Wie viele Tode kann ein Diktator sterben?

Der Hussein-Prozess sollte vor allem den Boden für eine nationale Aussöhnung bereiten. Doch genau das ist nicht geschehen. Im Gegenteil: Nach dem Todesurteil werden die Anhänger Husseins erst recht eine Eskalation betreiben, meint Peter Philipp in seinem Kommentar

Saddam Hussein reagiert auf sein Todesurteil vor dem Obersten Gerichtshof in Bagdad, Foto: AP
Vorschnelles Urteil: So ist der Prozess gegen Hussein wegen der Ermordung Abertausender von Kurden während der "Anfal-Kampagne" noch gar nicht abgeschlossen

​​Für viele Schiiten und ebenso für viele Kurden des Zweistromlandes stand seit langem fest, dass die Todesstrafe zwingendes Ergebnis des Prozesses gegen Saddam Hussein sein müsse.

Und es kam ja auch nicht von ungefähr, dass beide darauf bestanden, die – von den Amerikanern zunächst abgeschaffte – Todesstrafe wieder einzuführen. Aber: Wie viele Tode kann ein Diktator sterben, um die Verbrechen zu sühnen, deren er sich schuldig gemacht hat?

Dies war ja nur der erste von mehreren Prozessen, in denen Saddam abgeurteilt werden sollte: Hier ging es um die Ermordung von 148 Schiiten im Ort Dujail. Ein zweiter Prozess – der sich mit der Ermordung Abertausender von Kurden während der "Anfal-Kampagne" der achtziger Jahre befasst – ist im Gange und weitere sollen folgen.

Die blutige Niederschlagung des Schiitenaufstandes ist bisher nicht behandelt worden, auch nicht die Hintergründe der Kriege gegen den Iran und Kuwait. Von der Verfolgung und Ermordung innenpolitischer Gegner ganz zu schweigen.

Was bedeutet dabei das am vergangenen Sonntag ausgesprochene Todesurteil gegen den Exdiktator? Wird das Urteil vollstreckt oder werden erst noch die anderen Prozesse durchgezogen? Fragen, die zunächst ohne Antwort blieben. Obwohl Ministerpräsident Nouri Maliki sich beeilte festzustellen, Saddam werde wohl noch vor Ende dieses Jahres hingerichtet.

Der irakische Regierungschef dürfte wenig Verständnis für die ausländischen Reaktionen haben, die sich kritisch gegenüber der Verurteilung geäußert haben.

Er und auch andere irakische Verantwortliche sollten sich mit diesen Einwänden aber auseinandersetzen. Sie sind nicht Ausdruck von Mitleid oder gar Sympathie für den Exdiktator, sondern spiegeln Sorge um die rechtsstaatliche Zukunft des Irak wider.

Abgesehen davon, dass die Europäer die Todesstrafe geschlossen ablehnen - die meisten Kritiker sind sich auch einig darüber, dass dieser Prozess zu forsch und zu zielstrebig vorangetrieben wurde, um ein Ziel allein zu erlangen: Die Verurteilung und Beseitigung Saddam Husseins.

Vorverurteilung durch Politiker, politischer Druck auf das Gericht und mangelnder Schutz von Anwälten und Zeugen sind nur einige Beispiele dafür, warum die EU, "Amnesty International" und andere Menschenrechtsorganisationen ihre Probleme mit dem Prozess haben.

Ungewiss ist auch, was das Urteil für die Sicherheitslage im Irak bedeutet. Man könnte zwar sagen: Wie viel schlimmer kann die noch werden? Aber die dumpfe Drohung von Saddams Verteidigern hallt doch nach, dass ein Todesurteil "die Tore zur Hölle öffnen" werde.

Nach der Verkündung des Urteils darf – und sollte - man innehalten und abwägen, was solch ein Prozess bedeutet. Die spontane Antwort ist nicht eindeutig: Washington und die irakische Regierung wollten mit dem Prozess beweisen, dass der Irak sich auf dem Weg zum Rechtsstaat befindet und dass er in der Lage ist, sich mit den Untaten des Saddam-Regimes auseinanderzusetzen.

Keine Siegerjustiz wie im Nürnberger Prozess, kein internationales Sondergericht wie im Fall des ehemaligen Jugoslawien. Und keine Verweisung an den Internationalen Strafgerichtshof. Aber auch keine "Wahrheitskommissionen" wie in Südafrika.

Der Prozess sollte in erster Linie den Boden bereiten für eine nationale Aussöhnung, genau das aber ist nicht geschehen. Im Gegenteil: Die Anhänger Saddams werden nun erst recht eine Eskalation betreiben. Zumindest für gewisse Zeit.

Denn sie müssen deutlicher als bisher einsehen, dass die Zeit ihrer Vormachtstellung vorbei ist. Sie werden Saddam als Märtyrer betrachten, der bis zuletzt seine absurden Argumente aus dem Gerichtssaal weltweit verbreiten konnte.

Nach dem Urteil drängt sich ein gefährlicher Gedanke auf: Dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn Saddam nicht lebend gefasst worden wäre. Dann würde man heute vielleicht so wenig von ihm sprechen wie von seinen Söhnen, Saddam wäre bereits Geschichte.

Ein gefährlicher Gedanke, weil er im Widerspruch zu jedem rechtsstaatlichen Konzept steht. Nur beweist der Alltag tagtäglich: Der Irak ist weit entfernt von einem Rechtsstaat. Und das Urteil im Saddam-Prozess bringt ihn diesem Ideal auch nicht näher.

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

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