eigene Gemeinschaft.
Menschen finden diese Komplexität oft schwer zu handhaben. Wenn ich sage, dass ich für Palästinenser kämpfe, reagieren sie oft mit: "Hier ist ein sich selbst hassender Jude." Für mich aber besteht die einzige Art, mein Judentum zu praktizieren, in der Solidarität mit Palästinensern. Man sollte den Diskurs vom 'Anderen' beiseite legen und sich brüderlich verhalten. Schließlich beinhaltet das hebräische Wort acher ('anderer') das Wort ach ('Bruder').
War es eine bewusste Entscheidung, die Komplexität der politischen Situation und die sonst übliche Opferrolle der Palästinenser nicht zu unterstreichen?
Aloni: In dem großen Streit zwischen Noam Chomsky und Slavoj Žižek stehe ich auf Žižeks Seite. Chomsky glaubt, dass die Menschen den richtigen Weg wählen, wenn man ihnen die Wahrheit zeigt. Das ist eine typisch liberale Denkweise. Laut Žižek aber wird Trauma oder Ideologie die Sicht immer versperren. Wenn man in die Sonne blickt, wird man blind. Daher wäre es sinnlos, wieder einfach die harsche Realität zu zeigen. Viel effektiver ist es, die dafür verantwortlichen Ideologien selbst zu dekonstruieren. Daher hoffe ich, dass Ihre Leser nicht nur auf meine radikalen politische Aussagen fokussieren, sondern den Film für sich selbst sprechen lassen, ihn unter gewissermaßen unter die Haut gehen lassen, seinen Traum entdecken.
Slavoj Žižek und der französische Philosoph Alain Badiou wurden im Nachspann des Films mit besonderem Dank bedacht. Wieso?
Aloni: Das war bloß mein persönlicher Dank. Ich habe den beiden viel zu verdanken. Außerdem bewunderten sie den Film sehr, was für mich eigentlich ein wenig überraschend war. Ich dachte nämlich, dass ich endlich einen Film produziert hatte getreu dem Motto: "Philosophen, leckt mich!" Es gibt ja die Unterscheidung zwischen intellektuellen Filmen und solchen "über das Leben". In der jüdischen Tradition aber haben der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis die gleichen Wurzeln. Und dies ist vielleicht der erste Film, in dem ich endlich beide Aspekte miteinander verbinden konnte.
Wenn ich als Regisseur gute Arbeit mache, merken es die Zuschauer gar nicht, dass sie sich inmitten philosophischer Ideen und Ideologien bewegen. Ein guter Film ist wie homöopathische Medizin: es merkt sich seine Wirkstoffe, ohne sie tatsächlich zu enthalten.
Das Interview führte Daniel Tkatch.
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