Implizierter Gegensatz von Demokratie und Islam
Die vom Hamburger Kriminologischen Institut durchgeführte und vom Bundesinnenministerium beauftragte Studie sollte nicht nur die Integration, Integrationsbarrieren, Religion und Einstellungen der Muslime zu Demokratie und Rechtsstaat, sondern auch die politisch-religiös motivierten Gewaltpotenziale der Muslime in Deutschland ermitteln.
Innenminister Wolfgang Schäuble schreibt dazu im Vorwort der weltweit operierende islamistische Terrorismus sei heute eine der "größten Gefahren für unsere Sicherheit", wobei Deutschland sich durch "das Phänomen des homegrown terrorism" zu besonderen Integrationsleistungen genötigt sehen müsse.
Sicherheitsbedenken aufgrund von vermuteter religiös motivierter Gewaltbereitschaft bilden somit von Anfang an den Anlass für das Forschungsvorhaben.
Klischees statt Wissenschaft
Befragt wurden vier Untergruppen: 970 muslimischer Migranten in telefonischer Befragung, ca. 150 Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens sowie 195 Studierende anhand eines Fragebogens in standardisierter Form. Ergänzend wurden qualitative Interviews mit 60 Jugendlichen durchgeführt, die sich im Umfeld islamischer Vereine und Organisationen aufhalten.
Entsprechend der Vorgabe, die Gewaltpotenziale in unterschiedlichen Gruppen der Muslime in Deutschland zu überprüfen, wurden Kategorien gebildet, welche den Fokus der Studie auf die Religiosität, die Muster religiöser Orientierungen, die Einstellungen zu Demokratie und Rechtsstaat sowie die Einstellungen zu politisch-religiös motivierter Gewalt legen. Alarmierend problematisch erscheint hingegen die Auswahl der Kategorien, die eine implizite Verknüpfung von Muslimischsein mit antidemokratischen Einstellung und Verhaltensmustern bis hin zu religiös motivierter Gewaltbereitschaft voraussetzt.
Geradezu skandalös ist hingegen nicht nur die Auswahl der Kategorien, sondern insbesondere deren Operationalisierung. Um beispielsweise religiös-fundamentale Orientierungen nachweisen zu können, konfrontierten die Forscher ihre Probanden mit sechs Fragen.
Implizierter Antagonismus zum Islam
Diese lauten wie folgt:
1. Wer die Regeln des Korans nicht wörtlich befolgt ist kein echter Moslem.
2. Ich finde es wichtig, dass die Lehre des Islam an die Bedingungen der modernen Welt angepasst wird.
3. Menschen, die den Islam modernisieren, zerstören die wahre Lehre.
4. Ich glaube, dass jeder gute Moslem dazu verpflichtet ist, Ungläubige zum Islam zu bekehren.
5. Es sollte verboten sein, Moslems dazu zu bringen, ihre Religion zu wechseln.
6. Nichtmuslime sind von Allah verflucht.
Entgegen der eigenen Vorgabe, die religiös-fundamentale Orientierung der Probanden zu untersuchen, verweisen die gewählten Erhebungseinheiten in keinem Fall auf die Qualität des möglichen innerlichen Verhältnisses, das ein Muslim zu seiner Religion als unveräußerlichen Wert und Basis seiner Rückbindung zu seinem Glauben haben kann, sondern zementieren in durchwegs polarisierender Form den als unüberbrückbar vorausgesetzten Antagonismus zwischen muslimischem Glaubensbekenntnis und der so genannten modernen westlichen Grundordnung.
Dabei erweist sich Polarisierung als ein Motiv, das der Studie vielerorts zugrunde liegt. Mit ihr einher geht stets eine fundamentale und implizite Abwertung des muslimischen Bekenntnisses. Was hier den muslimischen Probanden stillschweigend als mögliche Einstellungen in Fragen untergeschoben wird, offenbart sich vielmehr als ein Konglomerat aus Ignoranz und Intoleranz seitens der Forscher. Dabei bewirken sie eben genau die Zuschreibung und Abgrenzung, welche Sie selbst zuvor als Merkmal eines muslimischen Glaubensbekenntnisses voraussetzten.
Zweidimensionales Weltbild der Forschung
Besonders deutlich und bedenklich zeigt sich dies in der gewählten Kategorie "Abwertung christlich/westlicher Gesellschaften". Mit nur zwei Fragen vermeinen die Forscher diesen Sachverhalt erhellen zu können:
1. In Deutschland kann man deutlich sehen, dass die christlichen Religionen nicht in der Lage sind, die Moral zu sichern.
2. Die Sexualmoral der westlichen Gesellschaften ist völlig verkommen.
Als geradezu naiv erweist es sich, den einzig relevanten Kontakt von Muslimen zur westlichen Gesellschaft auf die Sexualmoral zu beschränken. Ebenso findet sich hier die implizite Gleichsetzung des muslimischen Glaubens mit einer rigiden von Prüderie beherrschten, autoritären Gesinnung wieder.
Auch die fehlende Differenzierung von "christlich" und "westlich" bleibt an dieser Stelle problematisch.
Jedoch nicht nur unter einem methodischen und inhaltlichen Blickwinkel ist die Studie des Hamburger Kriminologischen Instituts zu kritisieren, auch unter dem erhebungstechnischen Gesichtspunkt, anhand von 970 telefonischen Befragungen eine allgemeingültige Aussage über die muslimische Bevölkerung in Deutschland treffen zu wollen, erweist sich die Studie als unzureichend. Weder die Zahl der Probanden ist für eine solche Aussage ausreichend, noch kann das gewählte Mittel einer telefonischen Befragung zuverlässige Ergebnisse für einen derartig umfassenden und die Befindlichkeit des einzelnen tief greifend betreffenden Themenkomplex erwarten lassen.
Aufschlussreicher ist hingegen der qualitative Teil der Untersuchung, in dem 60 befragten Jugendlichen der Raum eingeräumt wird, sich unter anderem über ihr Verhältnis zu ihrer Religion zu äußern. In den Interviews berichten Jugendliche über ihre Diskriminierungserfahrungen, denen sie als Mitglieder einer Gruppe immer wieder ausgesetzt sind.
Religion als potenzieller Integrationsfaktor
Demgegenüber kritisieren sie die Aufgabe von islamischen Organisationen, lediglich als Zufluchtsort für die erste Generation von Migranten zu dienen und fordern sie auf, mehr als bisher als Brücke zur Aufnahmegesellschaft zu fungieren. Aus den Interviews wird deutlich erkennbar, dass die Religion für die befragten Jugendlichen eine Orientierung im Leben bietet, die weder als rigide, antidemokratisch noch gewalttätig zu beurteilen ist.
Wenn die Orientierung per se als nicht zeitgemäß, ja sogar als bedrohlich eingestuft wird, dann findet hier nicht nur eine Abwertung und Diffamierung der muslimischen Religion statt, sondern es wird gerade das integrative Potential verkannt, welches diese Glaubenszugehörigkeit auch innerhalb einer westlichen Gesellschaft haben kann. Gerade die jungen Befragten distanzieren sich in den Interviews von Hasspredigern und radikalen Islamisten.
Im Unterschied zum umfangreichen quantitativen Teil der Studie hat der Leser zumindest in diesem Abschnitt die Möglichkeit, sich ohne die vorauseilende Bewertungen des Forscherteams in die Befindlichkeiten der befragten Jugendlichen anhand ihrer Selbstäußerungen hineinzuversetzen.
Alles in allem muss man konstatieren, dass die Studie wissenschaftlichen Kriterien nicht gerecht wird. Von Anfang an setzen die Forscher einen unüberbrückbaren Antagonismus zwischen Islam und der modernen westlichen Grundordnung voraus, der sich wiederum sowohl in der Konzeption der Studie als auch in der Entwicklung der Untersuchungskategorien wiederspiegelt. Dadurch fehlt es an Offenheit hinsichtlich der zu erwartenden Untersuchungsergebnisse und die Studie kann daher kaum zu wertvollen Einsichten über das Leben von Muslimen in Deutschland verhelfen.
Soziale Probleme, die mit Gewalt einhergehen, müssen endlich dort angegangen werden, wo ihre wahren Ursachen liegen. Die alten kulturalisierenden und stigmatisierenden Beschreibungsmuster sind dazu nur wenig hilfreich.
Ülger Polat
© Qantara.de 2007
Ülger Polat ist promovierte Migrationsforscherin und Lehrbeauftragte für Interkulturelle Soziale Arbeit an der Fachhochschule Hamburg. Darüber hinaus arbeitet sie als Psychologin in der Sozialarbeit mit türkischen Frauen und Mädchen.
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